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Falsche Wagenknecht stiftet Verwirrung

Politischer Aschermittwoch der Bernauer Linksfraktion versetzt die Bundespartei in Aufregung

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Dagmar Enkelmann als Sahra-Wagenknecht-Verschnitt
Dagmar Enkelmann als Sahra-Wagenknecht-Verschnitt

Dagmar Enkelmann saß früher als Abgeordnete im Bundestag und auch mal im Brandenburger Landtag. Bis heute sitzt sie in der Stadtverordnetenversammlung von Bernau bei Berlin. Mit ihrer Ankündigung des 13. Politischen Aschermittwochs der Bernauer Linksfraktion sorgte Enkelmann am Mittwoch für helle Aufregung im Karl-Liebknecht-Haus. Denn die 67-Jährige hatte via Internetplattform X angekündigt, dass am Abend im Bernauer Ofenhaus auch Sahra Wagenknecht auftreten werde.

Die Bundesvorsitzende Janine Wissler habe bei ihr angerufen und sich erkundigt, wie das denn sein könne, erzählte Enkelmann unmittelbar vor der Veranstaltung unter vier Augen. Von der Bühne herab verriet der Landesvorsitzende Sebastian Walter dann kopfschüttelnd und schmunzelnd, er habe wegen dieser Sache fünf Nachrichten und drei Anrufe aus der Bundesspitze der Partei erhalten, ob es sich um ein technisches Versehen handele oder wie es sein könne, dass der Abtrünnigen Wagenknecht ein Podium gegeben werde. »Aschermittwoch bei der Linken ist so notwendig, denn wir dürfen verdammt noch mal den Humor nicht verlieren«, kommentierte Walter dies in seiner klassischen Aschermittwochsrede.

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Zu dem Missverständnis wäre es nicht gekommen, wenn die Parteispitze wüsste, dass der Politische Aschermittwoch der Bernauer Linksfraktion nicht nach dem Muster abläuft, wie man es aus Bayern kennt. Stattdessen denken sich die Stadtverordneten mit Freunden ein komplettes Kabarettprogramm aus, in dem sie die Kommunal- und Bundespolitik und auch sich selbst auf die Schippe nehmen. Schon seit Oktober haben sie am diesjährigen Programm gearbeitet, Texte geschrieben und Nummern einstudiert.

Und so trat Sahra Wagenknecht in Bernau natürlich nicht höchstselbst auf, sondern die strahlend blonde Dagmar Enkelmann schlüpfte mit schwarzer Perücke in deren Rolle und setzte sich an ein Infotelefon der kürzlich gegründeten Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es könne nicht gleich jeder Mitglied werden, »wir sind ein sehr exklusiver Verein, aber spenden können Sie schon«, erklärte die Wagenknecht-Imitatorin Enkelmann einer Anruferin. In der neuen Partei sei für jeden etwas dabei: ein bisschen Kommunismus, ein bisschen Nationalismus, ein bisschen Marx und Engels, ein bisschen Ludwig Erhard – der CDU-Politiker gilt als Erfinder der sozialen Marktwirtschaft. Aber die Anruferin hatte sich nur verwählt. Sie wollte gar nicht die Partei BSW an die Strippe bekommen, sondern das Beamtenselbsthilfewerk, das ebenfalls mit BSW abgekürzt wird.

Die echte Wagenknecht wurde in Bernau nur mit Fotos an die Leinwand geworfen. Dazu sangen Enkelmann und andere eine umgedichtete Version von DJ Ötzis Schlager »Ein Stern, der deinen Namen trägt«. Bei ihnen hieß es: »Eine Partei,/ die deinen Namen trägt,/ hoch über Wolken schwebt,/ die schenken wir dir heut’.«

Später fand auch noch die volkstümliche Melodie von »Lebt denn der alte Holzmichel noch« eine neue Verwendung: »Seht ihr denn unseren Holzmatze noch? Jaaaa, wir seh’n ihn!« Der Stadtverordnete Matthias Holz (Linke), der gemeinsam mit seiner kleinen Tochter auf der Bühne stand, tritt bei der Kommunalwahl am 9. Juni erneut an – und außerdem bei der Landtagswahl am 22. September. Weil Holz nur Listenplatz 20 bekommen hat, müsste seine Partei um die 20 Prozent der Stimmen erzielen, damit er in den Landtag einziehen kann. Das ist unwahrscheinlich. In den Umfragen steht sie derzeit nur bei sechs Prozent. Oder Holz gewinnt den hiesigen Wahlkreis, der früher eine Hochburg der Linken war. Aber mittlerweile dürfte die Aufgabe fast unlösbar sein. 2019 konnte der Landtagsabgeordnete Péter Vida (Freie Wähler) den Wahlkreis gewinnen, 2024 könnte der Wahlkreis im schlimmsten Fall an die AfD gehen.

Die Linke stellte den Abend unter das Motto: »Alles im Griff auf dem singenden Schiff.« Abgewrackt werde die Partei noch lange nicht, versicherte Walter und meinte das ernst. Ein Scherz dagegen war seine Überlegung, BSW zu kopieren, wenn sich das als Erfolgsmodell herausstellen sollte: BSW – Bündnis Sebastian Walter. Der Politiker machte eine neue Zielgruppe aus: »Diejenigen, die uns aus Mitleid wählen.« Im Moment sei Die Linke ein Underdog, also ein Außenseiter, der in einem Wettkampf überraschend gewinnen kann, auch wenn das an ein Wunder grenzt. Aber Wunder geschehen: Bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl am Sonntag in Berlin legten die Genossen leicht um 0,1 Prozentpunkte zu. Bei den vorbereiteten Sprachregelungen, wie Politiker auf den möglichen Ausgang der Wahl reagieren sollen, wenn Journalisten um eine Stellungnahme bitten, sei ein Zugewinn nicht vorgesehen gewesen, erzählte Walter. »Ein Glück, dass mich niemand angerufen hat. Ich hätte nicht gewusst, was ich sagen soll.«

Walter sprach gut, aber zu lang. Er brachte den Zeitplan durcheinander. Das auf zwei Stunden kalkulierte Programm musste um elf Minuten überzogen werden, die vom Publikum geforderte Zugabe nicht mitgerechnet. Der Saal war gut gefüllt, aber anders als in früheren Jahren nicht bis auf den letzten Platz. Wer nicht dort war, hat etwas verpasst, kann sich aber demnächst im Internet eine Aufzeichnung anschauen.

Besonders hervorzuheben ist der Einsatz der hochschwangeren Janina Gebauer. Der errechnete Termin der Geburt ihres zweiten Sohnes ist bereits in wenigen Tagen. Es hätte sein können, dass sie den Jungen per Sturzgeburt live im Ofenhaus zur Welt bringt. »Ich war auf alles vorbereitet«, sagte sie erstaunlich entspannt.

Hübsch die Szene, in der Bürgermeister André Stahl (Linke) sich selbst spielte, wie er bei einer Sitzung der Stadtverordneten einschläft. Im Traum erscheint ihm eine Fee, die ihm drei Wünsche erfüllen will. Stahl ersehnt glückliche Einwohner, eine erfolgreiche Entwicklung der Stadt und eine Stadtverordnetenversammlung, der genauso daran gelegen ist wie ihm. Beim dritten Wunsch muss die Fee passen. Den könne ihm leider nur der Wähler erfüllen. Sieben von 36 Stadtverordneten stellt in Bernau Die Linke. Wieder mindestens so viele, das wünscht sich der hellwache Fraktionschef Dominik Rabe.

Das gemeinsame Lachen und der Wunsch nach Frieden verbinde, resümierte Rabe. Mit Lutz Kupitz und Dagmar Enkelmann sang er fast zum Schluss noch das Friedenslied »Es ist an der Zeit« von Hannes Wader. Sebastian Walter saß da schon lange wieder im Publikum und stimmte mit ein.

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