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Rechte Einflussversuche bei der BVG
Ehemaliger AfD-Politiker bringt sich mit Petition bei BVG-Beschäftigten in Stellung
»Es gab den einen oder anderen, der große Reden zum Tarifabschluss geschwungen hat. Den habe ich dann beiseite genommen«, berichtet im Gespräch mit »nd« ein bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) beschäftigtes Verdi-Mitglied, das sich ehrenamtlich in der Betriebsgruppe der Gewerkschaft engagiert.
Die Unruhe entstand einen Tag vor Beginn der Verdi-Mitgliederbefragung zur Annahme des Tarifergebnisses am 30. April. Bei den diesjährigen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverband geht es um den sogenannten Manteltarifvertrag, unter anderem um Urlaubstage, Zuschläge, Pausenzeiten sowie um die Zuordnung der Aufgabenfelder zu den entsprechenden Entgeltgruppen. Hier konnten Verbesserungen erreicht werden. Doch es gab ein überraschendes »Störfeuer«, wie Gewerkschafter gegenüber »nd« berichten.
So gab es eine Petition auf der Plattform Change.org mit dem Titel »Tarifergebnis 2024 nachbessern – Für mehr Wertschätzung des Fahrdienstes der BVG«. Das Ergebnis der Tarifverhandlungen sei »eine Herabwürdigung des Fahrdienstes«, heißt es im Text. Die Forderung: Fahrerinnen und Fahrer von U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen sollten von der Entgeltgruppe 5 auf die 6 hochgestuft werden. Der Grundlohn würde sich somit um rund 200 Euro pro Monat erhöhen. Es sei eine »glatte Lüge«, wenn »einige Verdi-Vertreter gebetsmühlenartig beteuern, dass es bei den Verhandlungen nicht ums Geld ging, sondern um die Rahmenbedingungen«.
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Verfasser der Petition ist BVG-Straßenbahnfahrer Marcel Donsch, der bisher öffentlich vor allem als Kommunalpolitiker in Brandenburg in Erscheinung getreten ist. 2019 zog er für die AfD in den Kreistag Barnim sowie den Rat der Gemeinde Panketal ein.
Bei den anstehenden Wahlen am 9. Juni kandidiert er allerdings weder für den Kreistag noch für den Gemeinderat, auch aus der AfD trat er im März 2022 aus. Laut »Märkischer Oderzeitung« (MOZ) nannte er als Begründung unter anderem die »völlig verfehlte Corona- und Ukraine-Politik der AfD«.
Die Höhergruppierung des Fahrdienstes, wie Donsch in seiner Petition fordert, gehörte nicht zu den Tarifforderungen. »Wir können nicht einfach etwas nachschieben, was nicht in unserer ursprünglichen Forderung enthalten war«, erläutert Verdi-Gewerkschaftssekretär Jeremy Arndt. »Wir haben die Forderungen auf Basis unserer Mitgliederbefragung 2023 entwickelt. Eine Höhergruppierung des Fahrdienstes wurde dabei nur sehr selten verlangt.«
Die Petition sorgte für eine gewisse Unruhe, verfing allerdings nicht. Knapp 55 Prozent der abstimmenden BVG-Beschäftigten votierten für die Annahme des Verhandlungsergebnisses, wie Mitte Mai bekannt gegeben worden ist. Dabei erreichte sie durchaus Reichweite – 1400 unterstützten die Petition. Unklar ist, wie viele davon tatsächlich im Fahrdienst arbeiten, der deutlich über 6000 Beschäftigte zählt.
Nun befürchten Gewerkschafter bei der BVG, dass sich Marcel Donsch für die Ende 2024 anstehenden Personalratswahlen im Landesbetrieb warmläuft – Ein Mann, der selbst der rechtspopulistischen AfD zu rechts schien. So berichtete 2020 die »MOZ«, dass die AfD 2018 ein letztlich ergebnislos beendetes Parteiordnungsverfahren gegen Donsch eingeleitet habe, da ihm vom Landesvorstand der Partei »eine Nähe zu Rechtsextremen« unterstellt worden sei.
Unter anderem soll er in einem Chat die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« benutzt haben. Erst kürzlich ist der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wegen der Verwendung derselben Parole in einer Rede vom Landgericht Halle zu 13 000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Donsch räumte gegenüber der »MOZ« die Verwendung der Parole ein: »In einer nicht-öffentlichen, internen Whatsapp-Nachricht schloss ich eine von mir verfasste Nachricht mit den Worten ›Alles für Deutschland‹«. Er gibt an, nicht gewusst zu haben, dass »Alles für Deutschland« der Wahlspruch der SA im Dritten Reich war. Den Inhalt dieser Aussage, sich mit aller Kraft für das Land einzusetzen, finde er richtig.
Aufmerksamkeit erregte Donsch auch mit einer Verurteilung zu zwei Jahren auf Bewährung vor dem Amtsgericht Bernau Ende 2022. 2015 soll er in Gemeinschaft einen Mann entführt, verprügelt und nackt im Wald bei sechs Grad Außentemperatur zurückgelassen haben. Das Gericht verurteilte Donsch deswegen zu zwei Jahren auf Bewährung.
Rechtskräftig ist das Urteil bis heute nicht, es gibt auch bislang keinen Verhandlungstermin für das anstehende Berufungsverfahren, wie die Pressestelle des zuständigen Landgerichts Frankfurt (Oder) auf Anfrage von »nd« mitteilt. Donsch selbst erklärt, unschuldig zu sein. Auch auf Anfragen des »nd« äußerte er sich nicht.
Und so treibt er sein Unwesen – und unbefriedigende Arbeitsverhältnisse sind für ihn gefundenes Fressen. Denn zunehmend ist eine latente Unzufriedenheit mit den Ergebnissen bei Tarifverhandlungen zu beobachten. Ein Ausdruck davon war vor einigen Jahren die Gründung der linken Basisgruppe »Verdi.Aktiv«, die allerdings zuletzt 2020 öffentlich wahrnehmbar war.
»Rechtspopulismus geriert sich als Stimme radikaler Kritik, die die Arbeit der Zuspitzung beherrscht, während der Betriebsrat als Teil des betrieblichen ›Establishments‹ und damit der Kapitalseite zugehörig attackiert wird«, beschreiben die Soziologen Dieter Sauter und Richard Detje in einem 2019 in den »WSI Mitteilungen« erschienenen Aufsatz das Muster, nach dem Marcel Donsch agiert. »Damit umzugehen ist nicht einfach«, heißt es weiter, schließlich seien Betriebsräte und Gewerkschaften darauf angewiesen, möglichst auf Augenhöhe zu
verhandeln. »Daraus kann der Eindruck entstehen, Teil der betrieblichen Elite zu sein«, so die beiden Forscher.
Es gelte, »die gewerkschaftliche Organisationsmacht durch eine konflikt- und mobilisierungsorientierte Arbeitspolitik zu stärken«, raten Sauter und Detje. Es brauche »neue kollektive Perspektiven gegen einen Kapitalismus, der die Leistungsschrauben in allen Bereichen anzieht«, zugleich aber sein »Aufstiegs- und Sicherheitsversprechen« nicht einlöse. Mobilisierungs- und Beteiligungsprozesse müssten organisiert werden für eine »demokratische Interessenpolitik ›von unten‹ jenseits der klassischen Stellvertreterpolitik«.
Ein Beschäftigter der BVG äußert gegenüber »nd«, dass es für ihn »absolut unvereinbar« sei, »dass jemand, der AfD-Mitglied ist oder so denkt, Personalrat sein kann«. Gleichzeitig hält er es nicht für sinnvoll, wenn sofort die Rassismuskeule geschwungen werde: »Das treibt die Leute in die Arme der AfD.«
Auffällig ist, wie sehr inzwischen die BVG-Vorstandsmitglieder immer wieder öffentlich betonen, dass sich Arbeitsverhältnisse und Bezahlung verbessern müssen. Seit Jahren gelingt es dem Landesunternehmen nicht, die benötigten Arbeitskräfte zu bekommen.
Öffentlich sichtbar ist das vor allem beim Fahrpersonal und den daraus folgenden spürbaren Angebotsreduzierungen. Mindestens ebenso dramatisch sieht es jedoch auch in den Werkstätten, Planungs- und Bauabteilungen aus.
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