Sarah-Lee Heinrich: Zeit, durchzuatmen

Sarah-Lee Heinrich denkt über ihr Leben nach der Vollzeit-Politik nach

Sarah-Lee Heinrich ist nicht mehr Bundessprecherin der Grünen Jugend, dafür nun Kolumnistin beim »nd«.
Sarah-Lee Heinrich ist nicht mehr Bundessprecherin der Grünen Jugend, dafür nun Kolumnistin beim »nd«.

Seit acht Monaten bin ich nicht mehr Bundessprecherin der Grünen Jugend und damit in die Politik-Teilzeit gewechselt. Seit ich 18 war, saß ich im Bundesvorstand, 2021 wurde ich Bundessprecherin der Grünen Jugend. Das war zu einem politisch entscheidenden Zeitpunkt: die erste Regierungsbeteiligung der Grünen in 16 Jahren. Und es war auch ein entscheidender Moment für die Grüne Jugend. Plötzlich wieder Jugendorganisation einer Regierungspartei. Es war so viel zu diskutieren und neu auszurichten. Wie nah oder weit entfernt steht man gegenüber der Partei? Wie verliert man sich nicht im Regierungskleinklein?

Das waren aufregende und lehrreiche Jahre. Was ich jetzt mache? Ich bin weiter in der Grünen Jugend aktiv. Nur nicht mehr die ganze Woche. Workshops geben, Prozesse begleiten und die Kongresse anders genießen, weil man sie nicht mehr komplett mitorganisiert. Und ich studiere vor mich hin.

Sarah-Lee Heinrich

Sarah-Lee Heinrich weiß, was Armut bedeutet. Die Ex-Sprecherin der Grünen Jugend ist in einem Hartz-IV-Haushalt aufgewachsen und engagiert sich seit vielen Jahren gegen soziale Ungleichheit. Sie wirbt für klassenbewusste Ökologie und schreibt jeden zweiten Montag im Monat in »nd.Digital« über Alltag und Ampel.

Viele haben mich vor dem Loch gewarnt, in das man nach einem politischen Amt fällt. Ganz ehrlich? Es kam nicht. Das Mehr an Freizeit tut gut, und ich habe das Gefühl, ich hole immer noch Schlaf nach. Die freien Wochenenden sind mit viel Spaß gefüllt, und wenn ich länger nicht aufs Handy schaue, geht die Welt nicht unter.

Manchmal lese ich schreckliche Nachrichten und bin kurz froh, mich nicht sofort fragen zu müssen, was wir da jetzt gegen machen und wie wir drauf reagieren. Auch überhaupt: Warum soll man sich eigentlich ständig zu Dingen positionieren, ohne großen Einfluss darauf zu haben?

Und umgekehrt beschleicht mich auch immer wieder ein schlechtes Gewissen. Denn die politische Lage ist so schlecht wie lange nicht mehr. Die AfD holt eine Stadt im Osten nach der anderen, ihr Höhenflug ist vielleicht kurzfristig gestoppt, aber die Ostwahlen stehen noch bevor. Die CDU radikalisiert sich weiter nach rechts, und die Ampel setzt dem nicht nur nichts entgegen, sondern verschlimmert die Lage mit ihrer Sparpolitik. Damals habe ich gesagt, dass diese Regierung es nicht besser macht als die GroKo. Manchmal denke ich jetzt, dass die Ampel schlimmere Auswirkungen hat, als es eine GroKo hätte.

Ich glaube, dass es auch politisch hilft, ab und zu eine Auszeit zu nehmen. Ich merke, wie schnell man in Organisationslogiken denkt und wie schwer es ist, nicht in Organisationslogiken zu denken. Wie schnell man anfangen kann, seinen eigenen Einfluss im Verhältnis zur Struktur zu überschätzen, und wie schnell man sich verkämpft. Ich würde von mir nicht behaupten, eine unkritische Bundessprecherin gewesen zu sein, und trotzdem schärft sich der Blick in dem Moment, wo man weiter außen steht.

Jetzt sitze ich oft in der Uni-Bibliothek, lese mal mehr und mal weniger spannende Texte, gehe Französischvokabeln durch, lerne für meine Klausuren und habe den Alltag einer normalen 23-Jährigen. Es fällt mir nicht leicht, mich darauf zu konzentrieren. Die AfD-Umfrageergebnisse und Angriffe der letzten Tage, die Jugendstudie. All das zieht mich aus der Bibliothek zurück in den Aktivismus.

Doch dann bremse ich mich immer wieder. Denn es gibt nie einen guten Zeitpunkt für eine klare Pause. Aber wenn man sie nie macht, ist man genau dann ohne Energie, wenn man sie wirklich braucht. Also lebe ich weiter in Politik-Teilzeit und freue mich, meine Gedanken zum politischen Geschehen im Rahmen dieser Kolumne einmal im Monat zu teilen.

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