Görlitzer Park: »Wir wollen keinen Flutlichtrasen«

Stadtforscherin Stephanie Bock über Parks als Angsträume und die Instrumentalisierung feministischer Anliegen beim Thema Görli-Zaun

  • Interview: Nora Noll
  • Lesedauer: 7 Min.
Bei einem Großeinsatz leuchtet die Polizei den Görlitzer Park aus.
Bei einem Großeinsatz leuchtet die Polizei den Görlitzer Park aus.

Frau Bock, Sie haben als Urbanistin viel zu Gender Mainstreaming in der Stadtplanung geforscht. Was würden Sie sagen: Ist der Zaun um den Görlitzer Park ein feministisches Anliegen?

Nein, das ist kein feministisches Anliegen. Ein Zaun ist eine einfache Antwort auf ein komplexes Problem, das auch etwas mit Sicherheit zu tun hat. Aber das ist keine Lösung. Aus der Perspektive einer feministischen Stadtplanung ist niemandem damit geholfen, wenn man Bereiche absperrt, die einzelne Bevölkerungsgruppen als unsicher ansehen oder die für bestimmte Gruppen gefährlich sind. Man muss davon ausgehen, dass eine Absperrung das Problem natürlich nur in bestimmte andere Räume verschiebt. Ein gesellschaftliches Problem lässt sich auf diese Weise nicht lösen.

Nun gibt es ja viele Parks, die nachts kein besonders wohliges Gefühl vermitteln.

Ja, es wird wahrscheinlich nur wenige toughe Frauen und auch nicht so viele Männer geben, die sagen, natürlich laufe ich abends alleine durch den Tiergarten. Mir persönlich geht es auch so, selbst wenn ich mit dem Fahrrad fahre, nehme ich lieber die beleuchteten Wege, weil es mir sonst einfach zu dunkel ist.

Interview

Stephanie Bock forscht am Deutschen Institut für Urbanistik im Bereich Stadtentwicklung, Recht und Soziales. Sie hat sich schon früh mit Gender-Aspekten in der räumlichen Planung befasst und gilt zudem als Expertin für das Thema Beteiligung.

Also braucht es für den Görli Licht statt Zaun?

Es ist auf jeden Fall wichtig, dass manche Bereiche gut ausgeleuchtet sind. Wir stellen ja immer wieder fest: Unsere Straßen sind fantastisch ausgeleuchtet, obwohl die Autos auch noch Scheinwerfer haben. Auf den Fußwegen ist es oft schon viel dunkler. Aber helle Beleuchtung macht nur bei den großen Querungswegen Sinn oder bei den Wegen, die viel zum Joggen genutzt werden. Je attraktiver diese sind, umso mehr Menschen nutzen sie, was dann wiederum die zumindest gefühlte soziale Kontrolle vergrößert. Aber es sollte auch unbeleuchtete Stellen geben, an denen Menschen sich zurückziehen können, wenn sie nicht auf dem Präsentierteller sitzen wollen – solange ich nicht darauf angewiesen bin, diese zu queren, und sofern es alternative Wege gibt. Man kann und sollte nicht an jeder Stelle einen Scheinwerfer aufstellen, wir wollen keinen Flutlichtrasen im Park. Es heißt also, differenziert hingucken und sich überlegen: Welche Nutzung will ich hier für wen ermöglichen?

Haben Sie Parks im Kopf, die mit all diesen Bedenken gut gestaltet wurden?

Wir schauen immer gerne nach Österreich, denn die Österreicher*innen haben sich schon sehr früh mit frauengerechten Planungsansätzen auseinandergesetzt. In der Seestadt Aspern in Wien hat man zum Beispiel nach solchen Kriterien Parks geplant. Aber wir spüren ja selbst, was einen schönen Park auszeichnet, wenn wir dort unterwegs sind und feststellen: Ist eigentlich ganz okay hier, ich fühle mich wohl, ich kann mich gut und gerne bewegen, ich habe keine Angst.
Aber man muss auch immer wieder betonen: Die Gefahr, dass ich zu Hause Opfer sexualisierter Gewalt werde, ist bedeutend höher, als dass ein Mann hinterm Busch hervorspringt. Man unterscheidet hier zwischen gefühlter Sicherheit und dem tatsächlichen Risiko, Gewalt zu erfahren. Aber es ist auch ein legitimes Anliegen, sich im öffentlichen Raum sicher und wohl zu fühlen.

Was sind weitere typische Angsträume, mit denen sich die feministische Urbanistik befasst?

Was immer angesprochen wird, sind Unterführungen. Es macht einen großen Unterschied, wenn eine Unterführung heller gestaltet wird, breitere Zugänge hat und an schlecht überschaubaren Stellen Spiegel hängen. Da hat sich zum Glück mittlerweile einiges verändert. U-Bahn-Zugänge und manchmal auch Haltestellen gehören ebenfalls zu diesen Angsträumen, und lange Brücken, auf denen ich nach links und rechts keine Möglichkeit habe auszuweichen und es keine Wohnhäuser in Sichtweite gibt. Angst machen monofunktionale Räume, in denen sich Frauen sehr ausgesetzt fühlen. Aber es geht auch vielen jüngeren Männern so, denn diese werden zwar seltener belästigt, aber erfahren statistisch betrachtet mehr körperliche Gewalt im öffentlichen Raum.

Eine komplett angstfreie Stadt wird aber nicht funktionieren, oder?

Nein, das glaube ich auch nicht. Aber es ist wichtig, dass sich bestimmte Wege und Orte sicher anfühlen. Das heißt zum Beispiel, die Bushaltestelle sollte dort sein, wo noch ein paar Geschäfte und Wohnhäuser drum herum sind und man nicht ganz alleine irgendwo in der Pampa steht.

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Mal abgesehen von gefühlt unsicheren Orten – wo wird der öffentliche Raum tatsächlich besonders gefährlich für Frauen?

Für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen wird es auf jeden Fall nicht leichter, sich in der Stadt zu bewegen. Da gibt es auch eine geschlechtsspezifische Benachteiligung, weil wir aus vielen Mobilitätsstudien wissen, dass mehr Frauen sowie ältere Menschen und Kinder zu Fuß gehen. Beim Fahrradfahren verteilt sich das bereits etwas anders, aber am Ende ziehen die Fußgänger*innen im heiß umkämpften Straßenraum den Kürzeren und sind besonders gefährdet. Was nun gezielte Gewalt im öffentlichen Raum betrifft, sind nicht Frauen per se besonders gefährdet. Da sehen wir viel mehr homophobe oder rassistische Angriffe.

Um zur Debatte um den Görlitzer Park zurückzukommen: Ein Zaun wird offensichtlich weder die gefühlte noch die tatsächliche Sicherheit aller Beteiligten erhöhen. Wenn wir uns nun aber nicht nur auf den Park, wie es der Senat tut, sondern uns den Wrangelkiez rund um den Görli anschauen und die drogenbedingte Gewalt und Beschaffungskriminalität – was kann Stadtplanung tun, damit sich alle Menschen dort wohler fühlen können?

Das ist eine schwierige Frage. Ich würde sagen, dass das kein stadtplanerisches Thema ist, sondern eine soziale Fragestellung, wie beispielsweise mit dem Drogenproblem umgegangen wird. Es geht um Fragen wie: Wo halten sich Konsument*innen auf, wo konsumieren sie, wo wird verkauft? Die Stadtplanung kommt dann erst ganz zum Schluss. Trotzdem gibt es kleinere Ansätze, mit denen ein Ort so gestaltet werden kann, damit nicht eine bestimmte Gruppe den Raum zu sehr dominiert. Der Nettelbeckplatz in Wedding wurde zum Beispiel so umgestaltet, dass jetzt verschiedene Menschen den Platz nutzen. Alkoholabhängige finden dort genauso ihre Ecke wie andere Gruppen.

Dort gibt es die großen runden Sitzflächen um die Bäume herum, nicht wahr?

Ja, und ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich den Platz sehe, weil sich dort ganz unterschiedliche Menschen aufhalten. Daran wird bereits im Kleinen sichtbar, dass es nicht mit Ausgrenzung funktioniert, sondern es andere Lösungen braucht.

Die schwarz-rote Koalition setzt mit der Umzäunung auf eine stadtplanerische Lösung – ohne jegliche Beteiligung der Menschen, die im Wrangelkiez leben und davon betroffen wären. Sie forschen zu Beteiligungsverfahren. Was macht das mit einem Kiez, wenn ein Projekt derart von oben übergestülpt wird?

Es kann ganz unterschiedliche Reaktionen erzeugen. Bei den einen führt es zu Politikverdrossenheit, weil sie vermittelt bekommen: Es ist egal, was ihr denkt und meint. Der Rückzug ins Private, den es sowieso schon gibt, wird dann noch größer. Es kann aber auch Protest animieren und zu Kreativität anregen, wenn die Gemeinschaft stark genug ist, ihre eigenen Ideen vorzubringen. Meistens ist es so, dass es einen im Verlauf des Prozesses wieder einholt, wenn man am Anfang auf Beteiligung verzichtet. Man kann sie nicht einfach überspringen, auch wenn es schnell gehen soll, denn dann finden die kritischen Stimmen einen anderen Weg und das Thema kommt trotzdem auf.

Kommen durch Beteiligungsverfahren dann auch gerechtere und feministischere Lösungen heraus?

Das ist so eine Sache. Beteiligungsverfahren sind oft ein sozial selektiver Prozess, zumindest klassische Verfahren sprechen ein bestimmtes Milieu an, das sich informiert und davon ausgeht, etwas beitragen zu können. Andere Gruppen fühlen sich im Unterschied dazu nicht angesprochen, bekommen es nicht mit, oder haben keine Zeit. Die Beteiligungsstarken sprechen aber nicht automatisch für das Allgemeinwohl, sondern verfolgen ihre Interessen, was erst einmal auch in Ordnung ist. Eine gute Beteiligung setzt deshalb voraus, im Vorfeld zu reflektieren, welche Gruppen teilnehmen sollen, welche fehlen und wie sich diese über Multiplikator*innen oder andere Formate einbinden lassen. Wenn Beteiligungsverfahren oder auch Bürgerräte entsprechend besetzt werden, zeigen Studien, dass sie durchaus Ergebnisse produzieren, die sehr gemeinwohlorientiert sind.

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