Kongo: »Die Gastfreundschaft ist unglaublich«

Ursula Langkamp von der Welthungerhilfe über den Konflikt im östlichen Kongo

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 7 Min.
In der Provinz Nord-Kivu sind rund 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht, um nicht in die Kämpfe der Rebellenbewegung M23 involviert zu werden. Viele von ihnen werden in Gastfamilien aufgenommen.
In der Provinz Nord-Kivu sind rund 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht, um nicht in die Kämpfe der Rebellenbewegung M23 involviert zu werden. Viele von ihnen werden in Gastfamilien aufgenommen.

Seit vielen Monaten kämpfen die Armee der Demokratischen Republik Kongo und der von Ruanda unterstützten Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März) in der Region der ostkongolesischen Millionenstadt Goma gegeneinander. Sie leben praktisch vor Ort. Wie ist die Lage derzeit?

Die Kämpfe mit der M23 finden rund um Goma, Masisi und im Norden von Rutshuru statt, nur selten sind die Außenbezirke von Goma oder der südliche Teil unserer Projektgebiete in Nord-Rutshuru direkt davon betroffen. Bis auf eine einwöchige Evakuierung ins Nachbarland Ruanda kann die Welthungerhilfe ihrer Arbeit in Goma und den Projektgebieten in Nord-Kivu nachgehen. Allerdings ist ein aufwendiges Sicherheitsmanagement nötig. Für die Bevölkerung stellt die derzeitige Situation jedoch ein großes Problem dar, da die M23 die Zufahrtsstraßen abgeschnitten hat, sodass die Versorgung der Stadt weitgehend über Ruanda sichergestellt werden muss. Diese Situation führt zu einer hohen Inflation vor allem der Lebensmittelpreise, wovon die gesamte Bevölkerung betroffen ist.

Wieso interveniert die Weltöffentlichkeit angesichts der katastrophalen humanitären Situation von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen auf der Flucht nicht?

Die humanitäre Katastrophe ist die Konsequenz eines seit 30 Jahren andauernden Konflikts, der seinen Anfang genommen hat, als 1994 die vom Genozid betroffene Ethnie der Tutsi und später der Hutu aus Ruanda in den Kongo geflohen sind. Im Zuge der Flüchtlingsbewegung wurden die Konflikte ins Nachbarland getragen. Leider ist diese Auseinandersetzung schon lange nicht mehr sehr präsent in den Medien.

Interview
Foto: schwaebische.de/Ulrich Mendelin

Ursula Langkamp ist seit April 2022 Landesdirektorin der Welthungerhilfe in der Demokratischen Republik Kongo. Sie lebt im ostkongolesischen Goma. Ein Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Bekämpfung von Hunger, Ernährungsunsicherheit und Armut, von der vor allem die vielen Binnenvertriebenen und die sie aufnehmenden Gastfamilien betroffen sind. Insgesamt arbeitet die Welthungerhilfe mit 12 lokalen Organisationen im Osten des Kongo zusammen. 

Worum geht es bei den Kämpfen, die im Juni 2022 wieder aufgeflammt sind?

Die M23 hat Mitte 2022 wieder zu den Waffen gegriffen. Vor rund einer Dekade hatte sie schon einmal große Gebiete in Nord-Kivu eingenommen, unter anderem auch Goma, aber dann die Waffen niedergelegt, nachdem Truppen der SADC (Staatengemeinschaft des südlichen Afrikas) eingegriffen hatten. Die bewaffnete Gruppierung ist im April 2012 aus ehemaligen Mitgliedern der 2009 aufgelösten Rebellengruppierung Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) entstanden. Die CNDP war zum Ende des dritten Kongokrieges 2009 in die kongolesischen Streitkräfte FARDC integriert worden. Die Mitglieder der M23 werfen der kongolesischen Regierung aber vor, sich nicht an die 2009 im Friedensvertrag geschlossenen Vereinbarungen zu halten.

Was war der Auslöser für die neuerliche Eskalation?

Im Oktober 2023 hatte die M23 erneut eine prekäre Waffenruhe beendet, weil die kongolesische Regierung nicht zu Verhandlungen bereit gewesen war, sondern die M23 als terroristischen Gruppe deklarierte, mit der keine Verhandlungen geführt werden. Die Regierung forderte einen kompletten Rückzug aus den besetzten Gebieten in Nord-Kivu. Die M23 hatte aber kein Interesse, sich aus den kontrollierten Gebieten zurückzuziehen, da sie in Ruanda keine ökonomische Perspektive hätte.

Die Rebellen haben die Großstadt Goma vom Rest des Landes isoliert. Die zwei Millionen Einwohner müssen über das Nachbarland Ruanda versorgt werden, was zu hohen Preisen und noch mehr Not für die Bevölkerung führt.
Die Rebellen haben die Großstadt Goma vom Rest des Landes isoliert. Die zwei Millionen Einwohner müssen über das Nachbarland Ruanda versorgt werden, was zu hohen Preisen und noch mehr Not für die Bevölkerung führt.

Nord-Kivu ist begehrt, weil es dort Bodenschätze gibt.

Richtig. Ein weiteres Element der Gebietseroberungen durch die M23 ist der Reichtum von Nord-Kivu an wertvollen Mineralien, besonders Coltan und Kobalt, das für die gesamte IT- und Erneuerbare-Energie-Branche wichtig ist. Die M23 kontrollieren derzeit die Coltan-Minen um Rubaya. Das bedeutet: Es besteht ein großes ökonomisches Interesse an der Kontrolle des Rohstoffreichtums. Im Februar 2024 wurden Zahlen veröffentlicht, dass der Export aus Ruanda von Mineralien – Gold, Coltan, Wolfram, Kasserit – 2022 um 43 Prozent auf mehr als eine Milliarde US-Dollar gestiegen ist. Es ist bekannt, dass viele der Mineralien aus dem Kongo sind. Die internationale Nachfrage danach ist hoch, leider werden die menschenwürdigen Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten nicht eingehalten. Trotzdem werden die Mineralien nachgefragt. Im östlichen Kongo geht es um einen historischen Konflikt, dem heute nicht unerhebliche wirtschaftliche Interessen zugrunde liegen.

Inwieweit ist Ruanda in dem Konflikt involviert und befeuert ihn?

Ruanda unterstützt UN-Berichten zufolge die M23-Bewegung unmittelbar, was die ruandische Regierung jedoch bestreitet. Es gibt jedoch immer wieder Fotos mit ruandischen Soldaten. Auch die Waffenausstattung der M23 ist viel besser als die aller anderen bewaffneten Gruppen im Osten des Landes; sie umfasst Artillerie, Drohnen und vieles mehr. Generell muss man sagen, dass die M23 eher eine strukturierte Armee als eine bewaffnete Gruppe ist und auch dementsprechend systematisch agiert.

Das ist bei Weitem nicht der einzige Konflikt in der früheren belgischen Kolonie. Welche Auseinandersetzungen lähmen das riesige Land am Kongofluss noch?

Es gibt mehr als 100 bewaffnete Gruppen im Osten des Landes, die überwiegend lokal agieren. Zwei bewaffnete Gruppen sind allerdings im Moment von größerer Bedeutung: Das sind die ADF, kurz für Allied Democratic Forces, die ihren Ursprung in Uganda hat und überwiegend in Nord-Kivu und Ituri entlang der ugandischen Grenze, aber auch in Uganda, agiert. Sie steht dem Islamischen Staat nah und zeichnet sich dadurch aus, dass sie besonders brutal und aggressiv vorgeht, in Dörfer einfällt, Einwohner tötet und sich bereichert. Die DR Kongo und die ugandische Regierung haben ein Abkommen geschlossen, wonach die ugandische Armee die ADF im Kongo verfolgen darf. Diese Gruppe verbreitet wirklich Angst und Schrecken unter der Bevölkerung.

Als zweite Gruppe ist die Coopérative pour le Développement du Congo, kurz Codeco, zu nennen. Es ist eine ethnisch basierte Gruppe, die die Ansprüche der Lendu-Ethnie (Bauern) gegenüber der Hema-Ethnie (Pastoralisten/Viehhalter) vertritt, dabei kommt es immer wieder zu heftigen bewaffneten Auseinandersetzungen. Sie operiert im Norden von Ituri. Beide bewaffnete Gruppen verursachen immer wieder Fluchtbewegungen im Osten des Landes.

Wie wirkt sich der Abzug der UN-Monusco-Truppen seit Anfang des Jahres aus? Immerhin waren die Blauhelme 25 Jahre in dem Land.

Das ist noch völlig unklar. Wer das Vakuum füllen wird und wie es gefüllt werden wird, ist derzeit nicht absehbar. Selbst wenn die Monusco ein bis kürzlich passives Mandat ausgeübt hat, so bedeutete ihre Präsenz jedoch oft ein psychologisches Moment, sodass bestimmte geografische Stellungen nicht angegriffen wurden. Im Rahmen der Kämpfe mit der M23 wurden Regierungstruppen der FARDC vom Norden Nord-Kivus nach Masisi und Rutshuru abgezogen, woraufhin die ADF in die Gebiete vorgerückt ist. Der Abzug der Monusco-Truppen könnte zu ähnlichen Situationen führen.

Eine Unbekannte sind auch die Wazalendo (Patrioten), das sind lokale bewaffnete Gruppen, die im Moment die FARDC bei der Bekämpfung der M23 unterstützen. Unklar ist aber, was mit ihnen passieren wird, wenn sie einmal nicht mehr gebraucht werden. Hier muss die Regierung eine Antwort finden.

Der starke Mann in Kinshasa ist der kürzlich wiedergewählte Félix Tshisekedi, der einen sehr nationalistischen Kurs eingeschlagen hat. Könnte es, wenn der Unmut im ganzen Land weiter anwächst, zum Putsch kommen?

Félix Tshisekedi hat im Wahlkampf harte Töne gegenüber der M23 angeschlagen. Daher sind die Erwartungen entsprechend hoch, was die Bekämpfung der M23 anbelangt. Außerdem weckt die Präsenz der SADC-Truppen aus dem südlichen Afrika die Hoffnung, dass die M23 besiegt wird. Die Kostenübernahme für die SADC-Truppen aus Südafrika, Tansania und Malawi ist jedoch noch nicht völlig geklärt. Trotz der Präsenz dieser Truppen und der Unterstützung durch die Wazalendo ist mit einer kurzfristigen Beendigung der Kämpfe nicht zu rechnen, da es keine Friedensverhandlungen mit der M23 gibt. Mit einem Putsch wie in Westafrika ist im Kongo wegen der Größe des Landes und der Lokalisierung des Konflikts im Osten eher nicht zu rechnen.

Kongo befindet sich dennoch in vielen Provinzen im Ausnahmezustand. Gibt es auch Lichtblicke bei ihrer Arbeit?

Die hohen Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung und unsere Arbeit sind natürlich eine permanente Herausforderung. Dennoch oder gerade deswegen sind aber die Erfahrungen, die wir im Rahmen unserer Arbeit in den Gemeinden machen, oft besonders beeindruckend. Denn die Gastfreundschaft, mit der seit 30 Jahren Binnenflüchtlinge in den Nachbargemeinden aufgenommen werden, ist unglaublich. Rund 80 Prozent der 2,5 Millionen Flüchtlinge kommen bei Gastfamilien unter, die ihr Essen und ihre Häuser mit ihnen teilen, wobei Menschen in weiten Teilen von Nord-Kivu aufgrund der Konflikte unter einer Ernährungsunsicherheit leiden. Auch die Zusammenarbeit der Gemeinden mit unseren Projekten ist sehr positiv und zuverlässig.

Eine weitere Überraschung war, dass die landwirtschaftlichen Genossenschaften in den Projektgebieten gut entwickelt sind und die Kooperativen wirklich gut mit ihren Mitgliedern zusammenarbeiten. Für die Förderung der landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen im Rahmen unserer Arbeit ist das natürlich hilfreich. Die Genossenschaften scheinen so etwas wie ein Anker inmitten der Unruhen zu sein. Das haben wir angesichts der vielen Konflikte nicht erwartet.

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