Soziale Bewegungen: Vergesellschaftung als Strategie

Mit neuen Strategien wollen soziale Bewegungen den sozialökologischen Umbau der Gesellschaft vorantreiben

  • Sabine Nuss
  • Lesedauer: 5 Min.

Let’s socialize» – «Lasst uns sozialisieren!», lautet der Titel einer Konferenz, die an diesem Wochenende am Werbellinsee in Brandenburg stattfindet. Veranstaltet wird sie von einem Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Ehrenamtlichen, die für «öffentlichen Luxus» kämpfen und an eine «demokratischere, sozialere und ökologischere Wirtschaft glauben», heißt es auf der Website der Veranstalter*innen. 778 Menschen haben sich angemeldet. Sehr viel mehr als erwartet und als tatsächlich kommen dürfen. Diskutiert werden soll darüber, ob Vergesellschaftung eine Strategie für Klimagerechtigkeit sein könnte.

Das Thema hat seit einiger Zeit Konjunktur. Es war die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen, die mit ihrem erfolgreichen Mietenvolksentscheid im Jahr 2021 den Begriff ins Spiel gebracht hat. Aber auch die erfolgreiche Vergesellschaftungskonferenz 2022 war ein wichtiger Meilenstein zur Popularität der Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel: «Über 1000 Menschen konnten damals erreicht werden, wir haben uns seinerzeit zunächst mal theoretisch mit dem Thema auseinandergesetzt, während es jetzt eher praktisch wird», erklärt Mascha Schädlich vom Organisationskreis der Konferenz gegenüber «nd». Eine Vielzahl an Diskussionsbeiträgen ist seither entstanden, in Form von Podcasts, Büchern, Artikeln, im Rahmen von Workshops, auch Forschungsprojekte widmen sich zunehmend diesem Thema.

Vergesellschaftung, so scheint es, füllt die Lücke, die den sozialen Bewegungen seit langer Zeit fehlt: Eine universale, gemeinsame Strategie, die einen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft jenseits der klimaschädlichen, vom Wachstumszwang angetriebenen Marktwirtschaft einzuleiten vermag. Im Mittelpunkt der Kritik stehen Privateigentum und Profitorientierung. Sie liegen laut den Veranstaltern «an der Wurzel zahlreicher Krisen des 21. Jahrhunderts.»

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Gemeint ist hier nicht das persönliche Eigentum, sondern das private Eigentum an Produktionsmitteln, Grund und Boden und Naturschätzen. Mit der historischen Durchsetzung des Privateigentums vor etwa 500 Jahren hat sich eine Wirtschaftsweise mit einer enormen Produktivkraft verselbstständigt. Die Mittel unser aller Reproduktion liegen seither in den Händen relativ weniger Menschen. Unter dem Kommando dieser Privateigentümer müssen die an Produktionsmitteln eigentumslosen Menschen deren eingesetztes Kapital vermehren. Da diese unter dem Druck der Konkurrenz stehen, können sie damit nicht aufhören, bei Strafe ihres Untergangs. Aus diesem Grund kennt die Vermehrung des Kapitals kein Ende und kein Maß.

Das, in Kürze, ist Privateigentum: Die private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, die profitorientiert unter Anwendung fremder Arbeit auf eigene Rechnung und für einen anonymen Markt eingesetzt werden. Privateigentum als ein umfassendes Herrschaftsverhältnis, ist nicht nur deshalb ein Problem, weil davon eine bizarre Logik ausgeht, wonach produziert wird um zu arbeiten, statt zu arbeiten um zu produzieren. Es ist das, was im Kern die Quellen seiner eigenen Ausbeutung untergräbt: Mensch und Natur. Gesellschaftliche Reproduktion ist im Kapitalismus Privatsache. Die destruktiven Folgen trägt die Allgemeinheit.

Genau hier setzt Vergesellschaftung an. Sie soll die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ihrem privatnützigen, destruktiven Zweck entziehen und sie öffentlich, kooperativ, gemeinnützig ausüben: «Dafür haben wir den wunderbaren Artikel 15 in unserer Verfassung», so Schädlich, «demnach dürfen Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden. Und genau darum geht es uns, um eine gemeinsame Verfügung zugunsten des Allgemeinwohls.»

Auf der Konferenz sollen vor diesem Hintergrund verschiedene Projektideen und Kampagnen erarbeitet werden und zwar mit Bezug auf die Sektoren Energie, Landwirtschaft und Ernährung, Care und Mobilität. «Wir haben uns für diese Bereiche entschieden, weil wir ja Strategien für Klimagerechtigkeit entwickeln wollen und diese Sektoren gehören zu den Ressourcenintensivsten,» sagt Schädlich. Und ergänzt: «Dass wir Sorgearbeit reingenommen haben ist da jetzt nicht selbstverständlich, sie steht für uns aber im Zentrum der Wirtschaft, man soll mit Gesundheit und Pflege keine Profite machen und es geht uns auch darum Sorgearbeit aus der Kleinfamilie zu holen.»

Es soll auf der Konferenz viel um Demokratie gehen, Vergesellschaftung soll auf eine «demokratische Verwaltung von unten» abzielen, auf eine «Wirtschaft der Vielen.» Das ist nur konsequent, denn Demokratie ist im bürgerlichen Staat auf den politischen Raum bezogen, nicht auf den wirtschaftlichen. Es ist insofern nur die halbe Demokratie. Eines der wesentlichen Ziele von Vergesellschaftung ist daher, die Durchsetzung der vollen Demokratie.

Vergesellschaftung ist keine neue Idee. Es war die Kernforderung der Arbeiter*innenbewegung in der Novemberrevolution und mündete historisch im Osten im real existierenden Sozialismus und im Westen in der Sozialpartnerschaft, dem Recht der Ausgebeuteten bei ihrer eigenen Ausbeutung ein Wörtchen mitreden zu dürfen. Die Gründe des Scheiterns einer umfassenden, vollen Demokratie sind vielfältig. Einer könnte darin liegen, dass in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Debatte über Vergesellschaftung ihren historischen Höhepunkt erreichte, keine Einigkeit darin bestand, was konkret Sozialisierung oder Vergesellschaftung eigentlich sein soll. Es gab so viele Konzepte, dass es kein Konzept gab. Der marxistische Philosoph Karl Korsch äußerte sich bereits 1912 zu der Losung «Vergesellschaftung der Produktionsmittel»: «Es wird einer späteren Generation höchst merkwürdig vorkommen, wieviele verschiedene und teilweise gegensätzliche Bestrebungen sich unter dieser einen Formel zusammenfanden.»

So komisch kommt es dieser späteren Generation gar nicht vor, möchte man Korsch antworten. Die Diffusität der Losung ist auch heute noch zu beobachten in der Renaissance der Debatte um Vergesellschaftung. Das ist allerdings mehr Chance als Manko. Es eröffnet die Möglichkeit, jenseits der eingetretenen Pfade der Vergangenheit Vergesellschaftung zu konkretisieren, mit dem Ziel, dass es diesmal wirklich zu einer «vollen Demokratie» führt.

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