Vom Kakao kann man nicht leben

Politische und unternehmerische Entscheidungen könnten die Not lindern, sagt der Südwind-Experte Friedel Hütz-Adams

  • Interview: Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit dem Kakaoanbau können Familien im Schnitt nur etwa die Hälfte eines existenzsichernden Einkommens erwirtschaften.
Mit dem Kakaoanbau können Familien im Schnitt nur etwa die Hälfte eines existenzsichernden Einkommens erwirtschaften.

Kakao ist in den letzten Monaten zum Mangelprodukt geworden. Was sind – neben Klimawandel, Wetterkapriolen und dem Befall der Bäume durch Viren und Pilze – die Ursachen?

Auch der Weltmarktpreis für Kakao spielt eine wichtige Rolle, denn er war ab 2016 extrem niedrig und pendelte um die Marge von 2000 US-Dollar pro Tonne. Dadurch konnten viele Bäuer*innen es sich gar nicht leisten, ihre Plantagen zu pflegen, wie es eigentlich notwendig wäre – sie haben daher weniger Arbeitskraft, Dünger und Pestizide investiert. Das trägt ebenfalls zum Ernterückgang bei.

Inwiefern verschärft die Armut die Probleme durch das Swollen Shoot Virus?

Man bekommt die Seuche eigentlich nur in den Griff, wenn man erkrankte Bäume abholzt, aus der Plantage entfernt. Es gibt keine biologischen oder chemischen Pestizide, die die Krankheit eindämmen. Für die Kleinbauern, die oftmals an oder unter der Armutsgrenze leben, ist das jedoch eine harte Entscheidung. Sie zögern oft, denn die Bäume sind häufig ihre einzige Einnahmequelle. Sie warten ab, ernten lieber weniger Früchte von befallenen Bäumen und scheuen den radikalen Schnitt. Das ist nachvollziehbar, denn neue Setzlinge brauchen vier, fünf Jahre, bevor sie Schoten produzieren. Die Armut der Bauern ist ein Faktor, weshalb nur halbherzig gegen diese Krankheit vorgegangen wurde.

Die soziale Situation der Kleinbauern verschärft sich also massiv?

Ja, und die Regierungen sowohl in Côte d’Ivoire als auch in Ghana sind kaum in der Lage, Nothilfe zu leisten. Ihre Deviseneinnahmen, ihre Steuereinnahmen brechen ein, weil die Kakao-Exporte massiv runtergehen. Es gibt nur wenige Programme der Regierungen, und es gab auch schon vor der Seuche Bauern, die ihr Land aufgaben, es an Goldschürfer verkauften, weil sie keine Perspektive mit dem Kakao sahen – der niedrige Weltmarktpreis war die Kernursache.

Interview

Friedel Hütz-Adams hat in Köln
Ge­schichte, Philosophie und
Volks­wirt­­schafts­lehre studiert. Seit 1993 ist der Experte für Wert­schöpfungs­ketten und Nachhaltigkeit wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene.

Angesichts derzeit extrem hoher Kakaopreise: Wie verhalten sich die großen Kakao-Importeure? Haben sie Hilfsprogramme für ihre Lieferanten aufgelegt?

Es gibt Programme der großen Importeure, die sich engagiert haben, um Kinderarbeit im Kakaosektor zu bremsen. Diese Programme fokussieren darauf, die Produktivität zu erhöhen und zu diversifizieren. Das führt jedoch zu mehr Angebot auf dem Markt und so tendenziell zu einem Überangebot und sinkenden Preisen. Das hat zur heutigen Krise beigetragen, denn es lohnte sich meinen Berechnungen zufolge für viele Familien nicht, die Arbeit zu intensivieren, weil das heißen würde, externe Arbeitskräfte hinzuzuholen und bezahlen zu müssen. Das ist ein Kreislauf, und die Industrie ist leider nicht auf die Idee gekommen, höhere Preise für das Produkt zu zahlen, um all das zu ermöglichen.

Wir sind weit entfernt von einem existenzsichernden Einkommen im Kakaosektor. 2018 sind dazu Studien erstellt worden, die zu dem Ergebnis kamen, dass die Familien nur etwa die Hälfte eines existenzsichernden Einkommens über den Kakao verdienen. In Ghana hat sich durch die massive Inflation diese Situation eher noch verschärft. In Côte d’Ivoire war die Inflation nicht ganz so massiv, weil die Währung an den Euro gekoppelt ist – nur die Kosten für chemische Düngemittel haben sich durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verdrei- bis verfünffacht.

Was müsste passieren, damit sich die prekäre Situation der Bauern und Bäuerinnen in den beiden Ländern verändert?

Wir brauchen eine verantwortliche Einkaufspolitik der Unternehmen, langfristige Verträge mit Kleinbäuer*innen und Genossenschaften. Dazu beitragen könnten das deutsche und das kommende europäische Lieferkettengesetz und die Entwaldungsverordnung der EU. Die derzeitige Hochpreisphase sollte eine Phase werden, in der die Industrie umstellt und einen Mindestpreis für Rohkakao einführt, der existenzsichernden Löhnen entspricht. Dieser lag nach unseren Berechnungen 2020 bei etwa 3000 US-Dollar, dürfte jetzt etwas höher liegen. Aber weit unter dem, was die Unternehmen derzeit auf dem Weltmarkt zahlen: über 9000 US-Dollar pro Tonne.

Mehr politischer und unternehmerischer Wille ist also nötig?

Ja, ohne Zweifel. In einem Schokoriegel sind ohnehin nur für wenige Cent Kakao enthalten, und für Werbung wird teilweise mehr ausgegeben als für den Rohkakao. Das ist eine bittere Realität, die wir ändern müssen, und dazu ist mehr Aufmerksamkeit nötig – auch von den Kunden.

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