Berliner Clubgewerkschaft: Organizing unter der Diskokugel

Berliner Clubarbeitenden-Gewerkschaft gegründet

Nicht nur Nachtschichten prägen die Clubarbeit entscheidend. Die Berliner Clubarbeitenden-Gewerkschaft (BCG) will darauf nun Einfluss nehmen.
Nicht nur Nachtschichten prägen die Clubarbeit entscheidend. Die Berliner Clubarbeitenden-Gewerkschaft (BCG) will darauf nun Einfluss nehmen.

Jedes Wochenende bewegen sich Tausende Berliner*innen und Tourist*innen durch die Clubs der Hauptstadt. An den Orten, an denen nachts und zuweilen auch am Tag gefeiert wird, arbeiten auch Menschen – viele von ihnen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gleichzeitig werden die Clubs in der Regel als privatwirtschaftliche Unternehmen geführt. Wer »nd« liest, weiß, dass in derlei Betrieben in der Theorie und oft auch in der Praxis Interessengegensätze wirken.

Die Berliner Clubarbeitenden-Gewerkschaft (BCG), die sich Ende 2023 gegründet hat, ist nun angetreten, um als »politisches Sprachrohr« für die Clubarbeiter*innen zu fungieren, wie es der Sprecher der BCG im Gespräch mit »nd« ausdrückt. Auch er arbeitet in einem Berliner Club und will gegenüber seinem Arbeitgeber (noch) anonym bleiben. Entstanden sei die Idee aus einer Gruppe ehemaliger Kolleg*innen, die sich an ihrem Arbeitsplatz organisieren wollten, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ohne konkrete Namen zu nennen, spricht die BCG von Mitgliedern in fast allen Berliner Technoclubs. In einem sei bereits mehr als die Hälfte der Kolleg*innen Mitglied der BCG. Insgesamt liege die Mitgliedschaft »im mittleren zweistelligen Bereich«, sagt der Sprecher. »Dabei kommen unsere Mitglieder aus allen Gewerken: Techniker, Runner, Barkeeper, Garderobenkräfte, Awareness und Security.«

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»In der Szene herrschen teilweise mittelalterliche Arbeitsverhältnisse.« Die meisten Einkommen seien auf Mindestlohnniveau oder knapp darüber. Der Sprecher erwähnt 13 oder 14 Stunden lange Schichten und Doppelschichten, also eine Unterschreitung der für die Gastronomie schon herabgesetzten notwendigen Ruhezeit von zehn Stunden. In der Tendenz herrsche Saisonarbeit mit einer hohen Fluktuation an den Arbeitsplätzen. Das stelle die Gewerkschaft vor Herausforderungen, da »wir nicht sicher sein können, dass Menschen, die nächstes Jahr in den Clubs arbeiten, noch die sind, die wir dieses Jahr als Mitglieder gewonnen haben«. Die meisten Clubs würden nur Mini- oder Midijobverträge abschließen, weswegen jene, die nur von Clubarbeit leben, normalerweise mehrere Jobs in verschiedenen Clubs hätten.

Den Dreisatz aus »Bilden, Vereinigen und Grundrechte durchsetzen« habe sich die BCG für das erste Jahr zum Ziel gesetzt – und natürlich Wachstum. Man wolle ansetzen an den Erfahrungen, die es in der Branche schon gibt. Einerseits hätten sie selbst schon mit vielen branchenspezifischen Problemen umzugehen gelernt, woraus sich eine Expertise für Kolleg*innen ergebe. Andererseits wolle man bei Betriebsratsgründungen unterstützen, in Kooperation mit bestehenden Betriebsratsstrukturen – zum Beispiel im Berghain oder Schwuz.

Tarifverträge oder gar Streiks seien aufgrund des Entwicklungsstandes der BCG nicht angedacht, es gehe eher darum, Hilfe zur Selbsthilfe bereitzustellen und Sichtbarkeit zu erzeugen, sodass die Kolleg*innen aller Clubs von der Gewerkschaft erfahren. Die Mitgliedschaft kostet fünf Euro im Monat, dafür biete die BCG Kontakt zu Kolleg*innen in fast alle Clubs. Darüber hinaus sei man erfahren mit den spezifischen Problemen der Branche. »Wir haben Kooperationen mit Anwält*innen aufgebaut.«

Zahlreiche sozial- und kulturwissenschaftliche Studien widmen sich der Berliner Clubkultur, als Wirtschafts- und Arbeitssektor ist die Branche hingegen kaum erfasst. Eine Untersuchung der Berliner Clubcommission von 2019 im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft ergab, dass etwa 9000 Beschäftigte einen Jahresumsatz von 168 Millionen Euro erarbeiten. In ganz Berlin ließen die Clubtouristen etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht einem Prozent des Berliner Bruttoninlandsprodukts in diesem Jahr.

Die BCG beobachtet in der Fläche Rechtsbrüche. Beispielsweise mit Blick auf die Schichtplanung: »Es passiert sehr oft, dass Beschäftigte nachts zur Arbeit fahren und wenn sie beim Büro des Abenddienstleiters angekommen sind, erfahren: ›Die Party ist gar nicht so groß geworden, wie wir sie geplant hatten, du musst wieder nach Hause fahren.‹« Arbeitsrechtlicher Standard wäre es dann, dass die Schicht trotzdem bezahlt wird – bei Absagen bis zu vier Tagen vor der Veranstaltung. In der Clubwirtschaft hingegen sei es die Ausnahme, wenn Clubs mal die Hälfte einer kurzfristig abgesagten Schicht bezahlen.

»Wir haben viele migrantische Kolleg*innen«, sagt der BCG-Sprecher, »da müssen wir sehen, dass sie nicht aufgrund mangelnder Sprach- und Rechtskenntnisse mehr unterdrückt werden als ohnehin schon in der Wirtschaft.« Gerade in der Personalpolitik beobachte die BCG, dass rassistische Muster bei Neueinstellung zum Tragen kämen.

Mit den etablierten Gewerkschaften sei man nicht zusammengekommen, weil diese wenig mit der BCG zu tun haben wollten. Die Anforderungen, die sie gestellt hätten, seien sehr, sehr schwierig zu erreichen gewesen.

Henrik R. Grunert, Betriebsratsvorsitzender des Schwuz sagte »nd«, er verfolge die Entwicklungen um die BCG mit großem Interesse. Der Betriebsrat des Schwuz stehe »uneingeschränkt hinter der Gründung einer Gewerkschaft für Personen innerhalb der Club-Szene, die sich speziell für die Rechte und Bedürfnisse unserer nachtarbeitenden Kolleg*innen einsetzt«. Der Betriebsrat habe sich intern dazu verpflichtet, so Grunert, die BCG mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.

Um die Gewerkschaft und die Interessen der Clubbeschäftigten bekannt zu machen, plant die BCG als nächste öffentliche Etappe am Tag der Arbeit eine Rave-Parade. Die Teilnehmer*innen sollen vorher noch zur klassischen Gewerkschaftsdemo gehen können. Man habe jedoch bewusst eine Überschneidung mit der Revolutionären 1.-Mai-Demo gewählt, »weil wir als Syndikalist*innen der Meinung sind, dass Arbeitskampf auch Inhalte braucht und nicht nur eine große Menge von Leuten. Wir wollen auf syndikalistische Arbeit hinweisen und zeigen, dass wir uns mit Themen auseinandersetzen sollten, die uns und unser Umfeld betreffen. Denn das ist der Punkt, wo wir am meisten verändern können.«

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