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VW-Betriebsrat: »Man hat die Entwicklung verschlafen«
VW-Betriebsrat Bilal Sahin über die Krise der Automobilindustrie, grüne Transformation und Klimaleugner
Am vergangenen Wochenende fand ein Ratschlag der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Automobilindustrie statt. Da ging es auch um die Krise der Branche, ist VW davon betroffen?
Ja, das kann man an den Zahlen festmachen. Selbst die gut verkauften Fahrzeuge kommen vom Ergebnis her nicht an das heran, was vor Corona abgeliefert wurde. 2023 waren es 9,2 Millionen Fahrzeuge. Das ist zwar eine leichte Steigung gegenüber 2022. Aber trotzdem lag die Zahl unter den zehn Millionen von vor der Pandemie.
Woran liegt das?
Das hat drei Gründe. Einmal gibt es eine unklare politische Entwicklung. Dazu gehören Kriege, die Unsicherheiten auslösen, in der Ukraine, in Gaza, aber auch in anderen Teilen der Welt. Und es fehlt an Investitionsbereitschaft seitens der Bundesregierung. Der zweite Grund betrifft die Handelspolitik zwischen den USA und China, die sich auf die EU negativ auswirkt. Derzeit ist unklar, ob eine sanfte Zollpolitik reicht oder ob das die Gefahr birgt, dass chinesische Marken den deutschen Markt überlaufen. Andersherum werden in China jedes Jahr 23 Millionen Fahrzeuge verkauft und Volkswagen hatte bei den Verbrennern bislang einen Marktanteil von 20 Prozent. Der liegt bei der E-Mobilität dagegen bei nur zwei Prozent. Zum einen, weil die chinesischen Unternehmen massiv investieren und staatliche Subventionen erhalten. Dadurch ist die Diskrepanz zwischen chinesischen und deutschen Herstellern mit Blick auf die Innovation riesig. Das Ganze wird erschwert, weil die Verkaufszahlen für E-Autos gerade drastisch sinken. Und drittens gibt es das Thema Managementversagen. Bei Volkswagen, auch in Deutschland generell, hat man die Entwicklung verschlafen. Ein Unternehmen wie VW, das eine breite Käuferschicht ansprechen muss, bietet keine E-Autos unter 25 000 Euro an. Das ist ein großes Problem.
Bilal Sahin ist VW-Betriebsrat in Baunatal. Vor zwei Jahren wurde er zum IG Metall-Fraktionsvorsitzenden ernannt. In der Gewerkschaft engagiert er sich seit seiner Ausbildung als Industrieelektroniker.
Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?
Die Konsequenzen spüren wir zum Beispiel beim sogenannten Performance-Programm. Damit plant man in den nächsten zwei Jahren etwa 20 Prozent der Personalkosten einzusparen. Das verunsichert die Beschäftigten, weil es ein Vorbote dafür ist, dass in den nächsten drei Jahren insgesamt zehn Milliarden Euro eingespart werden sollen. Mit einem Zukunftstarifvertrag haben wir schon 2005/2006 durchgesetzt, dass für die 99 000 Beschäftigten bis 2029 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind. Dabei mussten wir aber auch eine Arbeitszeiterhöhung hinnehmen.
Das klingt nach schlechten Bedingungen für offensive Tarifforderungen.
Wenn es hart auf hart kommt, stehen die Truppen. Unsere Belegschaft hat ein gutes Gespür für Streikauseinandersetzungen, auch aufgrund unserer Organisationsstärke mit vielen Vertrauensleuten im Betrieb. Dadurch konnten wir unsere letzten Forderungen mit Warnstreiks ins Ziel bringen. Man muss reflektieren, ob wir den verteilungsneutralen Spielraum erreicht haben in Anbetracht der Inflation. Ich denke, im Kern schon. Und die Forderungen für die anstehende Tarifrunde sind noch nicht beschlossen. Darüber entscheiden wir demokratisch in der Tarifkommission. Aber es ist ein schwieriger Spagat wegen der Krise und ich fürchte, dass VW nicht davor geschützt ist, auch über harte Einschnitte nachzudenken.
Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?
Bei uns in Baunatal wird die Krise anders wahrgenommen. Im Gegenteil, es gibt Mehrarbeit, Pflichtschichten, wir holen weitere Zeitarbeitnehmer. Das hat damit zu tun, dass wir einerseits Elektroantriebe liefern, jetzt aber wieder mehr Verbrennermotoren nachgefragt werden. Die Beschäftigten beklagen eher, dass sie zu wenig Freizeit haben, dass die Belastung zu hoch ist. Die finden, dass es widersprüchlich ist, dass wir als Betriebsrat über Transformation und Investitionen in E-Fahrzeuge sprechen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der etwa 15 000 Beschäftigten hier im ländlichen Raum wohnt. Da ist die Infrastruktur für E-Mobilität noch schlechter als in der Stadt, und es ist schwer zu vermitteln, dass wir bei VW auf elektrische Antriebsstränge setzen und den Verbrenner auslaufen lassen wollen. Die Transformations- und Klimadebatte spaltet auch hier die Belegschaft.
Wie gehen Sie damit um?
Wir schulen unsere Vertrauensleute und suchen aktiv die Diskussion. Das geht nicht immer ohne Streit. Wir haben im Betrieb vereinzelt Diskussionen mit Klimaleugnern und Sympathisanten der AfD. Das kann man nicht vom Tisch wischen. Aber eine Umfrage im Betrieb hat gezeigt, dass viele Beschäftigte Verständnis für das Thema haben. Es braucht dafür Klarheit über die Nachhaltigkeit in der Lieferkette bei E-Fahrzeugen. Und das Thema Klimawandel muss auch für abhängig Beschäftigte finanzierbar sein, gerade mit Blick auf die Inflationszahlen der letzten Jahre. Wir haben als Betriebsrat eine klare Haltung: Wir sehen die Notwendigkeit einer nachhaltigen Veränderung.
Geht die IG Metall dann auch künftig mit Fridays For Future auf die Straße?
Das müssen Sie den IG Metall-Vorstand fragen. Ich glaube, dass die Gewerkschaften sich überlegen müssen, ob sie beim Thema Klimawandel vorneweg marschieren wollen oder das anderen überlassen. Ich wünsche mir, dass wir uns mehr mit außerparlamentarischen Bewegungen verbünden. Das betrifft nicht nur die Klimabewegung, sondern auch die Antikriegsbewegung. In Kassel gibt es Rheinmetall, wo abhängig Beschäftigte Rüstungsgüter herstellen. Es geht um Arbeit, klar. Aber dennoch muss man fragen, ob wir als Gewerkschaft akzeptieren wollen, dass in Kriegen Waffen eingesetzt werden, die aus Deutschland kommen. Immerhin setzt sich die IG Metall laut Satzung für Frieden ein. Ich finde, dass wir auch da die Speerspitze der Bewegung bilden sollten.
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