Serie »Fallout«: Schon wieder Weltuntergang

Die Serie »Fallout« adaptiert das gleichnamige Computerspiel und inszeniert die postatomare Welt als satirisches Splatter-Abenteuer

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
»Fallout« setzt leider zu sehr auf den Krawall-Ekel-Gruseleffekt und weniger auf Inhalt.
»Fallout« setzt leider zu sehr auf den Krawall-Ekel-Gruseleffekt und weniger auf Inhalt.

Und schon wieder geht die Welt unter. Der Kulturbetrieb spielt in immer kürzerer Taktung das Ende unserer Zivilisation durch. Die Postapokalypse wird mehr und mehr zu einem dominierenden Narrativ unserer Zeit. Ob das nur der Wunsch nach einem Bruch mit dem Status quo ist, wie Philosoph Guillaume Paoli vermutet, wohinter tief sitzende Ängste stecken, die es zu verarbeiten gilt, oder die fiktionalen Weltuntergänge nur Allegorien auf eine immer bedrohlicher und autoritärer werdende Gegenwart sind, ist schwer zu sagen.

Das neueste Produkt dieses trendigen Science-Fiction-Subgenres bietet die Amazon-Prime-Serie »Fallout«, die filmische Adaption eines postapokalyptischen Ego-Shooter-Spiels mit komplexem World-Building, das es seit den 90ern in immer wieder neuen Versionen gibt. Videospiele werden mit zunehmender Komplexität immer öfter Grundlage filmischer Adaptionen; jüngst machte sogar der auf Qualitätsfernsehen spezialisierte Sender HBO aus dem Zombie-Weltuntergangsspiel »The Last of Us« einen von der Kritik gefeierten Neunteiler, der bald mit einer zweiten Staffel fortgesetzt wird.

»Fallout« ist für den Streamingdienst Amazon Prime ein im Netz mit unzähligen Filmschnipseln beworbenes Aushängeschild und schafft es, was die Produktionskosten angeht, mit knapp 20 Millionen Dollar pro Episode in die Top Ten der teuersten Serien aller Zeiten, wo sie etwa gleichauf liegt mit dem »Game of Thrones«-Nachfolger »House of the Dragon«.

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Angesiedelt in einer mehrere Jahrhunderte in der Zukunft liegenden postatomaren Welt, die weitgehend zerstört und radioaktiv verseucht ist, geht es in der Serie um ein von diversen Fraktionen gesuchtes technologisches Artefakt, das die kalte Fusion ermöglicht und in der von Mangel gekennzeichneten Welt grenzenlose Energieressourcen bietet. Im Zentrum der Geschichte steht Lucy MacLean (Ella Purnell), die mit ihrer Familie in einem unterirdischen Bunker lebt, dessen Bevölkerung seit 200 Jahren keinen Kontakt mehr zur Außenwelt hatte, bis sie von einer Gruppe Überlebender von der Oberfläche überfallen werden. Lucys Vater, Hank MacLean (Kyle MacLachlan) wird entführt, und seine Tochter verlässt den Bunker, um ihn zu suchen, und erlebt auf der Oberfläche ein skurriles Abenteuer nach dem nächsten.

Das Ehepaar Jonathan Nolan und Lisa Joy, das auch schon für die Science- Fiction-Serien »Westworld« (HBO) und »Peripherie« (Amazon) verantwortlich zeichnete, setzt diese Geschichte als makabres und satirisches Splatter-Epos mit grellen Bildern und actionreicher Handlung um – genauso wie es das Computerspiel vorgibt. Die Welt von »Fallout« erinnert ästhetisch in weiten Teilen an die Vintage-Kultur der 50er Jahre, auch die zugrunde liegende und von dem Spiel ironisch durch den Kakao gezogene Kalte-Kriegs-Logik inklusive des antikommunistischen »Red Scare« (Rote Angst) und eines platten amerikanischen Patriotismus stammen aus den biederen 50ern der McCarthy-Ära.

Die unterirdischen Bunker karikieren die kleinbürgerlichen heteronormativen Moralvorstellungen jener Zeit und kontrastieren sie mit der anarchischen und gewaltförmigen Kultur im Wasteland auf der verseuchten Erdoberfläche. Dort tummeln sich drei Meter große Monster, Rieseninsekten, untote Cowboys, kannibalistische Hippies und überdimensionale, an Ritter erinnernde, Roboter, die zu einer autoritären Bruderschaft gehören. Diese Welt à la »Mad Max« mit dem Hauen und Stechen im Hobbes’schen Sinn ist wenig überraschend und in seiner ironisierenden gewaltreichen Darstellung mitunter geradezu unappetitlich.

Schon vor dem Start hat der Streamingdienst Amazon Prime signalisiert, dass es eine zweite Staffel geben wird. Der Erfolg dieses Blockbusters ist quasi vorprogrammiert. Dabei boomt das Weltuntergang-Narrativ derzeit auch in der Literatur. Während sich »Fallout« als ironisch angelegtes Spektakel an ein Massenpublikum richtet – und es auch erreichen wird –, geht eine literarische Perle wie der dieser Tage erschienene Roman »Das Spiel des Tauchers« von Jesse Ball (Luftschacht-Verlag), der auf beängstigende Weise und weit weniger spektakulär von einem autoritären postatomaren Gesellschaftssystem erzählt, im Kulturbetrieb völlig unter.

Dabei entwickelt dieser Roman, in dem wie in »Fallout« Menschen verstümmelt werden und darüber hinaus ein rassistisches Klassensystem errichtet wird, genau jene erzählerische und politische Wucht, die der Amazon-Serie fehlt. Denn in den derzeit so populären Postapokalypse-Erzählungen stecken jede Menge politisches Potenzial und Kritikfähigkeit, wenn sie denn nicht zum platten Spektakel verkommen.

Verfügbar auf Amazon Prime.

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