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»Andrea lässt sich scheiden« im Kino: Büßer und Bußgeldbescheide

In »Andrea lässt sich scheiden« erzählt Josef Hader die Geschichte einer Polizistin, die aus der Provinz flüchten will

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Es ist das großartige Zusammenspiel von Birgit Minichmayr und Josef Hader, das diese so karg inszenierte Geschichte zu einem filmischen Ereignis macht.
Es ist das großartige Zusammenspiel von Birgit Minichmayr und Josef Hader, das diese so karg inszenierte Geschichte zu einem filmischen Ereignis macht.

Das Leben auf dem Land wirkt friedlich, aber das täuscht. Besonders hier in Österreich. Gleich in der ersten Szene von Josef Haders »Andrea lässt sich scheiden« sehen wir die Polizistin Andrea bei einer Geschwindigkeitskontrolle auf einer Landstraße. Aber niemand kommt. Die Straße bleibt leer. Rechts und links Felder, auf denen sich das Getreide im Wind wiegt.

Die Zeit vergeht auch für einsame Polizisten, wenn auch langsam, aber immerhin kennt hier jeder jeden. Birgit Minichmayr als Andrea wird von einer Mischung aus Apathie und einer winzigen Hoffnung beherrscht, dass irgendwann doch einmal irgendetwas passieren könnte. Denn die Langeweile hier unweit von St. Pölten als nächster »größerer« Stadt ist kaum auszuhalten. Dann endlich ein Raser! Als sie ihn stoppt, ruft der verärgert: »Mensch Andrea, ich hab’s eilig!« – »Erst zahlen!«, antwortet sie in einem offiziellen Polizeiton, der hier merkwürdig fehl am Platze scheint.

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Das ist die Szenerie: Man kennt sich, meist schon seit der Kindheit und bleibt sich doch fremd. Etwas Lauerndes, Ereignislüsternes liegt in der Luft. Andrea will weg hier. Weg von der Polizeistation im Dorf, weg von ihrem Ehemann, dem Alkoholiker, von dem sie längst getrennt lebt, aber der ihr immer wieder auflauert. Sie hat sich bei der Kriminalpolizei in St. Pölten beworben, ein großer Sprung für sie, weg auch von ihrem halbdementen pflegebedürftigen Vater, bei dem sie nun wohnt.

Provinz nervt. Es gehört ein besonderes Talent dazu, hier Geschichten zu finden, die es wert sind, erzählt zu werden. Josef Hader hat mit seinen Kabarettprogrammen seit 30 Jahren genau diese Art Provinzgeschichten kultiviert. Sein erstes Programm »Privat«, mit dem er viele Jahre lang tourte, gibt bis heute den Ton vor: radikal subjektiv mit Sinn fürs Skurrile. Mit gelegentlich surrealen Ausbrüchen.

Der Mensch, weiß Hader, ist ein unendlich trauriges Tier. Dagegen lässt sich wenig machen. Nach außen hin vielleicht, aber nach innen? Als Schauspieler sah man Hader erstmals in Paul Harathers »Indien« (1993) als Gaststätteninspekteur, ein Gefangener im ewigen Außendienst, den niemand zurückholt. Der Tod wird sich als einziger an ihn erinnern.

Dies ist nun Haders zweiter Spielfilm als Regisseur und Darsteller. In »Wilde Maus« von 2017 sah man ihn als Musikkritiker, den die geistverlassene neoliberale Zerstörung von allem, was einen Wert jenseits der Verkäuflichkeit hat, fast zum Amokläufer macht. Seine Zeitung hat ihm nach einem halben Menschenalter gekündigt, genauer: der Klickzahlen zählende Banause von einem Chef, der nicht einmal weiß, dass Mozarts »Entführung aus dem Serail« keine Oper, sondern ein Singspiel ist. Und dann hören wir einen Wortwechsel zwischen ihnen, der klassisch für diese Zeit scheint: »Es wird einen Aufstand der Leser geben!« – »Ihre Leser sind längst tot!«

Okay, aber weitermachen muss man trotzdem, auch wenn der dafür dankbare Rest wie Schnee in der Frühlingssonne schwindet. Und Hader ist in der ruhigen unspektakulären Art, wie er mit »Andrea lässt sich scheiden« eine Tragödie unausweichlichster Art schafft, ein Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Hier sprechen alle österreichischen Dialekt, wer sich Mühe gibt, versteht das schon nach und nach. Handlung? Nur die notwendigste und die ist schon fatal genug.

Getrunken wird viel auf dem Lande, geredet eher weniger. Und so sehen wir Andrea, die sich schon fast in St. Pölten meint, in der Dorfkneipe nach Dienstschluss. Sie trinkt Selters, die anderen Bier und Schnaps. Besonders ihr Noch-Ehemann, der sie, mit steigendem Alkoholspiegel gesprächig geworden, drängt, zu ihm zurückzukehren. Nicht zu so einem Säufer wie dir, bekommt er zur Antwort und muss sich darauf erst noch einmal einen genehmigen. Dann will er ins Auto steigen, aber Andrea nimmt ihm den Schlüssel weg. Nun muss er nach Hause laufen.

Jetzt wird die Dorfgeschichte schicksalsschwer. Denn kurz darauf steigt auch Andrea in ihren Wagen. Sie fährt über die dunkle Landstraße, die selbige, die bei Tage zur Verkehrskontrolle so leer dalag. Ihr halb verrückter Vater ruft auf dem Handy an, beschimpft sie, dass sie ihn so lange allein lässt. Sie beschwichtigt ihn so gut sie kann – und plötzlich gibt es einen dumpfen Knall. Sie hat jemanden überfahren. Es ist nicht schwer zu erraten, wen. Sie versucht Wiederbelebung, vergeblich. Andrea hat ihren Mann, den sie in der dunklen Nacht zu Fuß nach Hause schickte, versehentlich überfahren. Aber nun begeht sie in Panik Fahrerflucht. In dieser einsamen Gegend gibt es ohnehin keine Zeugen. Doch am nächsten Morgen kommen die Kollegen von der Polizei zu ihr und berichten ihr vom Unfalltod ihres Mannes. Der Unfallfahrer habe sich bereits gestellt. Anzusehen ist Andrea nichts, aber was nun beginnt, ist die Geschichte von Schuld und Sühne auf dem Dorfe.

Denn niemand anderes als Franz (wie zerklüftet: Josef Hader), der örtliche Religionslehrer, ein trockener Alkoholiker, nimmt alle Schuld auf sich. Er habe ihren Mann getötet, obwohl er doch immer ganz langsam fährt und auch nicht mehr trinkt. Franz leidet schwer – tatsächlich hat er als Zweiter den bereits Toten überfahren, das stellt sich schließlich heraus. Aber Franzens Buße kann das nicht aufhalten. Er fängt wieder an exzessiv zu trinken, wird von der Schule entlassen und kann sich vor Reue nicht halten. Er hat sein Leben verwirkt! Und Andrea, die taffe, die niemand verdächtigt, gerät in einen merkwürdigen inneren Ausnahmezustand.

Plötzlich ist ihr so grundsätzlich zumute. Wenn sie mit einer Straftat davonkommt, wonach es aussieht – ist sie dann wirklich davongekommen? Wie soll sie nun in St. Pölten ein neues Leben beginnen, mit der Last des Geschehenen? Etwas in ihr glaubt immer weniger daran, dass man nur dann schuldig ist, wenn man erwischt wird. Das war als Polizistin bislang eine ihrer Lebensmaximen.

Es ist das großartige Zusammenspiel von Birgit Minichmayr und Josef Hader, das diese so karg inszenierte Geschichte zu einem filmischen Ereignis macht, das einem lange nachgeht. Welch stille Katharsis – und ausgerechnet das Wrack von einem Menschen, den Hader hier so kongenial zeigt, ist es, der diese in Andrea auslöst.

»Andrea lässt sich scheiden«, Österreich 2024. Regie: Josef Hader; Buch: Josef Hader, Florian Kloibhofer. Mit: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Schubert, Robert Stadlober, Thomas Stipsits. 93 Min. Filmstart: 4. April.

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