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Umstrittene Anwerbung

Gewerkschaften wollen aus- und inländische Beschäftigte besser vor Lohndumping schützen

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die rechtsradikalen Remigrationsfantasien sind ein Anschlag auf alle Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland. Sie sind ein Anschlag auf unsere Demokratie, aber auch etwas, das uns ökonomisch schädigt«, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag auf der Konferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zur Fachkräfteeinwanderung. Denn: »Wir brauchen Fachkräfte.« Und zwar rund sieben Millionen bis 2035, schätzt er.

Auch darum hat die Bundesregierung die sogenannte Fachkräftestrategie initiiert, die drei Säulen umfasst: Digitalisierung, Frauen und Migration. So soll neben der Produktivkraftsteigerung, etwa durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, »inländisches Potenzial« besser qualifiziert und nutzbar gemacht werden. Insbesondere Frauen, die überwiegend in Teilzeit beschäftigt sind, müssten mehr arbeiten. Damit könne man 400 000 zusätzliche Fachkräfte generieren, betonte Heil.

Um aber in den nächsten zehn Jahren auf die sieben Millionen zusätzlichen Arbeitskräfte zu kommen, sei auch die qualifizierte Einwanderung zwingend erforderlich. Dafür hat die Bundesregierung eine Reihe von migrations- und integrationspolitischen Maßnahmen und Gesetzen auf den Weg gebracht: ein liberaleres Einbürgerungsrecht, vereinfachte Anerkennungsverfahren für ausländische Qualifikationen, erleichterte Weiterbildungen und die Entfristung der Westbalkanregelung.

Doch die Vorhaben stoßen auf Kritik. So beklagen Unternehmen zu hohe bürokratische Hürden bei der Anwerbung von Arbeitskräften, vorrangig für kleine und mittlere Betriebe. Gewerkschaften fordern dagegen einen besseren Schutz für ausländische Arbeiter*innen. »Ein Großteil derjenigen, die in den vergangenen Jahrzehnten zu uns gekommen sind, hat die größte Drecksarbeit gemacht«, sagte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, am Dienstag. Ein überwiegender Teil mache Arbeit, die schlecht bezahlt sei und körperlich anspruchsvoll, »manchmal in geradezu ausbeuterischen Verhältnissen«, kritisierte sie.

Arbeiter*innen aus Drittstaaten gelten als besonders vulnerabel, weil ihre Aufenthaltsperspektive meist an den Job geknüpft ist. Sie können sich kaum gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Auch erschweren ihnen oft mangelnde Sprachkenntnisse und komplexe Verfahren den Zugang zu ihren Rechten. Unternehmen nutzen das laut DGB aus, um Löhne zu drücken.

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Dies zeigt sich insbesondere an der Westbalkanregelung, die als Vorbild für die Anwerbung von Arbeitskräften aus anderen Regionen gilt. Ziel der seit 2016 geltenden Regelung ist es, »die verdeckte Wirtschaftsmigration aus den Westbalkanländern zu regulieren«, erklärte die Anwältin für Einwanderungsrecht, Bettina Offer. Staatsangehörige der sechs Westbalkanstaaten erhalten damit einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Die Arbeiter*innen brauchen lediglich ein Angebot eines Unternehmens. Und die Arbeitsbedingungen müssen mit anderen Stellen in der Branche vergleichbar sein, was von der Arbeitsagentur geprüft werden muss.

Doch hier liegt aus Sicht der Gewerkschaften das Problem. So stehe zwar auf dem Papier, dass die Löhne auf dem Niveau der branchenüblichen Bezahlung liegen sollen. Doch ist nicht klar geregelt, was das bedeutet. »Und es ist kein einklagbarer Anspruch«, kritisierte Antonius Allgaier von der Gewerkschaft IG BAU. Dadurch könnten die Unternehmen Lohndumping betreiben.

Zudem seien die Kontrollen durch die Arbeitsagentur und den Zoll unzureichend, insbesondere auf dem Bau, bemängelt er. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeitet fast die Hälfte derjenigen, die über die Westbalkanregelung nach Deutschland kommen, in der Baubranche. »Das ist grundsätzlich gut, aber die Integration muss fair stattfinden«, forderte Allgaier.

»Das ist es, was die Leute aufbringt. Wir müssen nicht nur den Rassismus aus den Köpfen kriegen. Ein anderer Teil ist auch die Erfahrung, dass Leute kommen, die die Arbeit mit schlechten Löhnen wegnehmen«, sagte Fahimi am Dienstag. »Wir haben Probleme, in unseren Reihen zu erklären, was an Migration gut ist, wenn es solche ausbeuterischen Verhältnisse gibt«, betonte sie und unterstrich die Forderung nach einer gesetzlichen Verpflichtung zur Tarifbindung für Unternehmen, die Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben.

Dass die Bundesregierung dieser Forderung bald nachkommt, ist unwahrscheinlich. Zwar gestand Arbeitsminister Heil zu, dass die derzeitige Regelung verbesserungswürdig sei. Doch er betonte, dass er mit Blick auf die Arbeitsbedingungen für ausländische Arbeiter*innen vor allem die Unternehmen in der Verantwortung sehe.

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