Leerstellen statt Lehrstellen

Kostenbedingter Ausbildungsboykott von Unternehmen verschärft Fachkräftemangel

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn das Statistische Bundesamt an diesem Freitag seine Zahlen zu neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen 2023 veröffentlicht, wird die Anzahl auf niedrigem Niveau verharren. Die Industriegewerkschaft Metall spricht sogar von einem »Ausbildungsboykott« der Wirtschaft: Nur jeder fünfte Betrieb in Deutschland bilde noch Berufseinsteiger aus.

Und selbst wer ausbildet, tut dies in zu geringem Umfang: Nicht einmal fünf Prozent der Beschäftigten in ausbildenden Unternehmen sind Azubis. Mit einer Ausbildungsquote von 4,3 Prozent sind die Arbeitgeber in den Branchen der IG Metall sogar unterdurchschnittlich. 4,8 Millionen Beschäftigten folgten dort im Jahr 2023 nur 209 000 Auszubildende nach, wie aus einer Bilanz der IG Metall hervorgeht. Gewerkschaftliches Nahziel ist eine Ausbildungsquote von mindestens fünf Prozent – wie sie die Gewerkschaft am Mittwoch beim Flugzeugbauer Airbus vereinbarte.

Es ist noch schlimmer: Etwa jede vierte Ausbildung endet vorzeitig, weil entweder der Betrieb oder aber der Azubi kündigt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat daher in Hamburg 1000 Lehrlinge befragt, wie zufrieden oder unzufrieden sie sind. Ergebnis: Dies hängt stark davon ab, ob sie ihren Wunschberuf erlernen, was immerhin fast 30 Prozent tun. Für ebenso viele war der Ausbildungsberuf gar nicht geplant oder nur eine Notlösung.

Die Sicht vieler Chefs ist eine andere: Fachkräfte selbst auszubilden, kostet Betriebe nicht bloß Zeit und Nerven, sondern auch viel Geld. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) hat in einer Studie aus dem Jahr 2020 ermittelt, dass die duale Ausbildung einer Nachwuchskraft im Schnitt 21 000 Euro kostet. Größter Kostenblock ist dabei mit rund 60 Prozent die Ausbildungsvergütung, gefolgt von den Personalkosten für eigenes und externes Ausbildungspersonal mit 25 Prozent. Hinzu kommen je nach Beruf noch Kosten für Übungs- und Unterrichtsmaterial, Werkzeug, Berufs- oder Schutzkleidung, externe Kurse oder eine eigene Lehrwerkstatt. Zusammen mit Kammergebühren, Rekrutierungs- und Verwaltungskosten addieren sich diese sonstigen Ausbildungskosten auf mehr als 3000 Euro oder rund 15 Prozent des Gesamtbetrages.

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Den Bruttokosten stehen indes Erträge von durchschnittlich knapp 14 500 Euro gegenüber, die ein Azubi im Laufe seiner Lehrzeit erwirtschaftet. Auch das hat das dem Bildungsministerium unterstellte Institut ausgerechnet. Bedeutet im Klartext: Bis zur Abschlussprüfung muss jeder Ausbildungsbetrieb netto erst mal mehrere tausend Euro in jeden Lehrling investieren. Der genaue Betrag variiert je nach Branche, Beruf und Unternehmensgröße. Kleinbetrieben kostet ein Azubi unterm Strich etwa 6000 Euro. Großbetriebe müssen die doppelte Summe investieren.

Ausgelernte Fachkräfte einzustellen, erscheint also aus kurzfristiger Kostensicht wirtschaftlicher, als selbst welche auszubilden. Dennoch zahlt sich Ausbildung letztlich für das Unternehmen aus, etwa damit das Stammpersonal nicht überaltert. Erfahrung und Tradition seien im Beruf zwar wichtig, schreibt die Unternehmensberatung Creditreform in einer Analyse, doch die »jungen Wilden« brächten mit neuen Ideen und eigenen Standpunkten frischen Wind in jede Firma und motivierten ältere Beschäftigte auch mal zum Umdenken.

Angesichts des demografischen Wandels sei es nicht nur gesellschaftlich wünschenswert, sondern auch »unternehmerisch sinnvoll«, dringend benötigte Fachkräfte selbst auszubilden, mahnt der Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks. In den kommenden Jahren verließen pro Jahr bis zu 400 000 Beschäftigte mehr den Arbeitsmarkt, als neue hinzukämen. Und gerade für kleine und mittlere Unternehmen sind die vielen drohenden »Leerstellen« ein kostspieliges Problem: Auf durchschnittlich 10 500 Euro beziffert das Bibb die Kosten für Personalsuche und Einarbeitung einer Fachkraft – mehr, als die Betriebe für ein passgenau ausgebildetes eigenes Nachwuchstalent aufwenden müssten.

Trotz allseits beklagten Fachkräftemangels steigt die Zahl der unversorgten Jugendlichen, wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Gesamtwirtschaftlich standen im vergangenen Jahr 73 400 unbesetzte Ausbildungsplätze 63 700 unversorgten und suchenden Jugendlichen gegenüber. Vertreten sind alle Lernniveaus vom Hauptschulabschluss bis zum (Fach-)Abitur. Dazu kommen noch 2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die keinen berufsqualifizierten Abschluss haben.

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