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Anders als alle anderen

Musiklehrer Harald Petzold (Linke) tritt erneut bei der Landratswahl im Havelland an

Hier muss noch unbedingt ein linkes Wahlplakat hin: Harald Petzold bringt es persönlich an.
Hier muss noch unbedingt ein linkes Wahlplakat hin: Harald Petzold bringt es persönlich an.

Der Infostand des Kreistagsabgeordneten und Landratskandidaten Harald Petzold (Linke) in Rathenow ist buchstäblich ins Wasser gefallen. Nur ein Fleischerwagen und ein Gemüsehändler harren am Mittwochnachmittag im strömenden Regen auf dem Märkischen Platz aus und bedienen einen Kunden. Alle anderen Passanten haben sich irgendwo untergestellt oder eilen nach Hause. Bei wem soll Petzold bei diesem Wetter um Stimmen werben? Der Musiklehrer und Sonderpädagoge, der an einer Gesamtschule in Falkensee unterrichtet, hat sich in die Geschäftsstelle seiner Partei an der Goethestaße 4a zurückgezogen und korrigiert einstweilen einen Test seiner Schüler. Einen Wahlkampftermin hat er heute noch – am frühen Abend im 100 Meter entfernten Eiscafé Rokoko. Von dort aus überträgt die »Märkische Allgemeine Zeitung« (MAZ) ein Forum mit den vier Kandidaten für die Landratswahl im Havelland am 26. Mai.

Petzold saß von 1990 bis 1999 im Brandenburger Landtag, danach war er unter anderem Referent von Wirtschaftsminister Ralf Christoffers und Büroleiter der Bundestagsabgeordneten Kirsten Tackmann und schließlich von 2013 bis 2017 selbst Bundestagsabgeordneter. Mittlerweile ist der 62-Jährige in seinen Lehrerberuf zurückgegangen und es macht ihm sichtlich Freude. Dennoch hat er sich als Landratskandidat zur Verfügung gestellt. Denn die Bürger sollen nicht bloß zwischen Landrat Roger Lewandowski (CDU) und Götz Frömming (AfD) entscheiden müssen, sondern eine echte Alternative haben.

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Dass er anders ist als die anderen, auch anders als der vierte Kandidat Robert Pritzkow von der Ländlichen Wählergemeinschaft Nauen, belegen nicht nur Petzolds persönliche Lebensumstände – er ist mit einem Mann verheiratet –, sondern auch seine politischen Überzeugungen.

Das zeigt sich, als die Kandidaten während des MAZ-Forums mit Daumen hoch oder runter zeigen sollen, wie sie zu vorgegebenen Thesen stehen. Petzold ist der Einzige, der eine Vier-Tage-Woche in der Kreisverwaltung befürwortet: »Ich bin grundsätzlich dafür, dass Menschen weniger arbeiten.« Beschäftigte könnten dann die übrige Zeit für ihre Weiterbildung nutzen. Petzold ist der Einzige, der findet, dass es im Havelland nicht genug Jugendfreizeiteinrichtungen gibt. Seine Schüler bestätigen ihm diesen Eindruck, wie er sagt. Petzold ist überdies der Einzige in der Runde, dem die Idee einer Willkommensprämie für Zuzügler gefällt. Er spinnt sie gleich weiter: Es könnten ja günstige Baugrundstücke oder Wohnungen für Familien bereitgestellt werden. Landrat Lewandowski meint dagegen, das Geld könne man sich sparen. Zuzug gebe es auch so. AfD-Kandidat Frömming sieht es genauso. Das müsse man »nicht mit Geld nach sozialistischer Manier regeln«. Pritzkow pflichtet bei: »Zumal wir dann auch jedem Flüchtling die Prämie auszahlen müssen.« Einig sind sich alle vier Kandidaten lediglich darin, dass der Kreißsaal der Havelland-Kliniken in Rathnow, der wegen Personalmangels schließen musste, wieder geöffnet werden sollte.

Bei der Asylpolitik sind die Differenzen sehr deutlich. Als Frömming sagt: »Echte Fachkräfte – für mich sind das schon mal keine Migranten«; wirft Petzold dem AfD-Politiker »menschenverachtendes, arrogantes Verhalten gegenüber Flüchtlingen« vor. Wenn Frömming mal nicht nur Hetzreden vor Asylheimen halten, sondern mit den Bewohnern sprechen würde, wüsste er, dass viele durchaus qualifiziert sind, sagt Petzold. Handwerksbetriebe, die Geflüchtete einstellten, sammelten positive Erfahrungen, beklagen aber die bürokratischen Hürden dafür, berichtet Petzold.

Seine Lösungsansätze unterscheiden sich von denen der Mitbewerber. So wünscht sich Petzold bezahlbaren Wohnraum durch eine kreiseigene Wohnungsgesellschaft sowie bezahlbaren Strom und Heizung durch kreiseigene Energiewerke. Den Personalmangel in Kitas und Jugendklubs möchte er ebenfalls durch ein kreiseigenes Unternehmen bekämpfen. Der 62-Jährige versteht sich als Interessenvertreter der Menschen, »die am Ende des Monats schauen müssen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen«.

Halb scherzhaft wird drei Jahrzehnte nach der Vereinigung auch die Ost-West-Problematik angesprochen. Es geht dabei aber nicht um DDR und Bundesrepublik, sondern um Ost- und Westhavelland, die bis zur Kreisgebietsreform 1992 selbstständig waren. Es gibt unterschiedliche Mentalitäten. Der Osten des Landkreises ist vom Berliner Speckgürtel geprägt, der Westen dünner besiedelt und eine klassische ländliche Region mit zum Teil ganz anderen Schwierigkeiten. Kein Westhavelländer, sondern ein gebürtiger Westdeutscher ist Götz Frömming. Im Havelland wohnt der 55-jährige AfD-Politiker, der in Berlin in den Bundestag gewählt wurde, erst seit vier Jahren. Von Geburt an im Havelland lebt dagegen der 33-jährige Pritzkow und wirbt für sich mit dem Hinweis, er sei der einzige der Kandidaten, auf den das zutreffe. Landrat Lewandowski hat von seinen 59 Lebensjahren 30 im Havelland zugebracht. Harald Petzold ist 2003 zugezogen. Im Eiscafé beantwortet Petzold die Frage nach seinem Lieblingseis: »Erdbeereis – schon weil es rot ist.« Eine Stimme für ihn sei eine Stimme gegen den Rechtsruck.

Bereits 2016 war Petzold bei der Landratswahl angetreten. Damals siegte in der Stichwahl Roger Lewandowski mit 53 zu 47 Prozent über Martin Gorholt (SPD), verfehlte aber die Mindestanzahl von 15 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten. Lewandowski wurde deshalb erst durch die Kreistagsabgeordneten zum Landrat gemacht. Petzold war mit 10,6 Prozent bereits in der ersten Runde ausgeschieden, ebenso wie Kai Gersch (AfD) mit 18,8 Prozent und Petra Budke (Grüne) mit 6,9 Prozent. Es gab damals außerdem noch einen Einzelbewerber, der 3,0 Prozent erhielt, einen Kandidaten der Piraten (1,8 Prozent) und einen der NPD (1,4 Prozent).

Harald Petzold schätzt seine Chancen realistisch ein. Er hofft aber, wieder ein zweistelliges Ergebnis zu erreichen. Das ist schwer genug angesichts der Tatsache, dass seine Partei landesweit nur noch bei sechs Prozent steht. Andererseits ist es vielleicht auch machbar in einer Situation, wo es jetzt keinen anderen Kandidaten links von der CDU gibt.

Auf der Heimfahrt von Rathenow nach Falkensee stoppt Petzold immer wieder, holt eins seiner Wahlplakate von der Rückbank seines Autos und befestigt es an einem Laternenmast – insbesondere in den Dörfern, in denen sonst niemand merken würde, dass es einen linken Landratskandidaten gibt. Erhält am 26. Mai niemand die absolute Mehrheit von über 50 Prozent der Stimmen, kommt es zu einer Stichwahl. Die findet dann am 9. Juni zeitgleich mit den Kommunal- und Europawahlen statt.

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