Galerie K' in Bremen: Nackte Menschen im Rausch

Miron Zownir, Alexander Chekmenev und Rimaldas Vikšraitis präsentieren ungefilterte Bilder von Menschen

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Fotoausstellung: Galerie K' in Bremen: Nackte Menschen im Rausch

Durchschlagend drastische Bilder wirken im Kunstkontext oft unerbittlicher als zum Beispiel auf einer Kinoleinwand. Vielleicht, weil der Kontrast zwischen einem entkörperlichten, durchgeistigten sozialen Raum wie einer Galerie und einer Welt, in der die Körper sich in all ihrer Gewalt und Leidensfähigkeit zeigen, hier stärker ist. In der Bremer Galerie K’ zu sehen ist die Gemeinschaftsausstellung »Photography Noir. Existence« mit Bildern der Fotografen Miron Zownir, Alexander Chekmenev und Rimaldas Vikšraitis: Fotografien von Menschen, die sich weitgehend ungefiltert zeigen.

Was ihn an Menschen interessiere, so hat es Zownir in einem Interview erzählt, sei »das Halbzerstörte und Verlassene, vielleicht das, was man heute ›überflüssig‹ nennen würde«. Der 1953 in Karlsruhe geborene Fotograf ist Ende der 90er Jahre mit dem Band »Radical Eye« bekannt geworden. Das ästhetische Prinzip, Motivsuche und Gestaltung wurden in diesem Werk über die Jahre nur minimal variiert.

Im Rahmen von »Photography Noir« werden Fotografien gezeigt, die Zownir vor über 40 Jahren unter anderem in New York und Moskau aufgenommen hat. Die Arbeiten von Alexander Chekmenev und Rimaldas Vikšraitis weichen insofern ab, als sie nicht im urbanen, sondern im ländlichen Raum entstanden sind. Chekmenev hat in den 90er und Nullerjahren Menschen in seiner Heimatregion Donbass porträtiert. Vikšraitis dokumentiert den Verfall der litauischen Provinz nach dem Ende der UdSSR.

Miron Zownir, New York 1981
Miron Zownir, New York 1981

Ansonsten überwiegen die Gemeinsamkeiten. Natürlich unterscheiden sich der Grad der Körnigkeit und das jeweilige Schwarz-Weiß der Bilder. Und auf den Bildern Zownirs nehmen die Menschen häufig Posen ein, die so etwas wie Selbstbehauptung suggerieren. Gemeinsam ist allen dreien ein Kamerablick, der einfängt, was eigentlich zu intim für eine öffentliche Präsentation ist. Nackte Menschen im Rausch, die nicht so wirken, als hätten sie eine schriftliche Einverständniserklärung zur Veröffentlichung abgegeben; ein Mann mit Spritze im Arm, einer, der in einen Schweinekopf beißt.

Manches ist auch für die trainierte Betrachterin nur schwer zu fassen. Auf einer Fotografie Alexander Chekmenevs ist eine Obduktion zu sehen: Ein Mann hält lachend einen abgeschnittenen Kopf in der einen Hand, in der anderen eine kleine Schere.

Das Bild ist eines von denen in »Photography Noir. Existence«, in denen sich Realismus, Drastik und eine konfrontative Surrealität mischen. Um die allemal ambivalente Wirkung dieser Fotografien wirklich an die eigene Wahrnehmung heranzulassen, muss man sozusagen erst einmal durch die ethischen Bedenken hindurch. Kein Ausstellungskatalogtext zu den Bildern Miron Zownirs, der nicht versuchen würde, die mehr oder weniger zwangsläufig auftretenden moralischen Bedenken der Betrachter*innen auszuräumen. Schließlich wird das Halbzerstörte, Verlassene im Galerieraum einem Publikum präsentiert, dem es, so viel kann man pauschal sagen, ungleich besser geht als den Abgebildeten.

Oleksandra Osadcha versucht ihn ihrem Text mit einem Verweis auf die Liebe und die Empathie der drei Fotografen zu den Objekten vor ihrer Kamera und mit zwei rhetorischen Fragen auszuhebeln: »Ist das Verbot des Sehens und die Regulierung der Sichtbarkeit nicht nur die Kehrseite davon, Bilder in den Umlauf zu bringen? Führt es nicht zum gleichen Ergebnis, nämlich zur Bildung einer komfortablen Blase privilegierter Beobachter?« Schließlich sei die Möglichkeit, nicht hinzusehen, auch ein Privileg.

Das ist richtig. Die nicht-rhetorische Frage aber bleibt. Nämlich, ob man der Wirkung und der Ästhetik dieser Bilder nicht eher gerecht wird, wenn man die Schweinehaftigkeit des Betrachtungsvorgangs nicht wegdiskutiert. In der Präsentation und der Betrachtung scheinen die Struktur und die Gefälle, innerhalb derer diese Fotografien entstanden sind, immer mit auf. Die Betrachtung von Körpern von Menschen im Dreck und im Delirium verliert ihren Gewaltcharakter nicht durch den Verweis auf die Liebe und die Notwendigkeit des Wahrnehmens, auch wenn beides, Liebe und Notwendigkeit, Teil ihrer Entstehung sein mögen. Und in manchen Fällen vielleicht auch ihrer Rezeption.

»Photography Noir. Existence«, bis 18. Mai, Galerie K’, Weberstr. 51 A, 28203 Bremen; Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa 12 bis 16 Uhr.

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