Baubranche: Lückenhafte Tarifbaustelle

In der Baubranche stehen die Lohnverhandlungen im Schatten der Krise

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Blick nach unten offenbart: Viele Subunternehmer in der Baubranche zahlen nur den gesetzlichen Mindestlohn – sofern er überhaupt ausgezahlt wird.
Ein Blick nach unten offenbart: Viele Subunternehmer in der Baubranche zahlen nur den gesetzlichen Mindestlohn – sofern er überhaupt ausgezahlt wird.

Für die meisten der rund 930 000 Beschäftigten der Baubranche geht es um 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber ein Plus von 500 Euro pro Monat bei einer Tarifvertragslaufzeit von zwölf Monaten. Das fordert jedenfalls die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) in der aktuellen Tarifrunde, die am Donnerstag begonnen hat. »Wir fordern einen Festbetrag, denn es ist uns wichtig, dass vor allem die Beschäftigten der unteren Lohngruppen deutlich mehr Geld im Portemonnaie haben«, sagt Carsten Burckhardt vom IG BAU-Vorstand.

Davon gibt es etliche in der Branche, laut Gewerkschaft handelt es sich um zwei Drittel der Arbeiter*innen. Und aus der Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl (die Linke) an die Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass im Jahr 2022 rund 14 Prozent der Beschäftigten im Baugewerbe einen Niedriglohn verdienten. Der liegt derzeit bei 12,50 Euro pro Stunde. Außerdem war das mittlere Bruttomonatsentgelt mit 3249 Euro fast 400 Euro niedriger als das mittlere Einkommen in der Gesamtwirtschaft.

Durch die hohe Inflation der vergangenen Jahre hat sich die Lage für die Beschäftigten noch einmal verschlechtert: Die unteren Lohngruppen haben in den vergangenen vier Jahren einen Reallohnverlust von knapp drei Prozent erlitten, wie auch aus der Antwort auf eine aktuelle Anfrage des Bundestagsabgeordneten Pascal Meiser (die Linke) an die Bundesregierung hervorgeht. »Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft haben völlig recht, wenn sie kräftige Lohnerhöhungen fordern, die zumindest für einen Inflationsausgleich sorgen«, erklärt Meiser gegenüber »nd«.

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Aus Sicht der IG BAU ist es wegen des Fachkräftemangels auch im Interesse der Unternehmen, die Branche mit höheren Einkommen attraktiv zu halten. »Arbeit gibt es genug: Es müssen Wohnungen gebaut, Straßen und Brücken saniert und Schienen erneuert werden«, betont Burckhardt.

Das sehen die Branchenverbände anders. Zwar wollte sich der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) auf nd-Anfrage nicht zu den laufenden Tarifverhandlungen äußern. Doch im Vorfeld der Gespräche klagten die Branchenverbände über die schlechte Lage: Mehr als die Hälfte der Bauunternehmen leide unter einem Auftragsrückgang.

Grund seien unter anderem teure Baustoffe. Und durch die hohen Zinsen der Zentralbanken sei es schwierig für Projektentwickler, an günstige Kredite zu gelangen. Von einer Krise der Baubranche ist gar die Rede. Laut Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB, sind die negativen Folgen im Wohnungsbau schwerwiegend. Die beiden Bauverbände ZDB und Deutsche Bauindustrie kündigten an, dass aufgrund der schlechten Aussichten bis zu 40 000 Stellen abgebaut werden könnten.

Im Tiefbau sieht es hingegen etwas besser aus. Hier legte die Zahl der Aufträge im bisherigen Jahresverlauf im Vergleich zum Vorjahr um knapp 27 Prozent zu, wie der ZDB mitteilte. Verantwortlich sind dafür vor allem der Stromtrassenausbau, große ÖPNV-Projekte und der Schienenbau der Deutschen Bahn. »Im Ergebnis bewegt sich die Bauwirtschaft weiter im Spannungsfeld zwischen Fachkräftesuche einerseits und drohendem Kapazitätsabbau andererseits«, heißt es.

Auf nd-Nachfrage wollten die Branchenverbände die Zahlen zum Stellenabbau indes nicht näher konkretisieren. Anzunehmen ist, dass es vor allem um Beschäftigte im Hoch- und Wohnungsbau geht. Da dürfte es primär migrantische Arbeiter aus Osteuropa oder den Westbalkanländern treffen, die oft in unregulierten Verhältnissen tätig sind. Die Dunkelziffer ist groß.

Das Bauhauptgewerbe ist durch ein unübersichtliches Geflecht aus Subunternehmen geprägt. Die großen Bauunternehmen treten dabei in der Regel als Hauptauftragnehmer auf, haben aber selbst nur einen kleinen Kern an eigenen Beschäftigten. Einen Großteil der Aufträge wickeln sie über Werkvertragsunternehmen ab, die oftmals nur den gesetzlichen Mindestlohn zahlen.

Sofern dieser überhaupt ausgezahlt wird. Denn in Krisen – wie derzeit – wird bei den prekär beschäftigten migrantischen Arbeitern zuerst gespart, wie es aus Gewerkschaftskreisen heißt. Teilweise würden die Löhne einbehalten, Überstunden nicht gezahlt. Für die abhängig Beschäftigten ist es schwer, sich zu wehren. Oftmals hängt ihr Aufenthaltsstatus am Job, wenn sie etwa über die Westbalkanregelung nach Deutschland gekommen sind.

Die unregulierten Arbeitsverhältnisse haben zudem verheerende Auswirkungen auf die Tarifbindung. Während die großen Unternehmen in der Regel tarifgebunden sind, ist dies bei den Subunternehmen kaum der Fall. Doch das ist aufgrund des intransparenten Auftragsgeflechts schwer zu überblicken. Aus dem Statistischen Bundesamt heißt es auf nd-Anfrage, dass keine Informationen über die Tarifbindung im Bauhauptgewerbe vorlägen.

Auch darum hat das Bundesarbeitsministerium im Juli vier Tarifvertragsregelungen für allgemein verbindlich erklärt, darunter eine Inflationsausgleichsprämie, Regelungen über die Ausbildungsvergütung und über die maximale Arbeitszeit. Für Ferschl von der Linkspartei geht das nicht weit genug. »Die Bundesregierung muss das versprochene Tariftreuegesetz endlich auf den Weg bringen«, fordert sie. Danach sollen Auftragnehmer eines öffentlichen Vergabeverfahrens unter die Tarifpflicht fallen.

Da die Arbeitgeber kein Angebot vorgelegt hätten, endete die erste Verhandlungsrunde ergebnislos, wie die IG BAU am Donnerstag erklärte. Die Gespräche werden am 5. März fortgesetzt. Der aktuelle Tarifvertrag ist noch bis Ende März gültig.

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