Rechte von Mädchen und Frauen sind fragile Rechte

Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen wird weltweit zurückgedrängt, warnt Livia Sarai Lergenmüller

Eine Frau spricht über ein Megafon während einer Kundgebung anlässlich des Internationalen Frauentags.
Eine Frau spricht über ein Megafon während einer Kundgebung anlässlich des Internationalen Frauentags.

Emanzipation ist kein linearer Prozess. Das bewies der Weltbevölkerungsbericht 2024 des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, der im April vorgestellt wurde. Demzufolge soll sich der Fortschritt des Selbstbestimmungsrechts von Frauen und Mädchen weltweit massiv verlangsamt haben, teilweise zum Erliegen gekommen sein. Die UNFPA-Chefin Natalie Kanem sprach sogar davon, die Rechte würden »immer stärker zurückgedrängt«.

Doch von vorn. Dreißig Jahre ist es her, dass auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo das Aktionsprogramm zur Stärkung der reproduktiven Gesundheit und Rechte des Menschen beschlossen wurde. Damals ein historischer Meilenstein der Bevölkerungspolitik: 179 Staaten rückten gemeinsam von der Idee ab, dass Regierungen Zielgrößen für das Bevölkerungswachstum festlegen sollten und stellten stattdessen Selbstbestimmung und die Stärkung des Individuums ins Zentrum der Bevölkerungspolitik. In Kairo wurden erstmalig sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte als Teil des Menschenrechts auf Gesundheit festgeschrieben.

Livia Sarai Lergenmüller

Livia Sarai Lergenmüller schreibt als freie Journalistin über Kultur und Gesellschaft mit einem Schwerpunkt auf geschlechtsspezifische Gewalt.

Das bedeutete insbesondere auch eine Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen: Für einen Zeitraum von 20 Jahren beschloss man ein umfangreiches Aktionsprogramm, in dem unter anderem der Zugang zu Bildung für Mädchen und Frauen, ein verbesserter Zugang zu Empfängnisverhütung und zu Dienstleistungen um Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und ein Senken der Mütter und Kindersterblichkeitsrate festgeschrieben waren.

Wenngleich es auch Kritik gab, etwa an dem fehlenden Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, leitete das Programm Jahrzehnte des Fortschritts ein: Die Zahl der Frauen, die verhüten, hat sich verdoppelt, mindestens 162 Länder haben Gesetze gegen häusliche Gewalt verabschiedet, die Müttersterblichkeit ist seit 2000 um 34 Prozent zurückgegangen. Und trotzdem sieht es heute, dreißig Jahre später, schlecht aus. Denn von dem Fortschritt haben nicht alle Frauen weltweit gleich profitiert. Zudem ebbt er dem Bericht zufolge ab – und entwickelt sich in einigen Teilen der Erde sogar zurück.

Dabei geht es vor allem um das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit. Jede vierte Frau kann nicht Nein zu Sex mit ihrem Partner sagen, heißt es in dem Bericht. Jede zehnte Frau hat keine Wahl, ob sie verhüten möchte. Jede zweite Schwangerschaft weltweit ist unbeabsichtigt. Die Müttersterblichkeitsrate ist zwar gesunken, es gibt jedoch große regionale Unterschiede. Und: Sexualisierte Gewalt ist in nahezu jeder Region der Welt ein Problem.

Es sind Zahlen, die verdeutlichen, wie fragil Frauenrechte sind. Sie entwickeln sich eben nicht kontinuierlich vorwärts, sondern müssen immer wieder verteidigt werden. Das gilt gerade in Zeiten antifeministischer Rückschritte: Die Einschränkung des Abtreibungsrechts in Ländern wie Polen oder den USA, aber auch das wackelnde Verbot von Genitalverstümmelung in Gambia verdeutlichen, wie schnell Errungenschaften wieder rückgängig gemacht werden können. Auch die globale Diskrepanz ist eine Frage des politischen Willens: Die hohe Müttersterblichkeitsrate und die vielen ungewollten Schwangerschaften wären längst verhinderbar, das betont auch der Bericht. Hätten wir doch nur eine feministische Außenpolitik.

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