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Nachruf auf Friedrich Wolff: Still und kundig

Zum Tod des Staranwalts Friedrich Wolff

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu seinem 101. Geburtstag war die Schar der Gratulanten, anders als im Jahr zuvor, sehr überschaubar. Von Nachbarn und Verwandten abgesehen, waren es eigentlich nur zwei. Gregor Gysi, von der Insel Usedom aus dem Urlaub kommend, brachte einige Tafeln Schokolade, und der Verleger Gedrucktes. Denn auch wenn Fritz Wolff selbst kaum noch lesen konnte, so trug seine Frau Iris dem unverändert politisch Hellwachen stets die Texte vor, von denen sie überzeugt war, dass sie ihn interessierten. Und anschließend berichtete sie über seine lebhaften Reaktionen.

Wolff litt nach meinem Eindruck mehr an der Welt als an den eigenen Malesten, die sich mit den Jahren eingestellt hatten. Besonders der Niedergang der Linken machte ihm zu schaffen. Er war nach Kriegsende der KPD beigetreten, mit ihr in die SED gekommen, dieser dann in die PDS gefolgt, eine Zeit lang gehörte er auch dem Ältestenrat der Linken an. Mit seinem jüdischen Humor hätte er vermutlich das Wahldesaster am Sonntag, so er es denn noch gekonnt hätte, mit der Bemerkung kommentiert: Das gab mir den Rest.

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Fritz Wolff beherrschte die Kunst der Selbstironie, was unschwer auch in seinen Büchern nachgelesen werden kann. Vor seinem 100. hatte er sich mit Egon Krenz zusammengesetzt, und schon der Titel des Gesprächsbandes offenbarte seine Haltung: »Komm mir nicht mit Rechtsstaat«. Mit spürbarer Verärgerung kommentierte er das mitunter Übergriffige nicht nur der Justiz. Und besonders gern zitierte er die Bemerkung des seinerzeitigen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der geklagt hatte, nicht in einem Rechts-, sondern in einem Gerichtsstaat zu leben. Und in einem »Rechtswegestaat«, hatte Wolff ergänzt.

Das bundesdeutsche Justizsystem kenne die Gerichtsbarkeit für Straf- und Zivilsachen, ferner Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Verwaltungsgerichte, ein Labyrinth von Rechtswegen. »In der DDR gab es einen einfachen und überschaubaren Gerichtsaufbau – Kreisgericht, Bezirksgericht und das Oberste Gericht. Sie waren für alles zuständig – für Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtssachen wie auch für Strafsachen«, meinte er. Nach der Wende habe er oft von Mandanten zu hören bekommen, das sei jetzt alles viel bürokratischer als in der DDR. Das juristische Dickicht sei kaum zu durchschauen und zu verstehen, einfach unheimlich.

Friedrich Wolff hatte viele Mandanten, prominente und weniger bekannte. Freiwillig oder als Pflichtverteidiger. Auch Nazis gehörten dazu. Er hatte mitunter Mühe, Kritikern zu erklären, dass er nicht die Tat verteidige, sondern dafür sorge, dass dem Angeklagten nicht Unrecht widerfahre, so sehr er sich auch schuldig gemacht habe. Wie könne er einen Massenmörder wie den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer verteidigen, der in der Ukraine Tausende Juden umgebracht und Partisanen gejagt habe? Oder Hans Globke, den Schreibtischtäter aus dem Reichsinnenministerium der Nazis, der die Nürnberger Rassegesetze mitverfasst und kommentiert hatte? Wolff erläuterte geduldig, was seiner Überzeugung entsprach.

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Nach fast sechs Jahrzehnten hatte er sich aus dem Tagesgeschäft und ins Privatleben nach Wandlitz zurückgezogen, auch wenn sein Name an der Kanzlei in der vormaligen Wilhelm-Pieck-, nunmehr Torstraße noch lange Zeit hing. In der Sozietät war eine seiner drei Töchter tätig. Er sei ein Leben lang von Fristen und Terminen gejagt worden, offenbarte er nach der Jahrtausendwende. »So etwas hat man irgendwann satt. Die Richter wissen ohnedies immer alles besser.«

Nur wer Wolff nicht kannte, wertete das als Resignation, gar als Kapitulation. Was es nicht war. Bis zuletzt war er kämpferisch, insofern irrte die »Berliner Zeitung« nicht, wenn sie Wolff in ihrem Nachruf als »Jahrhundertanwalt« bezeichnete. Und das war durchaus doppeldeutig gemeint. Der Rechtsanwalt und bekennende Kommunist Friedrich Wolff steht in einer Reihe der bedeutendsten deutschen Juristen. Und er ragte nicht dadurch aus der Masse heraus, weil er sich außerhalb der Gerichte in die Medien schrie, wie es heutzutage üblich ist, sondern still und kundig seine Arbeit machte.

Am 30. Juli wäre er 102 Jahre alt geworden. Er hatte sich darauf gefreut. Es hat nicht sollen sein. Am Montag ist Friedrich Wolff verstorben.

Von Friedrich Wolff erschienen in der Edition Ost »Verlorene Prozesse« und »Einigkeit und Recht«.

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