Unfall am Potsdamer Platz: Tragödie ohne Konsequenzen?

Ruf nach Tempo 30 nach tödlichem Unfall

Nach dem tödlichen Unfall unweit des Potsdamer Platzes diskutiert die Landespolitik über mögliche Konsequenzen. Am Samstagmorgen hatte ein 83-jähriger Autofahrer eine 41-jährige Mutter und ihr vierjähriges Kind auf der Leipziger Straße erfasst. Die Mutter starb noch am Unfallort, das Kind trotz einer Notoperation am Abend im Krankenhaus. Der Lebensgefährte der Mutter sowie deren Schwester, die den Unfall beobachten mussten, stehen unter Schock. Alle vier sind als Touristen nach Berlin gekommen. Der Autofahrer erlitt leichte Verletzungen und wurde am selben Tag aus dem Krankenhaus entlassen.

Nach vorläufigen Erkenntnissen war der 83-Jährige mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Als er an der Leipziger Straße auf einen Stau traf, scherte er auf die Fahrradspur aus, um die wartenden Autos zu überholen. Dabei traf er die beiden Touristen mit voller Geschwindigkeit. Der Wagen fuhr zunächst noch etwa 100 Meter weiter, bevor er in ein weiteres Auto fuhr, dessen Fahrer unverletzt blieb. Feuerwehr und Polizei sperrten für mehrere Stunden den Verkehr. Die Polizei ermittelt nun zu dem Unfallgeschehen. Ob der Fahrer wegen Verkehrsdelikten vorbestraft ist, ist nicht bekannt.

Konsequenzen will die Verkehrssenatsverwaltung nach dem Unfall nicht ziehen – zunächst. Weil die Polizei aktuell noch ermittle, sei eine Diskussion über Verkehrslenkung nicht angebracht, teilte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) am Montag mit. »Aus unserer Sicht ist es nicht der richtige Moment, dem vorzugreifen.« Immerhin wolle die Senatsverwaltung nun intensiv prüfen, welche Konsequenzen für mehr Verkehrssicherheit »gegebenenfalls« zu ziehen seien.

Der Diskussion tat das indes keinen Abbruch. Vor allem die Entscheidung der Verkehrssenatsverwaltung, auf mehreren Hauptstraßen die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Stundenkilometer auf 50 Stundenkilometer hochzusetzen, gerät nun erneut in die Kritik. Auf der Leipziger Straße, wo sich der tödliche Unfall ereignete, gilt aktuell zwar noch Tempo 30, aber die Straße gehört zu denjenigen, für die Senatorin Schreiner die Geschwindigkeitsbegrenzung anheben will. Eine endgültige Entscheidung will der Senat bis Juni treffen.

»Man sollte Tempo 50 in die Tonne kloppen«, sagt Roland Stimpel, Vorstandsmitglied beim Fußgängerverband »Fachverband Fußverkehr«. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer bedeutet für alle Verkehrsteilnehmer einen Sicherheitsgewinn – »auch für Autofahrer«, so Stimpel. Sein Verband hat berechnet, wie sich strengere Geschwindigkeitsregeln auf das Unfallgeschehen auswirken. Um 27 Prozent sei die Zahl der Unfälle mit Verletzten bei den untersuchten Straßen gesunken, bilanziert Stimpel.

Der Grund für die gesunkene Zahl von Unfällen: Bei niedrigerer Geschwindigkeit verkürzt sich der Bremsweg deutlich. Bremst ein Fahrer abrupt ab, kommt er bei Tempo 30 nach 13 Metern zum Stehen, bei Tempo 50 erst nach 27 Metern. »Viele Unfälle bei Tempo 50 würden mit Tempo 30 gar nicht erst passieren«, sagt Stimpel. Sollte es doch zu Unfällen kommen, würden diese für alle Beteiligten glimpflicher verlaufen.

Schreiners Verkehrsverwaltung sieht für solche Forderungen allerdings wenig Spielraum. Die Beschränkung auf 30 Stundenkilometer sei an überschrittene Schadstoffgrenzwerte gebunden, erklärte Schreiner im Februar. Da die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid schon seit vier Jahren regelmäßig unterschritten würden, gäbe es keine Grundlage für das niedrige Tempolimit. Die Entscheidung sei daher »allein aus rechtlichen Gründen« gefallen.

Stimpel hält diese Begründung vorgeschoben. »Das ist eine rein politische Entscheidung«, sagt er. Auch Verkehrssicherheit könne die Geschwindigkeitsbegrenzung juristisch begründen. Dagegen, dass die Senatorin nur von rechtlichen Zwängen motiviert wird, spricht auch, dass CDU-Politiker wie der Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner die Maßnahme als Geschenk für die Autofahrer verkauften, die »nun wieder in den Blick genommen werden«, wie Stettner gegenüber der »B.Z.« im Februar sagte.

In den Fokus rückt nach dem Unfall auch das gehobene Alter des Fahrers. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Swantje Michaelsen forderte, Senioren regelmäßig auf ihre Fahrtüchtigkeit zu prüfen. »Zwar fahren die Menschen im Alter weniger, im Verhältnis nehmen aber Unfallverursachung, Unfallschwere und Unfallhäufigkeit zu«, so Michaelsen gegenüber dem »Tagesspiegel«. Tatsächlich wird bei Unfällen, an denen Autofahrer beteiligt sind, die älter als 75 Jahre alt sind, in drei von vier Fällen der Senior als Unfallverursacher ermittelt.

»Die Diskussion ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, führt bei näherer Betrachtung aber nicht weiter«, sagt dagegen Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Statt Verboten setze seine Fraktion auf Angebote, um die Fahrsicherheit bei Senioren zu erhöhen. »Ich bin überzeugt, dass sich mit guten Angeboten mehr erreichen lässt als mit Sanktionen, die allein an das Lebensalter gekoppelt sind.«

Roland Stimpel vom Fußgängerverband geht die Forderung dagegen nicht weit genug. »Es gibt bei vielen Autofahrern ein gigantisches Wissensdefizit, was Verkehrsregeln anbelangt«, sagt er. Er wünscht sich eine Theorieprüfung alle zehn Jahre – nicht nur für alte, sondern für alle Führerscheinbesitzer. »Wer ein tonnenschweres Gerät führt, sollte regelmäßig sein Wissen auffrischen«, sagt er. Damit die Regeln auch eingehalten werden, sollte die Verkehrsverwaltung Hauptstraßen großflächig mit Blitzern bestücken, schlägt Stimpel vor.

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