Bürgermeister in Großschirma: Nächstes Rathaus in AfD-Hand

Der AfD-Politiker Rolf Weigand gewinnt die Bürgermeisterwahl im sächsischen Großschirma

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Rolf Weigand (l.) und AfD-Landeschef Jörg Urban bei der Vorstellung einer Kampagne gegen angebliche »Frühsexualisierung«
Rolf Weigand (l.) und AfD-Landeschef Jörg Urban bei der Vorstellung einer Kampagne gegen angebliche »Frühsexualisierung«

Vor wenigen Tagen hat mit Tim Lochner in Pirna der erste Oberbürgermeister der AfD in Sachsen sein Amt angetreten; jetzt hat die Partei den zweiten Chefposten in einer kommunalen Verwaltung erobert. Der bisherige Landtagsabgeordnete Rolf Weigand gewann die Bürgermeisterwahl in Großschirma im Landkreis Mittelsachsen. Er setzte sich im ersten Wahlgang mit 59,4 Prozent gegen zwei Mitbewerber durch. Die Wahlbeteiligung betrug 73 Prozent.

Weigand trat formal als Einzelbewerber an; auf seinen Plakaten fehlte das Logo der AfD, deren Landesverband in Sachsen vom Verfassungsschutz als »erwiesen rechtsextremistisch« eingestuft wird. Seine Parteimitgliedschaft ist aber in der gut 5500 Einwohner zählenden Gemeinde, zu der die Kleinstadt Siebenlehn gehört, bekannt. Nach seinem Erfolg feierten Landeschef Jörg Urban und Bundesvorsitzende Alice Weidel den neuerlichen kommunalpolitischen Triumph der AfD. Diese stellt neben Pirna bereits einen Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt sowie den Landrat im thüringischen Sonneberg. Bei der OB-Wahl in Nordhausen und der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spree waren AfD-Erfolge jeweils im zweiten Wahldurchgang verhindert worden. Dazu kam es in Großschirma nicht.

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Die Abstimmung in Großschirma hat eine tragische Vorgeschichte. Sie wurde notwendig, weil sich der bisherige Amtsinhaber Volkmar Schreiter (FDP) im Dezember das Leben genommen hatte. Als einer der Gründe wurde das zunehmend vergiftete Klima in der Kommunalpolitik angeführt. Zu diesem habe auch Weigand beigetragen, der Schreiter bei der Rathauswahl 2018 noch unterlegen war. Die »Freie Presse« zitierte kürzlich einen Stadtrat mit der Aussage, der AfD-Mann habe dem Bürgermeister »den Krieg erklärt und nur nach der nächsten Gelegenheit gesucht, ihn anzuzählen«. Verwiesen wird auf mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden. Rico Gebhardt, Fraktionschef der Linken im Landtag, schrieb nach Weigands jetzigem Wahlerfolg ernüchtert, die extrem rechte Ausrichtung der Landespartei scheine »den Leuten egal zu sein«, wie auch der Umstand, »dass er wohl einen Anteil am Selbstmord seines Vorgängers hatte«.

Der 39-jährige künftige Rathauschef kam 2018 als Nachrücker für den in den Bundestag gewechselten Heiko Hessenkemper in den Landtag, einen Professor der Bergakademie Freiberg, dessen Doktorand Weigand gewesen war. 2019 gewann er das Direktmandat mit 33,7 Prozent. Als Abgeordneter sorgte er wiederholt für Schlagzeilen. 2018 gehörte er zu den Initiatoren der sächsischen Variante eines »Lehrer-Prangers«, auf dem Pädagogen denunziert werden sollten, die sich politisch angeblich nicht neutral verhalten. CDU-Kultusminister Christian Piwarz hatte von »ekelhafter Gesinnungsschnüffelei« gesprochen. Später sorgte eine Anfrage für Wirbel, mit der Weigand von der Landesregierung Zahlen zu »Frauen im gebärfähigen Alter« erbat, und zwar »aufgeschlüsselt nach Nationalitäten«. 2023 gehörte er zu den Köpfen hinter einer Kampagne gegen angebliche Frühsexualisierung von Kindern unter dem Titel »Genderwahn im Stundenplan«. Eines der geplanten Plakatmotive zeigte einen Teddybär mit Plüschpenis.

Ungute Erfahrungen mit Weigand hat auch das soziokulturelle Zentrum »Treibhaus« in Döbeln gemacht. 2019 warf er dem Verein vor, »offen mit linksextremen Gruppen« zu sympathisieren und Fördergeld zum »Kampf gegen den Staat« einzusetzen. Folge war, dass der Kulturraum Mittelsachsen die Förderung zurückstellte. Das Kulturbüro Sachsen wertete die AfD-Kampagne als »Präzedenzfall« dafür, wie die Partei als Konsequenz aus kommunalpolitischer Stärke ihr ungenehme Vereine politisch und finanziell behindern könne. Kulturbüro-Geschäftsführer Michael Nattke sagte jetzt dem »nd«, Weigand habe »maßgeblich« die Politik der AfD in Sachsen mitgeprägt und sei durch extrem rechte Positionen aufgefallen: »Die kommunale Aufsichtsbehörde sollte im Falle Großschirma zumindest einmal prüfen, ob bezüglich der Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit bei Herrn Weigand überhaupt eine Eignung für das Bürgermeisteramt gegeben ist.«

Der AfD dürfte der Erfolg in Großschirma Rückenwind für die Kommunalwahl am 9. Juni verleihen. Dann werden in Sachsen alle Stadt- und Gemeinderäte sowie Kreistage gewählt. Schon 2019 war sie etwa in den Kreistagen Bautzen und Görlitz stärkste Kraft geworden. Für die Abstimmung im Juni wird ein weiterer Rechtsruck befürchtet. Der Appell von Grünen-Landeschefin Christin Furtenbacher wirkt daher ein wenig wie ein frommer Wunsch. Sie appellierte an die Bürger in Großschirma, bei der Kommunalwahl für eine »starke demokratische Mehrheit im Stadtrat« zu sorgen. Bisher sitzen dort acht Vertreter dreier Wählergruppen, zwei Räte von SPD/Grünen, ein CDU-Mann und sieben AfD-Leute.

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