Stromnetzausbau in Staatshand

Der Bund plant die Übernahme des größten Betreibers in Deutschland: Tennet TSO

Es ist möglicherweise nur noch eine Frage von Tagen: Die Bundesregierung plant die Übernahme des deutschen Stromnetzes des niederländischen Konzerns Tennet. Laut Medienberichten, die sich auf Insider beziehen, steht der Vorgang kurz vor dem Abschluss. Demnach soll die staatliche Förderbank KfW den Milliardendeal vollziehen, da dies den Haushalt nicht belasten würde und der Klimafonds derzeit ja gesperrt ist.

Berlin selbst hält sich bedeckt. »Wir haben da keinen neuen Stand«, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums Anfang der Woche. Von Tennet heißt es schon länger, dass eine Vereinbarung in diesem Jahr sehr wahrscheinlich sei. Die Gespräche mit der Bundesregierung und der KfW würden fortgesetzt, sagte Finanzchefin Arina Freitag. Um welchen Preis es geht, ließ sie offen. »Je höher, desto besser«, so ihre Botschaft. Der Wert des Deutschland-Geschäfts von Tennet wurde im vergangenen Jahr auf 20 bis 25 Milliarden Euro taxiert, die Nettoschulden liegen zurzeit bei 16 Milliarden.

Das Deutschland-Geschäft wird vom Tochterunternehmen Tennet TSO mit Sitz in Bayreuth betrieben. Ende 2009 verkaufte der Eon-Konzern im Zuge der von der EU-Kommission geforderten eigentumsrechtlichen Entflechtung sein hiesiges Stromnetz an das niederländische Staatsunternehmen. Das ehemalige Eon-Netz zieht sich von Schleswig-Holstein über Niedersachsen und Hessen bis nach Bayern auf einer Gesamtlänge von gut 13 500 Kilometern. Tennet TSO ist damit nicht nur der größte der vier Betreiber von Höchstspannungsnetzen in Deutschland, sondern verbindet auch große Windparks an der Küste und auf dem Meer im Norden mit industriellen Großverbrauchern im Süden.

Dass die Niederländer ihre Deutschland-Sparte verkaufen wollen, ist schon länger bekannt. Die Anforderungen an den Netzausbau im Rahmen der Energiewende sind gewaltig. Im vergangenen Jahr hat Tennet laut gerade veröffentlichten Zahlen seine Investitionen in den Onshore- und Offshore-Netzausbau um 70 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro erhöht, wovon fast zwei Drittel auf Deutschland entfielen. Der zehnjährige Investitionsplan des Unternehmens für den Zeitraum 2024 bis 2033 beläuft sich auf insgesamt 160 Milliarden Euro, wovon ein Großteil auf die Bundesrepublik entfällt. Die Finanzierung möchte man dem niederländischen Steuerzahler nicht zumuten.

Neben den riesigen Summen ist ein Problem, dass gar nicht klar ist, wie viele zusätzliche oder verstärkte Stromautobahnen in Deutschland letztlich überhaupt gebraucht werden. Der Bedarf würde erheblich kleiner ausfallen, sollte sich Bayern dazu durchringen, den Ausbau der Windenergie vor Ort zu forcieren. Vor allem aber ist unklar, wie das Energiesystem der Zukunft hierzulande genau aussehen wird: Kommt es zu einer weitgehenden Elektrifizierung der Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr? Wie groß wird der Bedarf an grünem Wasserstoff sein, der dereinst durch aufgepeppte Gasnetze transportiert werden soll? Und wie intensiv sollen Technologien zur CO2-Abscheidung zum Einsatz kommen, die die Nutzung fossilen Energien weiterhin erlauben würden?

Gewisse Planungssicherheit soll der neue Netzentwicklungsplan bringen, den die zuständige Bundesbehörde gerade vorgestellt hat. »Für ein klimaneutrales Stromsystem brauchen wir bis 2045 in erheblichem Umfang zusätzliche Stromleitungen«, erklärte der Chef der Netzagentur, Klaus Müller, bei der Vorstellung. Insgesamt sieht der Plan die Verlegung neuer Leitungen auf rund 4800 Kilometern Länge und die Verstärkung vorhandener Leitungen von zusätzlichen rund 2500 Kilometern Länge vor. Nötig sind demnach fünf neue Hochspannungsübertragungsleitungen an Land, die von Nord nach Süd und von Nordwest nach Ost verlaufen sollen. Im Netzentwicklungsplan sind die Anfangs- und Endpunkte der Leitungen festgelegt – der genaue Verlauf steht noch nicht fest. Gegen den Bau gibt es an betroffenen Orten regelmäßig heftigen Widerstand. Auch die Frage, ob Erdkabel oder Freileitungen verwendet werden, ist ungeklärt.

Zusätzlich zu diesen Ungewissheiten fußt der Plan auf einer Wunschliste der vier Netzbetreiber, die mit dem tatsächlichen Bedarf womöglich nicht viel zu tun haben wird. Daher ist es naheliegend, dass der Staat mehr direkte Kontrolle über diese kritische Infrastruktur anstrebt, die bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielt. Beim ostdeutschen Netzbetreiber 50 Hertz hatte der Bund bereits vor Jahren einen Anteil von 20 Prozent erworben, um einen chinesischen Investor abzuwehren. Auch beim baden-württembergischen Landesunternehmen Transnet BW soll ein Einstieg geplant sein. In Sachen Tennet hingegen ist laut Beobachtern eine Option im Gespräch, um die FDP bei der Stange zu halten: nach der staatlichen Übernahme wieder einen privaten Investor ins Boot zu holen.

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