Grundgesetz-Overkill

Wer soll was feiern? Schön wäre mal ein Feiertag, bei dem sich nicht alle einig sind

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 3 Min.
Und was kommt dabei heraus? Currywurst für Leute, die Bundeskanzler werden wollen, wie hier Olaf Scholz nach einem TV-Duell, 2021.
Und was kommt dabei heraus? Currywurst für Leute, die Bundeskanzler werden wollen, wie hier Olaf Scholz nach einem TV-Duell, 2021.

Dass nun das Grundgesetz 75 Jahre alt wurde, haben nicht wenige zum Anlass genommen, es nicht nur zu feiern sondern auch obendrein noch mehr Feierei für die Zukunft zu fordern. Der »Tagesspiegel« beispielsweise wollte den 23. Mai zum Nationalfeiertag ausgerufen sehen, und wer wollte widersprechen: schließlich ist das Grundgesetz ein einigermaßen solides Bollwerk für die Bürger*innen gegen die staatliche Gewalt. Das gilt natürlich nur für Deutsche, das Asylrecht beispielsweise ist inzwischen an derart vielen Stellen beschnitten worden, das es nur noch als Stumpf aus dem Boden ragt.

Und genau das ist das Problem dieser Forderung: nicht was gefeiert werden soll, sondern wer es feiern soll. Das wären in diesem Fall: die Deutschen. Alle Deutschen, als eine Nation.

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Das Phantasma, dass es dieses Nationalgefühl dringend brauche, zieht sich seit dem 19. Jahrhundert durch die rechtsrheinische Geschichte. Der Versuch, um jeden Preis einen Mythos zu schaffen, hat viele absurde und bizarre intellektuelle Verrenkungen hervorgebracht, von der eine der bizarrsten und absurdesten ein »Spiegel«-Titel von vor ungefähr 15 Jahren, der es auf sich nahm, »Die Geburt der Deutschen« zu erzählen. Ahnherr der ganzen Melange, die die Deutschen sind, sei freilich Herrmann der Cherusker, der die Germanen vor dem Zugriff der verweichlichten, ja nach gerade weiblichen und versaubeutelten latinischen Kultur gerettet habe. Höhepunkt des ganzen Stücks sind dann die offenbar lobend gemeinten Worte: »Ohne ihn gäbe es heute vielleicht weder Saumagen noch Currywurst.« Gott sei's getrommelt.

Dass hierzulande selbst die unverfänglichsten Anlässe genutzt werden, um das eigene Überlegenheitsgefühl zu übersteigern, hat die Heim-WM 2006 ja deutlich gezeigt. Da sollte »die Welt zu Gast bei Freunden« sein, aber inzwischen ist gut dokumentiert, dass dieses Fest zu einem Aufschwung an Xenophobie und Chauvinismus geführt hat. Schon damals ist oft erzählt worden, dass man durchaus stolz sein dürfe, Deutsche*r zu sein, wie es bei anderen Nationen ja auch Gang und Gäbe wäre, statt sich auf immerdar nur zu schämen. Aber erstens existieren noch weit mehr Gefühle als Scham und Stolz, und zweitens drehen andere Nationen nicht in diesem Ausmaß am Rad, wenn sie sich alle einig wähnen. Und was die anderen Nationen anbelangt: es lohnt sich, auf Korsika, in der Bretagne, der Vendée oder im Baskenland einmal die Leute zu fragen, was sie vom französischen Nationalstolz so halten und welche Verheerungen er angerichtet hat.

In einer Zeit, in der fast alle politischen Akteure der Meinung sind, Rechtsextreme seien an besten zu bekämpfen, indem man inhaltlich ihre Forderungen umsetzt (Stichwort Asylrecht), und in der Konservative obendrein Rhetorik und Position eben jener Rechtsextremer übernehmen, gibt es »als Deutsche« sowieso gar nichts zu feiern. Gar nichts zu sagen wäre hingegen gegen einen weiteren Feiertag. Zum Beispiel könnten Bayern, Sachsen oder Badenser feiern, wann Sie einmal den Preußen auf die Mütze geben konnten. Oder, warum nicht, ein muslimischer Feiertag, da könnte man immerhin sicher sein, dass es die richtigen zur Weißglut bringt. Irgendwas jedenfalls, bei dem sich nicht alle einig sind.

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