»Queere« Jugendarbeit

Lesben und Schwule aus mehreren Ländern auf Spurensuche im Zeichen des »Rosa Winkels«

  • Kai Walter
  • Lesedauer: 3 Min.
Für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle ist ein offenes Miteinander mit Heteros keine Selbstverständlichkeit. »Queer« steht für anders sein, irgendwie que(e)r zur Norm. Unter dem Titel »Queer-Europe« trafen sich dieser Tage Jugendliche aus Estland, Tschechien, den Niederlanden und Deutschland in Berlin. Gemeinsam suchten sie nach Spuren des Umgangs mit Homosexualität während der Nazi-Zeit in Deutschland.

»Der Typ war cool«, findet der 16-jährige Kilian, der lieber als Uschi leben will. Der Typ war Gottfried Stechers, der bei einem Zeitzeugengespräch über sein Leben als Homosexueller während des Nationalsozialismus erzählte. Auch Daniel Abma, Mitinitiator des Projekts »Queer-Europe«, das vom EU-Programm »Jugend in Aktion« maßgeblich finanziert wurde, war sichtlich beeindruckt von der Begegnung. Ein 80-jähriger Schwuler sei für Jugendliche keine alltägliche Erfahrung. Stechers sprach sehr offen über das Thema Homosexualität mit den Projektteilnehmern.

Der medienpädagogische Verein Metaversa aus Berlin hatte die Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen eingeladen, um ihnen eine Begegnung mit Gleichgesinnten zu ermöglichen. Bei einem Austausch über die Situation in Estland und den Niederlanden wurden einige Unterschiede festgestellt. Zwar sei die Diskriminierung im Alltag in Estland relativ gering, dies liege jedoch daran, dass sich viele Homosexuelle nicht outen. Öffentliche Veranstaltungen sind in dem baltischen Land problematisch. So wurde ein Gay-Pride-Marsch in der Hauptstadt Tallin im letzten Jahr von Skinheads angegriffen.

Im Rahmen der Workshopwoche suchten die 28 Teilnehmer gemeinsam nach Spuren des Umgangs mit Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus. Besucht wurden historische Orte, im Schwulen Museum und im Anne Frank Zentrum fanden Gespräche statt.

Mit Homophobie wird bezeichnet, wenn Menschen aus Unwissen und Unsicherheit ängstlich auf Menschen reagieren, deren sexuelles Verständnis sie nicht akzeptieren wollen. Der Paragraph 175 war in Deutschland lange Zeit Ausdruck von Homophobie und rechtliche Grundlage für den Umgang mit Menschen, die nicht in die sexuellen und moralischen Vorstellungen der Gesellschaft passten.

Dieser Paragraph stammte schon aus der Anfangszeit des Deutschen Reiches und wurde über die Weimarer Republik fortgeschrieben. Bis 1935 untersagte er im Wesentlichen »beischlafähnliche Handlungen« unter Männern. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde der Paragraph dann verschärft und bis 1994 unverändert beibehalten. Danach waren »sämtliche unzüchtigen Handlungen« strafbar, und auch die Höchststrafe wurde drastisch angehoben.

Genaueres konnten die Jugendlichen während ihres Besuches in der Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin erfahren. Homosexuelle KZ-Insassen wurden dort isoliert untergebracht und mit dem »Rosa Winkel« als besondere Häftlingskategorie ausgewiesen. Auch der frühere SA-Arzt Bernhard Langner war, von Nachbarn denunziert, 1940 inhaftiert und 1943 ins KZ Sachsenhausen gebracht worden. Dort fungierte er als Häftlingsarzt. Seine Verfolgung als Homosexueller hat er nach dem Krieg selbst seiner Frau verschwiegen, die erst nach seinem Tod davon erfuhr.

Nach einer gemeinsamen Führung durch die Gedenkstätte gingen die Jugendlichen in Gruppen noch mal auf die Suche. Sie filmten und fotografierten, um das Gefundene zu dokumentieren. Mit Audioaufnahmen hielten sie die persönlichen Eindrücke vor Ort fest.

Wichtig war bei »Queer-Europe« auch der Austausch über die aktuelle Situation. Michael Gräbner vom kooperierenden Berliner Projekt »Bunker« sieht beim Thema Schwule und Lesben einen erheblichen Nachholbedarf in der Jugendarbeit. Auch in Deutschland müsse mehr getan werden. »In den Medien geht es doch meist nicht über die Quotenschwuppe in irgendwelchen Serien hinaus«, macht er auf die Oberflächlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem Thema aufmerksam. Besonders unter Jugendlichen seien Berührungsängste stark verbreitet. Nur wer selbst oder durch Freunde Erfahrungen mit sexuellem Anderssein gesammelt habe, fange an, sich damit zu beschäftigen. »Die Homophobie ist unter Jugendlichen extrem hoch«, schätzt Sozialpädagoge Gräbner ein. Deshalb setzt er sich auch stark für eine »queere« Jugendarbeit ein.

Die Ergebnisse ihrer Spurensuche stellen die Jugendlichen auf der Internetseite »www.queereurope. net« in einem Weblog zusammen. Am heutigen Samstag können Interessierte die Ergebnisse um 20 Uhr im Kreuzbergmuseum in Berlin direkt sehen und mit den Jugendlichen diskutieren.

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