»Wir waren Kumpel«: Job weg, und nun?

Der Dokumentarfilm »Wir waren Kumpel« ist eine präzise Beobachtung gesellschaftlicher Zustände und Veränderungen

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch im Jahr 2023 schließen noch Zechen – Angestellte verlieren ihre Jobs und manchmal damit auch ihre (männliche) Identität.
Auch im Jahr 2023 schließen noch Zechen – Angestellte verlieren ihre Jobs und manchmal damit auch ihre (männliche) Identität.

Während die Energiewende zwar stockend und viel zu langsam vorankommt, sind von den Veränderungen in der Industrialisierung hierzulande naturgemäß jene besonders betroffen, deren Arbeitsplätze mit dem Bergbau in Zusammenhang stehen. Nun ist der Niedergang dieser Branche beileibe keine neue Entwicklung, aber auch im Jahr 2023 schließen noch Zechen, verlieren Angestellte ihre Jobs, denen sie oft jahrzehntelang nachgegangen sind.

Damit werden die meist schon älteren (hauptsächlich) Herren in eine moderne Arbeitsgesellschaft geworfen, in der ihre Fertigkeiten nicht mehr benötigt werden und in der traditionelle soziale Strukturen verschwinden, die die langjährigen Arbeitsplätze geboten haben. Wie diese Menschen diese extremen Umwälzungen erleben und wie sie damit umgehen, das dokumentiert anhand einiger Beispiele der Film »Wir waren Kumpel«, der ab diesem Donnerstag in den Kinos zu sehen ist.

Der Film ist trotz einiger Längen durchaus aufschlussreich, denn was uns hier aus der Nähe gezeigt wird, ist nicht weniger als die kapitalistische Kleinbürger- und Lohnarbeitshölle – und die Menschen, die sich darin bewegen (müssen). Zunächst begleiten wir Wolfgang Herrmann (Locke) und Marco Edelmann (Langer), zwei langjährige Kumpel, also Angestellte eines Bergbaukonzerns, die noch wirklich unter Tage schuften. Wir sehen sie mit schwarzen Gesichtern und schließlich unter der Dusche, wie sie sich gegenseitig die Rücken schrubben. Doch die Zeche schließt, Locke und Langer verlieren ihre Jobs und damit auch ihre (männliche) Identität.

Wo Spitznamen wie Locke und Langer in der rauen Unterwelt des Tagebaus noch schnorrige Derbheit und maskuline Selbstironie dargestellt haben mögen, sind solcherlei Altherrenschrullen außerhalb des sozialen Raums der Zeche nichts weiter als eine anachronistische Lächerlichkeit. Und so haben Locke und Langer, aber auch drei weitere Protagonisten, die ebenfalls ihren Job bei Bergbauunternehmen verloren haben, unter ihnen die Transperson Martina, mit dem Verlust vieler sozialer und identitärer Sicherheiten zu kämpfen.

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Der Film ist zweigeteilt – im ersten Teil sehen wir die letzten Wochen der Zechen, im zweiten Teil begleiten die Regisseure Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek ihre Protagonist*innen dabei, wie sie ihr Leben neu organisieren. Dabei verbinden Koch und Matauschek die klassische dokumentarische Form mit narrativen Einflüssen, einige Szenen sind offensichtlich gestellt, um einen Erzählfluss zu erzeugen. Letzteres funktioniert allerdings nur bedingt, eine spannende Geschichte will nie wirklich entstehen. Vor allem der Versuch, den Dokumentarfilm in eine Art Roadmovie münden zu lassen, scheitert an der Banalität der Vorgänge: Die Frankreich-Reise von Locke und Langer im Wohnmobil erinnert stark an Filmchen von Familienurlauben und Ähnlichem, und wer außer den Beteiligten will so etwas sehen?

Stark ist der Film dann, wenn er mit etwas Abstand dokumentiert. Wo ein verschrobener Charakter wie der ewige Junggeselle Thomas, der im fortgeschrittenen Alter noch immer bei der Mutter wohnt, oder der aus Sri Lanka eingewanderte Kiri, der ein breites Westfälisch mit sri-lankischem Akzent spricht, oder die Transfrau Martina in der schroffen, aber herzlichen Männerwelt des Bergbaus einen Großteil ihres sozialen Lebens verbracht und dort auch eine Art Safe Space vorgefunden haben, fühlt sich die Welt außerhalb des Lohnarbeitsgefängnisses ziemlich fremd an. Während sich Thomas nun seiner dominanten Mutter stellen muss, kämpft Locke zu Hause mit dem Staubsauger und zugleich mit der stark pubertierenden Tochter, und als er sie auffordert, sich an der Arbeit zu beteiligen, schreit sie ihn an, er solle sich einen Job suchen und sie nicht nerven.

Aber wir sehen auch dabei zu, wie sich diese Menschen emanzipieren, wie sie anfangen, in sich selbst mehr zu erkennen als einen Mehrwertproduzenten. Der Lange fährt jetzt Schulbusse und betont beharrlich (und nicht ganz zu Unrecht), wie wichtig dieser Beruf sei. Locke organisiert besagte Frankreich-Reise und interessiert sich für Umweltfragen, Martina findet einen neuen Job im Salzabbau. Ihre Geschichte ist vielleicht die interessanteste im Film, weil man an ihr gut beobachten kann, wie progressiv solche klassischen Arbeiter*innengruppen und -kollegien oft sind beziehungsweise waren und wie wichtig solche sicheren sozialen Räume sind. Ihre Veränderung wird von den Kolleg*innen mehr oder minder problemlos akzeptiert, auch wenn sie nach ihrer Geschlechtsangleichung allen Ernstes gefragt wurde, ob sie denn jetzt noch Mettbrötchen mitessen wolle.

»Wir waren Kumpel« ist eine ziemlich präzise Beobachtung gesellschaftlicher Zustände und Veränderungen. Und auch wenn die Protagonist*innen allesamt Sympathieträger sind (es wäre vielleicht auch interessant gewesen, eine*n Arbeiter*in zu begleiten, der/die sich zur AfD oder anderen faschistischen Bewegungen und Parteien hingezogen fühlt), ist das ein Film mit diskursivem Potenzial, dem ein reges Publikumsinteresse zu wünschen ist.

»Wir waren Kumpel«, Deutschland 2023. Regie und Buch: Christian Johannes Koch, Jonas Matauschek. 104 Min. Kinostart: 29. Februar.

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