Die Bambus-Jalousien

Parole: Wegschmeißen? Niemals!

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

20 Jahre, so lange wie ich jetzt im Wedding wohne, stehen die Bambus-Jalousien hinter dem stillgelegten Kohleofen. Es gibt keinen besseren Platz, wenn man etwas innerhalb der eigenen vier Wände vergessen will. Ich hätte sie vom Bett aus sehen können, aber ich habe noch einen Tisch vor den Ofen gestellt, auf dem sich Verpackungen türmen, die ich nicht entsorgen will, beziehungsweise kann, weil man die ja aus Garantiegründen braucht.

Kürzlich las ich, dass die Berliner Stadtreinigung sogenannte Kieztage veranstaltet. Die Bürger kommen zu einer nahegelegenen Kreuzung, werden überschwänglich von BSR-Mitarbeitern mit Handschlag und Schulterklopfer begrüßt und geben ihren Sperrmüll ab. So die Theorie. In der Praxis bleibt es fraglich, ob jemand den Weg dorthin findet, denn für viele Berliner bedeutet »einmal die Straße runter und dann links« eine Weltreise. Im Falle einer Möbel-Entsorgung schaffen es die meisten gerade mal in den Hof, in den Flur vom Vorderhaus oder auf den Bürgersteig und dann haben sie keine Kraft mehr und lassen fallen, was sie tragen.

Frank und Julia haben ein Auto, also so eins, das von seinen Maßen her vermuten lässt, dass es für Transporte taugt. Sie helfen mir, den Sperrmüll vom Hausflur zum Wagen zu tragen, und währenddessen rufe ich zu Frank: »Sieh mal, die Jalousien haben wir reingetragen, als du damals die Dokumentation gedreht hast und jetzt tragen wir sie raus.«

Frank war damals auf dem Trip gewesen, ein Filmemacher der Extraklasse zu werden, und sein erstes Projekt war eine Dokumentation über meinen Umzug von Friedrichshain in den Wedding, so mit Interviews und stimmungsvoller Musik. Eine tolle Idee, die von den anderen Umzugshelfern aber als »Ausrede« betrachtet wurde, so von wegen »Kunst machen«, um nichts schleppen zu müssen.

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Jedenfalls habe ich es als Zeichen von Engagement für sein Projekt gesehen, dass er einen Treppenlift bauen ließ und, bekleidet mit einer Schirmmütze und ausgestattet mit einem Megaphon, die ganze Zeit vom Erdgeschoss in den zweiten Stock rauf und runter fuhr und ständig »Und Action!« rief, während die anderen den Kühlschrank oder eben die Bambus-Jalousien hochtrugen.

Frank reagiert nicht auf meinen sentimentalen Ausruf. Vielleicht will er nicht an das Filmprojekt erinnert werden, weil es kein Erfolg wurde. Ich sehe dem Auto hinterher, das zum »Kieztag« zwei Straßen weiter fährt. Keine Ahnung, was jetzt aus den Bambus-Jalousien wird. Vielleicht kann einer der BSR-Mitarbeiter damit was anfangen und nimmt sie mit nach Hause. Gut möglich, dass sie verbrannt werden, weil so olle, verstaubte Jalousien keiner haben will, nicht mal regelmäßige Besucher des NochMall-Kaufhauses, in dem die BSR erfolgreich Sperrmüll verkauft. Das ist eine niederschmetternde Aussicht. Einen Moment lang überlege ich, sie wieder zurückzuholen, aber wohin damit? Ich habe inzwischen was anderes hinter den Ofen gestellt. Für die nächste Sperrmüll-Tour. Irgendwann.

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