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»Tosca«: Räderwerk der Vernichtung

Am Staatstheater Cottbus feierte Puccinis »Tosca« Premiere. Eine Regiearbeit von Armin Petras mit Untiefen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Sängerisch und spielerisch ein Glücksfall: Andreas Jäpel als machttrunkener Polizeichef Scarpia
Sängerisch und spielerisch ein Glücksfall: Andreas Jäpel als machttrunkener Polizeichef Scarpia

Als im starken Schlussapplaus nach dieser Cottbuser »Tosca« Chor, Sänger und Regieteam zum Verbeugen auf die Bühne kommen, stürzen sie alle völlig ungeordnet ineinander. Immer wieder aufs Neue. Die »Applausordnung« (für viele Regisseure eine Art heilige Kuh) interessiert Armin Petras nicht, offensichtlich wurde sie nicht ein einziges Mal geprobt. Nicht so wichtig, könnte man sagen, die Premiere ist ja bereits über die Bühne gegangen!

Doch es sagt einiges über diesen Abend: starke Sänger, starke Chöre (gleich mehrere), ein starkes Orchester, starkes Bühnenbild, aber eine Regie, die man als halbherzig bezeichnen muss. Mangelt es Armin Petras an Empathie für »Tosca«?

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Einmal im Leben diese Oper inszenieren dürfen und nicht alles geben, was man hat und noch etwas mehr? »Tosca« liegt Petras offensichtlich nicht, der klassische Stoffe gern frei variiert, Übergänge zwischen Gestern und Heute fließend gestaltet. Doch Handlung und musikalischer Ablauf einer Oper sind strikt festgelegt, die Regie steckt dabei in einem Korsett. Der Weg führt nicht nach rechts oder links, sondern nur in eine Richtung: Steigerung des Ausdrucks, Verdeutlichen der inneren Dramatik innerhalb des vorgegebenen Ablaufs.

War »La Bohème« noch eine romantische Künstlergeschichte, in der es für ihren Schöpfer Giacomo Puccini darum ging, »Tränen zu ernten«, so ist »Tosca« ein brutales Politdrama, in dem es für die Beteiligten kein Entkommen gibt. »Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein«, so Puccini über sein 1900 in Rom uraufgeführtes Werk. Die vier Hauptakteure sind am Ende sämtlich tot. Kein Grund zum Jubeln? Doch, das Uraufführungspublikum feierte die Wahrhaftigkeit des Werks, die Kritik zeigte sich dagegen irritiert bis abwehrend.

Wie hässlich diese Geschichte doch ist, auf dem Schlachtfeld von Macht, Kunst und Liebe werden sie alle hingemetzelt. Darum wurde eigens für »Tosca« auch die Genrebezeichnung »Verismo« eingeführt, was so viel bedeutet, wie Wahrheit auch dann noch in aller Unbedingtheit zu zeigen, wo sie hässlich, nahezu unerträglich wird. Darum kann man in »Tosca« auch den Weg (parallel und doch ganz anders geartet als bei Richard Wagner) hin zum Musikdrama erblicken. Die Sänger sind hier Schauspieler: Wer nur gut singt, ist fehl am Platz. 

Jan Pappelbaum hat »Tosca« eine Bühne gebaut, die präzise den Nerv trifft sowohl des alles beherrschenden Grundkonflikts von Macht und Kunst sowie der im Libretto vorgegebenen Orte der Handlung. Bräunlich gekachelte Wände, die sich im Hintergrund öffnen, dabei gefährlich schwarze Löcher freilegen, aus denen Mauerreste wie Stelen hervorragen.

Neu an »Tosca« ist, dass es sich um ein explizit politisches Drama handelt. Cesare Angelotti, ein ehemaliger Konsul der römischen Republik, wird in der Engelsburg gefangen gehalten, doch ihm gelingt die Flucht. Er taucht in der Kirche auf, in der Mario Cavaradossi ein Magdalenenbild malt und erhält von ihm Hilfe. Der Polizeichef Scarpia kommt ebenfalls in die Kirche und verdächtigt Cavaradossi der Komplizenschaft, und auch die eifersüchtige Sängerin Floria Tosca erscheint, die wiederum das Objekt der Begierde des Polizeichefs ist. Hintergrund der Szenerie ist die Schlacht von Marengo im Jahr 1800. Es verbreitet sich die falsche Nachricht, dass Napoleon geschlagen wurde, dann aber erfährt man vom Sieg Napoleons über die Österreicher. Cavaradossis Jubel darüber überführt ihn in den Augen des Polizeichefs als Staatsfeind.

Angelotti, der leider nur knappe Auftritte hat, wird von Alexander Trauth hervorragend gesungen und gespielt. Der Tenor Alexey Sayapin als Cavaradossi, der im ersten Akt eine große Arie hat, zeigt sich überaus stimmgewaltig, wenn auch anfangs auf eine etwas metallische Weise, der die weichen Töne fehlen. Aber dann gelingt es ihm im Fortgang auch stimmlich dem zu erleidenden Martyrium einen erschütternden Ausdruck zu geben. Und Bariton Andreas Jäpel als machttrunkener Polizeichef Scarpia? Er ist sowohl sängerisch als auch in seinem Spiel ein Glücksfall, der diese Inszenierung über alle Untiefen hinweg trägt.

Und davon gibt es einige. Zum einen verlegt Petras die Handlung auf den Balkan der 90er Jahre. Alle mafiösen Staatsdiener tragen hier Sonnenbrille und Hawaiihemd. Der Text bleibt natürlich der alte. Doch das kann man machen: Widersprüche gehören zur dramaturgischen Vergegenwärtigung. Gänzlich überflüssig aber ist die Einfügung einer stummen Person, die das Geschehen beobachtet und gelegentlich sogar die Mordwerkzeuge reicht.

Das Orchester unter der Leitung von Alexander Merzyn beginnt stürmisch, geradezu hastig, und erst am Ende des ersten Aktes mit dem großartig gesungenen Te Deum von Opern- zusammen mit dem Kinder- und Jugendchor, wird auch eine unheilvoll lastende Stille spürbar, die hier immer mitgeht und etwas von einem Räderwerk der Vernichtung hat.

Die dritte Hauptfigur der Oper ist natürlich Floria Tosca. Die US-amerikanische Sopranistin Elena O’Connor hat diese Rolle bereits in Wiesbaden und Dortmund gesungen. Stimmlich stark, zeigt sie jedoch im Spiel Schwächen. Sie kommt über das Äußerliche der Figur (Kostüme: Cinzia Fossati), die sie als elegante Diva gibt – ihre mehrfach gewechselten Kleider lösen ein Raunen im Publikum aus – nicht hinaus. Da ist plötzlich zu viel Belcanto statt Verismo auf der Bühne, und der sich entspinnende Kampf auf Leben und Tod mit Scarpia wird zur tödlich endenden Tändelei.

Wo aber ist der Regisseur, der seiner hochbegabten Hauptdarstellerin an dieser Stelle sagen müsste, dass jeder Schritt und jede Armbewegung in ihrer Auseinandersetzung mit Scarpia auf dem Höhepunkt des zweiten Aktes eine Bedeutung haben muss und es keinesfalls leere Verlegenheitsgesten sein dürfen?

Er ist nicht anwesend. Dass diese Szene nicht wirklich durchgearbeitet (oder auch nur durchdacht) wirkt, das muss man Petras wahrlich vorwerfen. Was soll hier der ausgelassen-triumphierende Tanz von Tosca mit Cavaradossi, da Tosca doch bereits ein Mord auf der Seele liegt? Das überschätzt die Bedeutung des Passierscheins, den Scarpia ihr gab.

Man schaue im Vergleich dazu die auf Youtube verfügbare Aufnahme der Franco-Zefferelli-Inszenierung des zweiten Aktes von »Tosca« an, Covent Garden in London, 1964. Welch konzentrierte Entschlossenheit der als wehrlos vermuteten Tosca, sich dem gebieterischen Scarpia nicht auszuliefern. Der letzte Schritt ist ihr Mord am Diktator, der sie jedoch auch selbst vernichtet. Eine völlig uneitle Maria Callas am frühen Ende ihrer Laufbahn, bereits körperlich geschwächt und die Reste ihrer Stimmkraft in Ausdruck verwandelnd, erschüttert durch ihren unbedingten Ernst.

Diese Katharsis bleibt in einem an sich sehens- und hörenswerten Cottbuser »Tosca«-Abend aus. Die Schwachen, die Künstler und Intellektuellen mit ihren Träumen vom Anders-Leben, sind den politisch Mächtigen, die immer zu Gewalt fähig sind, eben nicht wehrlos ausgeliefert. Sie können Widerstand leisten.

Nächste Vorstellungen: 19. April, 2. und 27. Juni
www.staatstheater-cottbus.de

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