Charme-Offensive beim ägyptischen Autokraten

EU schließt Abkommen zur Migrationsabwehr mit dem ägyptischen Präsidenten Al-Sisi

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit einem ganzen Hofstaat rückte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangenes Wochenende in Kairo an; Regierungschefs von gleich sechs Mitgliedsstaaten begleiteten sie, darunter Giorgia Meloni aus Italien, der griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis und Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. Der autokratisch regierende ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi dürfte sich geschmeichelt gefühlt haben ob so viel Aufmerksamkeit. Und auch in Anbetracht des versprochenen Geldes: Die Europäische Union hat Ägypten ein Hilfspaket in Höhe von 7,4 Milliarden Euro in Aussicht gestellt und, vielleicht noch relevanter für Al-Sisi, eine Verbesserung der Beziehungen.

Das Ziel der Vereinbarung ist klar: Ägypten soll Migration nach Europa eindämmen – so wie dies bereits Tunesien oder die Türkei tun. Menschenrechtsgruppen kritisieren den Deal. Claudio Francavilla von Human Rights Watch zufolge wird »der Schlüssel« des Abkommens die »Unterstützung der EU für die ägyptischen Grenzkontrollen sein«, quasi eine Kopie der »mangelhaften EU-Abkommen mit Tunesien und Mauretanien: Migranten stoppen, Missstände ignorieren«.

Nach Angaben der EU umfasst das Abkommen Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro, Investitionen im Umfang von 1,8 Milliarden Euro (Ernährungssicherheit, Digitalisierung), 400 Millionen Euro für bilaterale Projekte sowie 200 Millionen Euro für Programme zur Migrationskontrolle. Letzteres erscheint wenig, doch setzt die EU offensichtlich auf die Stärkung der ägyptischen Binnenwirtschaft, um die Menschen von der Ausreise abzuhalten. Das dürfte aber kaum ausreichen, denn der ägyptischen Wirtschaft geht es seit vielen Jahren chronisch schlecht. Eine Inflationsrate von 35 Prozent und die hohe Arbeitslosigkeit treiben die Menschen förmlich aus dem Land; immer mehr Ägypter rutschen in Armut ab. Der Staat ist hoch verschuldet, sodass die Regierung sich gezwungen sah, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) das vierte Darlehen seit 2016 in Höhe von acht Milliarden Dollar zu beantragen. Dafür musste sie die Landeswährung abwerten, einen frei schwankenden Wechselkurs einführen und die Ausgaben für die Infrastruktur zurückfahren.

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Ob das Geld aus Brüssel Ägypten wieder auf die Beine helfen kann, ist fraglich: »Einige hoffen, dass diese Finanzspritze des IWF und der EU die wirtschaftliche Lage verbessern wird«, sagt dem »nd« der in Berlin lebende ägyptische Wissenschaftler und Aktivist Hossam El-Hamalawy. »Aber Al-Sisi und die Vertreter des Regimes haben bereits Erklärungen abgegeben, die darauf hindeuten, dass alles beim Alten bleibt.« Das heißt: Die überflüssigen und extrem kostspieligen Großprojekte – ein Hochgeschwindigkeitsnetz oder die neue Verwaltungshauptstadt in der Wüste – und die Sparmaßnahmen würden fortgesetzt. »Die Preise für Lebensmittel und Konsumgüter sind nicht gesunken, und die Inflation steigt weiter an. Heute hat das Kabinett eine Erhöhung der Preise für Treibstoffprodukte angekündigt.« El-Hamalawy hat daher keine Zweifel: »Das Abkommen entspricht den Bedürfnissen des ägyptischen Regimes, nicht der ägyptischen Gesellschaft.«

Das sieht die EU naturgemäß anders. »Ägypten ist ein wichtiges Land für Europa«, sagte ein Vertreter der EU-Kommission und verwies auf »die schwierige Nachbarschaft mit Grenzen zu Libyen, Sudan und dem Gazastreifen«. Der Zeitpunkt der Vereinbarung zwischen Brüssel und Kairo kommt also nicht von ungefähr. Die Krisen und Kriege in den genannten Ländern bereiten den Europäern Kopfschmerzen: Ägypten befürchtet eine massive Fluchtbewegung aus dem Sudan und vor allem aus dem Gebiet rund um die Stadt Rafah, befestigt daher die Grenzanlagen zum südlichen Gazastreifen. Doch niemand kann voraussagen, ob sich die Menschen davon aufhalten lassen oder Ägypten nicht gezwungen sein wird, die Grenze zu öffnen, sollte es zur angekündigten Offensive der israelischen Armee auf Rafah kommen.

Schon jetzt leben in Ägypten nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) rund neun Millionen Migranten und Flüchtlinge, darunter vier Millionen Menschen aus dem Sudan, 1,5 Millionen aus Syrien und rund eine Million aus dem Jemen. Mit dem Geld aus Brüssel soll vor allem die Verstärkung der Grenzbefestigungen zum Sudan bezahlt werden; über diesen Weg erreichen viele Migranten aus südlicheren Ländern Afrikas Ägypten.

Zuletzt registrierte vor allem Griechenland zunehmende Ankünfte von Migranten ägyptischer Herkunft über eine neue Flüchtlingsroute vom libyschen Tobruk aus Richtung Kreta. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählte in diesem Jahr bereits mehr als 1000 Menschen, die von Tobruk aus auf den Inseln Gavdos oder Kreta strandeten; die meisten sollen aus Ägypten stammen. Seit 2021 verlassen wieder mehr Ägypter das Land gen Europa, meistens über Libyen; dieser Trend war schon während der ägyptischen Wirtschaftskrise 2015 zu verzeichnen. In Italien standen Ägypter im Januar 2024 an vierter Stelle der ankommenden Flüchtlinge.

Dass das Migrationsabkommen der EU mit Ägypten von Menschenrechtsexperten scharf kritisiert wird, ficht Brüssel nicht an. Die Menschenrechtslage in Ägypten ist bekanntermaßen notorisch schlecht bis dramatisch. Demonstrationen sind faktisch verboten. Kritiker werden mit drastischen Methoden verfolgt und müssen willkürliche Festnahmen und Schlimmeres befürchten. Zehntausende wurden aus politischen Gründen inhaftiert. Der frühere General Abdel Fattah Al-Sisi regiert das Land mit harter Hand, nachdem er sich 2013 an die Macht geputscht hat.

»Die Politik der EU-Deals mit Diktatoren ist schäbig, borniert und korrupt«, sagte der Europa-Experte von Pro Asyl, Karl Kopp. »Diese fatalen Kooperationen mit autoritären Regimen sind Teil des Problems und nicht die Lösung bei der Beseitigung von Fluchtursachen.« Die EU setze systematisch »auf die falschen Partnerschaften, um Schutzsuchende abzuwehren«. Ähnlich sieht es Hossam El-Hamalawy: Das Abkommen sei ein weiteres Beispiel für die Heuchelei der europäischen Staats- und Regierungschefs, die allein an regionaler Stabilität und der »Eindämmung der Migration schwarzer und brauner Menschen interessiert sind« – auf Kosten der Menschenrechte, wie er sagt. »Ohne die Waffen, das Geld und die diplomatische Unterstützung der EU hätte ein solches Militärregime nicht fortbestehen können.«

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