Was reimt sich auf Kotze?

Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hat der Broadway-Hit »Die Schattenpräsidentinnen« seine deutschsprachige Erstaufführung erfahren

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 3 Min.
Ganz schön schrill: Ungewohnt boulevardesk geht es hier am deutschen Stadttheater zu.
Ganz schön schrill: Ungewohnt boulevardesk geht es hier am deutschen Stadttheater zu.

Darf man das eigentlich sagen – das deutsche Pendant zu »cunt«? Auf der Bühne? Es knallt jedenfalls ziemlich rein im ehrwürdigen Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo der Broadway-Hit »Die Schattenpräsidentinnen« von Selina Fillinger am vergangenen Donnerstag seine deutschsprachige Erstaufführung feierte.

Das schlimme Wort ist auch die Initialzündung für beträchtliche Verwicklungen im Weißen Haus. Der Präsident hat es gesagt. Und alle haben es gehört: die Presse, die Diplomaten und auch die Frau des Präsidenten. Deren vermeintliche Abwesenheit hat das namenlose Staatsoberhaupt nämlich damit erklärt, dass sie »einen hinterfotzigen Morgen« gehabt habe.

»Das haben wir im Griff«, sagt Jean (Josefine Israel), die Pressesekretärin des Präsidenten, der hier weder zu sehen (außer in Form zweier Beine) noch zu hören ist und markante Züge verschiedener real existierender US-Präsidenten trägt. Allerdings liegt Jean mit ihrer Einschätzung gründlich daneben.

In den folgenden knapp zwei Stunden entfaltet sich ein hochtouriges Spektakel in den Räumen des Weißen Hauses, angestoßen zwar vom Präsidenten, aber dann am Laufen gehalten von den sieben Frauen, die – das klärt der überlange Untertitel des Stücks – hinter diesem »großen Idioten« stehen und »versuchen, ihn am Leben zu halten«. Neben der Pressesekretärin gehören dazu die First Lady Margaret (Sachiko Hara), Stabschefin Harriet (Sandra Gerling), Sekretärin Stephanie (Angelika Richter), der Flirt Biene (Linn Reusse), die Schwester des Päsidenten Bernadette (Bettiny Stucky) und die Journalistin Chris (Amal Keller).

Als Farce firmiert »Schattenpräsidentinnen«, also als Komödie der Übertreibungen, Unwahrscheinlichkeiten und Absurditäten. Und auch wenn die Inspiration für »POTUS«, wie der Originaltitel lautet, freilich aus dem Politzirkus der Vereinigten Staaten kommt, erschließt sich der Rummel ohne Weiteres, den Claudia Bauer für die deutschsprachige Erstaufführung eingerichtet hat. Das Tempo ist von Anfang an hoch, die Frisuren und Kostüme (Vanessa Rust) grell und steil, die Sprache derb bis zotig, das Bewegungsrepertoire der Schauspielerinnen herb manieriert.

Wo die Uraufführung, soweit sich das nach Ansicht von kursierenden Videoschnipseln beurteilen lässt, zwar rasant, aber optisch doch eher konventionell daherkommt, legt Bauer noch ein paar Schippen drauf und greift obendrein in die Regie-Theater-Trickkiste. Ist das womöglich zu viel des Guten? Zumindest kann der Abend das hohe Tempo nicht über die gesamte Dauer halten.

Immer wieder schafft Bauer grandiose Szenen wie den unfreiwilligen Drogentrip von Sekretärin Stephanie oder das taktische Manöver der nur scheinbar naiven Biene, die irrtümlich zwei Veteranen sexuell beglückt, und auch die Gesangseinlagen sowie die Auftritte der Kette rauchenden, gerade dem Knast entronnenen Präsidentenschwester Bernadette (Bettina Stucky) sind auf dem Punkt. Aber zwischendurch geht dem furiosen Septett immer mal wieder die dramaturgische Puste aus.

Ist der Takt vielleicht einfach zu hoch? Ist es das Stück selbst? Oder ist es der Clash zwischen Broadway und deutschem Staatstheater, das bekanntlich – und ja auch zu Recht – mit mit allzu klassischen Formen, mit Boulevard und schnöder Unterhaltung fremdelt.

Was sich übrigens in den vergangenen Jahren derweil zu ändern scheint. Häufiger als noch vor zehn Jahren wird Richtung Broadway geschaut. Theater als moralische Anstalt in einem anderen Sinn? Als unterhaltsamer Kontrapunkt zu den Grausamkeiten der Welt da draußen?

Immerhin sind »Die Schattenpräsidentinnen« dann aber doch keine eskapistische Unterhaltung, sondern haben eine klar feministische Botschaft: Die Frauen können das wuppen. Wenn sie sich zusammentun. Wobei: Der unfreiwillige Anschlag auf die männliche Dominanz per Suffragetten-Büste schlägt fehl. Und am Ende sind die patriarchalen Machtverhältnisse die alten. Und die Frage schwebt im Raum, ob eine Frau im Oval Office daran grundsätzlich etwas ändern würde.

Nächste Vorstellungen: 17., 30. April und 5. Mai
www.schauspielhaus.de

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