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Wir müssen uns nicht verstecken

Das Ende einer weltberühmten Porzellantradition

  • Marion Dammaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Zart und edel – ein Markenzeichen von Henneberger Porzellan
Zart und edel – ein Markenzeichen von Henneberger Porzellan

In Thüringen wurden nach 1990 von der Treuhand 2480 Betriebe abgewickelt und nicht selten an windige Investoren verscherbelt. Für viele der dort Beschäftigten folgte die Arbeitslosigkeit, was bei Tausenden zu gravierenden Lebenseinschnitten und Umbrüchen führte. Das betraf auch die Frauen und Männer, die in Thüringens traditionsreichen Porzellanwerken arbeiteten.

1771 gegründet, gehörte die Manufaktur Graf von Henneberg Porzellan Ilmenau zu den bekanntesten. An deren Tradition wurde in der DDR angeknüpft, wobei der VEB Henneberg-Porzellan Ilmenau auf die Fertigung von qualitativ hochwertigem Haushaltsporzellan in großen Mengen ausgelegt war. Hier entstanden im In- wie Ausland gefragte Kaffeeservices mit klangvollen, der antiken Götterwelt entlehnten Namen, die auf Messen mit Goldmedaillen ausgezeichnet und in diversen westlichen Warenhauskatalogen angeboten wurden.

Als größte Porzellanfabrik Europas nahm 1973 das Neue Porzellanwerk Ilmenau (NPI) die industrielle Produktion auf, wurde in weltweite Handelsbeziehungen intensiviert und auch der Palast der Republik in Berlin exklusiv mit Tafelgeschirr beliefert. Ilmenau zog Tausende Arbeitskräfte an, auch weil es sich schnell herumsprach, dass es für Werksangehörige Wohnungen gab. Mit den in unmittelbarer Betriebsnähe entstandenen Wohnblöcken samt unterschiedlichen sozialen Einrichtungen, dazu gehörten unter anderem der Betriebskindergarten, eine Kaufhalle, Bibliothek, Gaststätte und Gärtnerei, ähnelte das Werk einer kleinen Stadt.

Zur Belegschaft zählten Mitte der 80er Jahre 2330 Angestellte, die zumeist über Berufsabschlüsse als Facharbeiter verfügten und relativ gut verdienten, wobei mehrheitlich Frauen in den diversen Betriebsabteilungen und teilweise im Drei-Schicht-System arbeiteten.

Über deren Arbeitsalltag und ihre Erfahrungen, wie sie die Zeit nach 1990 erlebten, berichtet eine reich bebilderte Publikation aus der Reihe Rohnstock-Biografien, die in Kooperation mit dem 2019 gegründeten Verein Ilmenauer Porzellantradition entstand. Zugrunde liegen die Schilderungen von Frauen und Männern, die in unterschiedlichen Bereichen die Phasen des Niedergangs ihres Werks erlebten. Es sind persönliche Erfahrungsberichte und individuelle Sichtweisen, die während mehrerer Zusammenkünfte, den sogenannten Rohnstock-Erzählsalons, zur Sprache kamen. Vervollständigt werden diese von dankbaren Erinnerungen kubanischer Frauen und Männer an ihre Ausbildungsjahre in Ilmenau.

Die Veröffentlichung ist eine Fundgrube für alle, die sich mit dem Henneberg-Porzellan verbunden fühlen, wie Gesprächsmoderatorin und Verlegerin Katrin Rohnstock betont. Ohne Verklärung und frei von Larmoyanz wird die Arbeit unter teils sehr schweren Bedingungen präzise beschrieben, der kollektive Zusammenhalt hervorgehoben sowie von kräftezehrenden Ungewissheiten in den Zeiten des Umbruchs berichtet. Aufgezeigt wird, wie um die Weiterexistenz des Betriebs gebangt und gekämpft wurde, letztlich erfolglos: Am Ende wurde der Maschinenpark des Illmenauer Porzellanwerks verkauft.

Deutlich wird berechtigtes Selbstbewusstsein. Ingenieur Manfred Gräve sagt: »Wir müssen uns mit unseren Leistungen nicht verstecken. Das fing bei der Facharbeiterausbildung an, ging über die Fertigung bis hin zur Qualität unserer Produkte.« Und Facharbeiterin Helga Kühnlenz, die in der Gießerei arbeitete und nach 1990 bei Aberkennung ihres Berufsabschlusses nur noch als Hilfskraft tätig war, meint: »Unser Porzellan ist in allen Ecken der Erde zu finden – das macht mich schon ein wenig stolz.«

»Porzelliner erzählen. Das Ende der Henneberger Porzellantradition«, Rohnstock-Biografien. Erhältlich bei Ilmenauer Porzellantradition e. V., Wallgraben 3, 98693 Ilmenau oder über: info@ henneberg-porzellan-ilmenau.com

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