1. Mai in Berlin: Kampftag ohne Kampf

Die erwarteten Mai-Krawalle in Berlin blieben aus

Erst die Kufiyah, dann die rote Fahne: Palästina-Solidarität dominierte die diesjährige Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration.
Erst die Kufiyah, dann die rote Fahne: Palästina-Solidarität dominierte die diesjährige Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration.

Viel Lärm um nichts: Die seit Wochen befürchteten Krawalle am Maifeiertag sind ausgeblieben. Die historisch krawallträchtige revolutionäre Abenddemonstration verlief, wie es die Berliner Polizei in einem ersten Resümee festhielt, »weitgehend störungsfrei«. Der Zug von etwa 15 000 Menschen demonstrierte planmäßig durch Kreuzberg und Neukölln und erreichte gegen 21 Uhr den Endpunkt Südstern. Zuvor war die Demonstration nur kurz am Hermannplatz wegen Pyrotechnik im Frontblock aufgehalten worden. Am Endpunkt nahmen die Polizisten noch 18 Teilnehmer fest, denen volksverhetzende Parolen oder Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen wurden. Größeren Widerstand gegen diese Maßnahme leisteten die Demonstrationsteilnehmer nicht.

Insgesamt 55 000 Menschen hatten sich über das Stadtgebiet verteilt an Demonstrationen beteiligt, wie Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus referierte. Damit demonstrierten wieder deutlich mehr Menschen als in den Vorjahren. Ihnen standen 6200 Polizisten im Einsatz gegenüber. Am Morgen beteiligten sich etwa 14 000 Menschen an der traditionellen Kundgebung der DGB-Gewerkschaften. 100 propalästinensische Demonstranten skandierten dort Parolen. Auf Bitte der DGB-Ordner verließen sie die Demonstration wieder. Die Polizei griff nicht ein.

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Im Villenviertel Grunewald versammelten sich 4500 Menschen zu einer antikapitalistischen Demonstration. Hier wurden drei Teilnehmer wegen Sachbeschädigung festgenommen. Insgesamt wurden über den Tag hinweg fünf Polizisten leicht verletzt, alle konnten ihren Dienst anschließend fortsetzen.

Dass die Abenddemo friedlich blieb, dürfte auch daran liegen, dass sich die Demonstration seit dem Bruch durch den coronabedingten Ausfall im Jahr 2020 deutlich gewandelt hat. Der bereits in den vergangenen zwei Jahren geschrumpfte schwarze Block war diesmal überhaupt nicht auf der Demonstration zu finden. Statt autonomen und Antifa-Gruppen wird die Demonstration nun von einem Bündnis trotzkistischer und maoistischer Gruppen organisiert. Die sind wiederum szeneintern bekannt dafür, rhetorisch aufzufahren, ohne den markigen Worten Taten folgen zu lassen.

Auch inhaltlich war der Wandel deutlich zu spüren: Klassenkampf spielte auf den Transparenten nur eine Nebenrolle. Stattdessen dominierte Palästina-Solidarität, die zuweilen eher folkloristisch als politisch anmutete, die Abenddemonstration. Entsprechende Parolen waren mit weitem Abstand am deutlichsten zu vernehmen.

Dabei blieb man im rechtlichen Rahmen. Die Demonstranten hätten sich »penibel« an die Auflagen der Polizei gehalten, berichtete CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger im Abgeordnetenhausplenum. »Volksverhetzende oder antisemitische Parolen waren kaum zu hören«, so Dregger. Er führte dies auf die »roten Linien« zurück, die die Polizei bei früheren propalästinensischen Veranstaltungen gezogen habe.

Wo kein Krawall ist, muss man ihn herbeischreiben: Noch vor Beginn der Abenddemonstration verkündete die Polizei über Twitter, sie habe »Steindepots« auf Dächern an der Demonstrationsstrecke gefunden. Wenig später ruderte das Öffentlichkeitsteam der Polizei zurück: Man prüfe nun, ob es sich nicht doch um liegen gelassenen Bauschutt handeln könnte, hieß es kleinlaut in einer zweiten Mitteilung.

Auch bei der Debatte im Abgeordnetenhaus spielten die politischen Inhalte nur eine Nebenrolle. Im Vordergrund stand die Selbstbeweihräucherung nach dem »friedlichsten 1. Mai seit Jahrzehnten« (Spranger). »Man muss Schwarz-Rot ins Gedächtnis rufen, dass der 1. Mai der Tag der Arbeit ist«, sagte die Grünen-Abgeordnete Tonka Wojahn. »Vergebens – die SPD hat kein Interesse mehr an ihrem früheren Markenkern.«

Sie kritisierte, dass der Senat bei der Hauptstadtzulage falsche Versprechen gemacht habe. »Die Menschen haben sich auf Zusagen zur Hauptstadtzulage verlassen«, so Wojahn. Bislang erhalten Beschäftigte in Landesbehörden eine Zulage von 150 Euro, die den Dienst im Land Berlin wettbewerbsfähiger gegenüber den besser zahlenden Bundesbehörden machen soll. Zuletzt war diskutiert worden, die Zulage auch auf Beschäftigte in Landesbetrieben wie Kitas auszuweiten. Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) sagte dies zunächst zu – bevor der Senat angesichts der schwierigen Haushaltslage wenig später wieder zurückruderte.

»Der Senat lässt junge Menschen im Stich, die einen Ausbildungsplatz suchen«, sagte Linke-Wirtschaftspolitiker Damiano Valgolio. Er warb für die Ausbildungsplatzumlage, die Unternehmen verpflichten würde, eine Abgabe zu zahlen, wenn sie nicht genügend Ausbildungsverträge abschließen. Der Senat hatte zuletzt ein »Ausbildungsbündnis« mit Unternehmensvertretern geschlossen. Das sieht vor, dass die Ausbildungsplatzumlage eingeführt wird, wenn bis 2025 nicht 2000 neue Ausbildungsplätze geschaffen werden. Valgolio reicht das nicht. »Es gab schon ein Konzept, das Sie ins Tiefkühlfach gelegt haben«, sagte er in Richtung der Koalition. Die bis 2023 amtierende Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) verfolgte das Thema lange Zeit schwerpunktmäßig.

Es gibt auch schon Ideen, wofür die aus der Ausbildungsplatzumlage gewonnen Einnahmen genutzt werden könnten: »Es kann nicht wahr sein, dass junge Menschen ihre Ausbildung nicht antreten können, weil sie keine Wohnung finden«, schreiben die Landesvorstände von Jusos und Grüner Jugend in einem gemeinsamen Statement, das »nd« vorliegt. »Deshalb fordern wir ein Azubiwerk für Berlin, welches bezahlbare Wohnungen bereitstellt und Auszubildende individuell berät.«

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