Missak Manouchian: Ruhe im Panthéon

Höchste Ehre in Frankreich für einen armenischen Résistancekämpfer: Missak Manouchian

  • Kai Böhne
  • Lesedauer: 4 Min.
Konterfei von Manouchian auf dem Titelblatt der Zeitung »L'Humanité« im Mai 1944
Konterfei von Manouchian auf dem Titelblatt der Zeitung »L'Humanité« im Mai 1944

Ich habe mich der Befreiungsarmee als freiwilliger Soldat angeschlossen und sterbe nur wenige Zentimeter vom Sieg und vom Ziel entfernt. Glück für diejenigen, die überleben und die Freiheit und den Frieden von morgen erleben dürfen.» Diese Sätze stammen aus einem Brief, den der armenische Résistance-Kämpfer Missak Manouchian (1906–1944) am Tag seiner Hinrichtung an seine Ehefrau Mélinée schrieb. Dann fuhr er fort: «Ich bin sicher, dass das französische Volk und alle, die für die Freiheit kämpfen, unser Andenken mit Würde zu ehren wissen.»

Am 21. Februar 1944 wurde Manouchian zusammen mit weiteren 25 Widerstandskämpfern auf dem Mont-Valérien hingerichtet. Unter den Toten waren 22 Mitglieder eines von Manouchian angeführten Partisanennetzwerks sowie drei bretonische Gymnasiasten, die wegen Freischärlertätigkeit verurteilt worden waren. Der Mont-Valérien ist eine Festungsanlage auf einer Anhöhe von 160 Metern zwölf Kilometer westlich von Paris. Die Festung diente der französischen Armee 1870/71 während der Belagerung von Paris als Stützpunkt. Von 1941 bis 1944 nutzte die deutsche Besatzungsmacht die Festungsanlage als Hinrichtungsstätte. Über 1000 Menschen wurden dort erschossen.

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Schon am 26. Mai 2015 hatte die armenische Post Missak Manouchian auf einer Sondermarke verewigt: stehend im Militärmantel mit dem Arc de Triomphe und einem roten Propagandaplakat im Hintergrund. Auf den Tag genau 80 Jahre nach seiner Hinrichtung erinnert La Poste mit am heutigen 21. Februar auf den Markt kommenden vier Briefmarken auf einem Sammlerbeleg an den Überlebenden des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16, der nach Frankreich geflohen ist und dort gegen die deutschen Besatzer gekämpft hat.

Bereits ein Jahr zuvor kam Missak Manouchian die größte Ehre zuteil, die verstorbene Persönlichkeiten in Frankreich erlangen können: Die Urnen mit seiner Asche und der seiner Ehefrau Mélinée wurden in die Pariser Ruhmeshalle Panthéon überführt. Manouchian ist der erste Kommunist und migrantische Widerstandskämpfer dort. Historiker sehen darin eine überfällige Anerkennung der Rolle kommunistischer und ausländischer Partisanen in der Résistance.

Wer auf diese Weise geehrt wird, entscheidet der jeweilige französische Präsident. Unter anderem ruhen die Philosophen Jean-Jacques Rousseau und Voltaire, die Schriftsteller Alexandre Dumas, Victor Hugo, Émile Zola, die Naturwissenschaftler Marie und Pierre Curie und die Politiker Jean Jaurès und Simone Veil im Panthéon auf dem Montagne Sainte-Geneviève. Alle verkörpern französische Kultur und Identität. «Mit Manouchian ziehen alle Armenier, Italiener, Spanier und mitteleuropäische Juden ins Panthéon, die für die Befreiung ihr Leben gelassen haben», äußerte der französische Historiker Denis Peschanski.

Wer war dieser Missak Manouchian? 1906 in der Stadt Adiyaman im Südosten der heutigen Türkei geboren, erlebte er als Kind den Genozid an seinem Volk. Er war neun Jahre alt, als seine Eltern bei den Massakern ums Leben kamen. Mit seinem Bruder konnte er nach Syrien fliehen, dort lebten beide einige Jahre in einem Waisenhaus. Im Libanon lernte Missak seine spätere Frau Mélinée kennen. Gemeinsam machten sie sich 1925 auf den Weg übers Mittelmeer zu Verwandten nach Frankreich. Missak Manouchian fand eine Anstellung beim Automobilhersteller Citroën. Zunächst engagierte er sich auf kultureller Ebene. Bei seiner Ankunft in Frankreich hatte er außer einigen Heftchen mit Gedichten kaum Gepäck bei sich. Anfang der 1930er Jahre gab er mit Freunden nacheinander zwei literarische Zeitschriften heraus.

1934 trat er der Kommunistischen Partei Frankreichs bei. Er blieb weiterhin dem Schicksal seiner Heimat zutiefst verbunden, engagierte sich im Hilfskomitee für Armenien. Während des Spanischen Bürgerkriegs war er auch Mitglied des Hilfskomitees für die Verteidiger der spanischen Republik. Als Mitglied einer Gruppe armenischer Kommunisten arbeitete er als Chefredakteur der Zeitung «Zangou» und 1938 bis 1939 als Sekretär der Armenischen Volksunion, einer Sammelbewegung für die linken Armenier. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurde Manouchian militärischer Leiter der Einwanderergruppe der kommunistischen Partisanenorganisation FTP/MOI des Bezirks Paris. Er beteiligte sich vorbehaltlos am militärischen Kampf. Seine Gruppe unternahm zahlreiche Anschläge gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Im November 1943 wurde Manouchian verhaftet. Seiner Gruppe wurden 56 Anschläge zur Last gelegt. In einem spektakulären Prozess wurde er im Februar 1944 vor einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Die deutschen Bersatzer und das Kollaborationsregime im südfranzösischen Vichy ließen zur Abschreckung tausendfach ein blutrotes Propagandaplakat mit den Porträts der verhafteten und hingerichteten Résistance-Kämpfer aufhängen.

Was als Drohung gedacht war, spornte jedoch den Freiheitkampf der Franzosen und ihrer Verbündeten um so mehr an. Louis Aragon schrieb ein Gedicht mit dem Titel «L’Affiche rouge» (Rotes Plakat), in dem die Widerstandgruppe gewürdigt wurde. Léo Ferré vertonte das Gedicht zu einem Chanson. So sei Manouchian durch Poesie und Melodie schon vor 60 Jahren ins Kollektivgedächtnis der Franzosen eingezogen, meint der Historiker Denis Peschanski. Und das sei noch bedeutsamer als der Einzug seiner sterblichen Überreste in das Panthéon.

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