Wenn sie morgen kommen ...

Ist es wieder so weit? Deutschland rüstet nicht nur militärisch, sondern auch sprachlich auf

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach einem Friedensgebet demonstrierten im März 2003 Tausende Dresdner gegen den Irak-Krieg.
Nach einem Friedensgebet demonstrierten im März 2003 Tausende Dresdner gegen den Irak-Krieg.

Was ist los in diesem Land? Was bringt die Leute um den Verstand? Was lässt sie nach Krieg und Mord und Totschlag lechzen? Die größte Gefahr für den Frieden sei eine lange Zeit des Friedens, sagte eine Friedensforscherin. »Würden Sie für Deutschland in den Krieg ziehen?«, stellte eine Redakteurin im »Tagesspiegel« am vergangenen Wochenende zur Diskussion – und die Leser debattieren tatsächlich wild drauflos. Nur wenige kommentieren: »Was für ein verkopfter Quatsch.«

Ist es wieder Zeit, Karl Kraus zur Hand zu nehmen und in »Die letzten Tage der Menschheit« zu stöbern? Um darin Parallelen zur derzeitigen Kriegseuphorie zu erkennen. Und laut und deutlich Nein zu sagen, wie Wolfgang Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg? »Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN.«

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Vorkriegszeit? Ja, es kokelt irgendwie. Und alle machen mit. Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht von »kriegstüchtig«, Wirtschaftsminister Robert Habeck vom »Landkrieg«. Und die »Bild« triumphiert: »Waffen-Gipfel bei Habeck!« Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katharina Barley, schwadroniert im »Tagesspiegel«: »Europäische Atombomben können ein Thema werden.« Ihr Parteikollege Karl Lauterbach will das Gesundheitswesen für Kriege rüsten. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wirbt dafür, in Schulen ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr« zu fördern. Und die Chefdiplomatin Annalena Baerbock meint allen Ernstes, »unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten«. Das grenzt an Orwells »Neusprech« aus seinem dystopischen Roman »1984«.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes fordert Bunker und Sirenen. Toni Hofreiter, die traurige Gestalt eines amtsleer ausgegangenen Grünen, fordert wie ein Sprechautomat: Waffen, Waffen, Waffen. Und stets omnipräsent im Vorkriegsgetöse die Liberale Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Was ist los mit Deutschland? Warum diese schleichende Vergiftung in den Köpfen? Uns fehlen die Stimmen der Alten, die sich noch gegen Kriegsgeheul entrüsteten: Heinrich Böll, Egon Bahr, Erhard Eppler, Helmut Gollwitzer, Günter Grass ... Und Hans-Christian Ströbele, das gute Gewissen der Grünen. Von Petra Kelly nicht zu schweigen.

Papst Franziskus wurde jüngst rüde beschimpft, weil er unerhörte Worte artikulierte, ein Ende des Krieges in der Ukraine forderte und Verhandlungen anmahnte. Hohn, Spott und Geifer schlug ihm entgegen. Über ihn sei hergefallen worden, »als hätte er für Mord und Totschlag plädiert«, empörte sich zu recht der ostdeutsche Journalist Eugen Ruge in der »SZ«. Und fügte hinzu: »Ich empfinde es angesichts von Zigtausend Toten schon bedrückend, welche Empörung allein der Vorschlag auslöst, insbesondere bei solchen, die selbst nicht in den Graben müssen.« Eine Ausnahmestimme im lauten, schrillen Gekreisch nach Panzern, Bomben und Granaten.

»Der Krieg rückt näher«, schreibt die Redakteurin des »Tagesspiegels«. Sodann hebt sie munter ab in luftige Höhen, um zu flöten: »Ist es da zu früh für die Frage, wie ein Deutschland im Krieg aussehen könnte?« Am Ende landet sie bei einem Sponti-Spruch aus den 80er Jahren: »Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.« Die Redakteurin gibt zu bedenken, dass Vaterland und Nationalstolz auch heute noch »für einen Teil der Gesellschaft unter Chauvinismusverdacht« stehe, dieser würde sich wohl kaum in eine Uniform pressen lassen. Andere stünden der Demokratie skeptisch gegenüber und wären für den Kriegsdienst wohl auch nicht zu erwärmen, spekuliert die Redakteurin. Das alles klingt bedauerlich.

Offenbar um die Debatte anzuheizen, hat die Redaktion von der Grafikabteilung eine martialische Montage ins Zentrum des Textes setzen lassen: vier schießende Soldaten, zwei weitere Helmträger, die sich von einem Hubschrauber abseilen, den Finger der einen Hand am Abzug einer Pistole, mit der anderen Hand ein Victory-Zeichen formend. Es funktioniert. Die Leserschaft schießt um die Wette wie im Rausch Unbedachtes heraus: »Wenn man keine Wahl hat, kämpft man.« Und: »Der Soldat, der weiß, wofür er kämpft.«

Wie verrückt ist das denn? Nicht über Friedenserlangung und -bewahrung wird hierzulande debattiert, sondern über Kriegsvorbereitung. Wie verdreht sind diese vorlauten Stimmen an ihrer kommoden Tastatur? Sie machen das Unvorstellbare nicht vorstellbar, sondern im Gegenteil: Sie verschleiern das Grauen mit Trompetenstößen. Ist das gesinnungslos? Oder bloß besinnungslos? Chloroformiert, narkotisiert, eingenebelt von einem Zeitgeist, in dem nach Waffen, Panzern, Bomben, Drohnen, Flugzeugen geschrien wird. Und das Blut? Und die Verstümmelungen? Und die Traumatisierungen? Und die Leichen? Und die trauernden Frauen? Und die weinenden Kinder?

Sind denn alle meschugge? Sind denn alle so unzufrieden mit ihrem Leben, dass sie sich nur noch Krieg vorstellen wollen? Krieg, den Befehlshaber in warmen Stuben verfügen. Krieg, den Realpolitiker in bombensicheren Quartieren verfügen. Krieg, in denen das Volk, die Untertanen leiden und bluten, nicht die Befehlshaber.

1991, zwei Jahre nach einer tatsächlichen Zeitenwende, mahnte Rio Reiser: »Der Krieg, er ist nicht tot, der Krieg/ Der Krieg, er ist nicht tot, er schläft nur/ Er hat sich gut versteckt und wartet, wartet/ In mir, in Dir – er ist nicht tot der Krieg.«

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