Wie es wirklich war im Wald

Der Ex-Autonome Valentin Groebner schämt sich für seine Vergangenheit und hat ein Buch daraus gemacht

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 5 Min.
Bild von der letzten Fusion oder Atomendlager-Protest? Who knows...
Bild von der letzten Fusion oder Atomendlager-Protest? Who knows...

In der jüngsten Veröffentlichung von Valentin Groebner wird der alte Autonomen-Gaul aus den 80er Jahren in Westdeutschland wieder gesattelt. »Gefühlskino« ist das Buch des in Luzern lehrenden Mittelalterhistorikers betitelt. »Das ist hier kein Bekenntnisbuch«, schreibt der Verfasser, um eine Gardine vor seine Darstellung zu ziehen. Aber aus der Abhandlung purzelt doch eine Menge Ego-Bekenntnisse.

Auf weiten Strecken leistet Groebner Rechenschaft über sein jugendliches Engagement in der Szene der Autonomen. Liest man das »Intro«, scheint es, dass ihm seine im Geist der Nostalgie angetretene Erinnerungsreise alles andere als behaglich ist. Eröffnet wird die Abhandlung mit einem Zitat des polnischen Schriftstellers Szezepan Twardoch: »Wir alle sind genauso, wie wir uns sehen, wenn wir uns schämen.«

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Mit dem Begriff »schämen« ist dann auch der Ton für die nachfolgenden Überlegungen gesetzt. Es werde nun »etwas peinlich«, bekennt der Verfasser. Hinsichtlich seiner Autonomen-Karriere behauptet er, dass ihm vieles in der Rückschau »fremd und etwas bizarr« vorkomme. Mit der Formulierung »War ich es, der, der dabei war, damals?« geht er sogar so weit, in die Idiosynkrasie zu rutschen, in der sich der Historiker Groebner von heute dem Autonomen-Valentin von gestern entgegenstellt. In Bezug auf die eigene Vergangenheit, die sich seiner Behauptung nach »alle stellen, die hinterher aufräumen, nach der Party, nach dem Disaster«, stellt er die Frage: »Was haben sie sich dabei eigentlich gedacht, damals?«, um sie kurz und bündig mit einem »Nicht viel, fürchte ich« zu beantworten.

Nun hat Groebner also ein ganzes Buch zu einem Sujet verfasst, von dem er mittlerweile behauptet, sich damals doch nichts Wesentliches gedacht zu haben. Erinnert sich heute noch jemand an den Zorn des Oskar Negt aus einem Buch zu 1968? Darin führte er Klage darüber, dass es in seiner Generationskohorte nun so manche gebe, »die sich selbst als 68er bezeichnen, um mit glaubwürdiger Geste alles abwerten zu können, wofür sie sich einst haben schlagen lassen«. Wo hat sich aber Groebner schlagen lassen?

Für sein Buch bedient sich der Verfasser eines Kniffes, der in der Wahl der schillernden Begrifflichkeit »Gefühlskino« besteht, um die Sache selbst zu verhandeln. Das macht es ihm möglich, in die Beschreibung von politischen Ereignissen und Aktionen immer wieder völlig disparate Begebenheiten hineinzuverquirlen. Zum Beispiel erinnert er sich an einen Kampf gegen die ersten Atommülltransporte Mitte der 80er Jahre in Gorleben. Seine Gruppe wollte die Gelegenheit nutzen, verlassene Mannschaftwagen der Bereitschaftspolizei mit »unseren blöden Brandsätzen« außer Gefecht zu setzen. Doch da läuft ihm im Wald »eine Frau mit blonden kurzen Haaren« über den Weg. »Ich fand sie strahlend schön – nein, nicht nur attraktiv, sondern viel mehr als das, ich war auf der Stelle verliebt in sie, ihre kurzen Haare, ihre hellen Augen. (…) Ich lächelte sie an, und sie lächelte zurück, etwas nervös. So wie ich.« Doch dann ein paar Zeilen später ist »die schöne Frau mit den blonden Haaren« auch schon wieder weg, »sie war mit einer anderen Gruppe unterwegs gewesen«. Da war’s dann Daddeldu mit dem glamourösen Imaginären im Wald von Gorleben.

Aber geschlagen wurde Groebner hier nicht. Auch später – folgt man den von ihm erzählten Anekdoten zu seinem Autonomen-Engagement – scheint das nicht der Fall gewesen zu sein, wobei er einmal wohl Glück gehabt hat. Im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an den Protesten gegen den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan 1987 in West-Berlin musste er eine Kneipe »vor plötzlich auftauchenden Polizisten (…) fluchtartig und in letzter Minute durch das Klofenster in den Hinterhof verlassen, weil sie mit Tränengas beschossen und dann von behelmten Sondereinsatzkommandos gestürmt wurde«.

In der Darstellung bleibt offen, ob diejenigen, die es nicht mehr durch das Klofenster geschafft haben, von den Bullen verprügelt wurden. Er jedenfalls nicht. Gleichwohl lässt sich aber in Bezug auf das Bonmot von Negt präzisierend festhalten, dass eine Abwertung linksradikalen Engagements in der Jugendzeit im Grunde dann doch etwas leichter fällt, wenn man dafür noch nicht einmal geschlagen wurde.

In seiner Charakterisierung von Autonomen lässt der Autor hintergründig auch Motive aus der »Hufeisentheorie«, der in der Bundesrepublik gültigen Extremismusdoktrin, einfließen. So kommt er in dem Kapitel unter der zwielichtigen Überschrift »Opferstolz« auf den Einfall, seine eigene von ihm als »großmäulig« erinnerte Position zu der imperialistischen Außenpolitik der USA mit der als »wohlwollend« bezeichneten Gelassenheit seines »strikt konservativen Vaters« in Beziehung zu setzen. Zu diesem lässt er die Leserinnen auch noch wissen: »Jahrgang 1923, Wehrmachtsoffizier und Träger von Orden, die er in einer Schublade (…) in seinem Büro aufbewahrte.«

Groebner unterstellt sich selbst »im Nachhinein (…) die Stilisierung der USA als mörderisches Reich des Bösen und den Kampf gegen ein vermeintlich allmächtiges ›System‹ im Namen der eigenen Auserwähltheit und Reinheit«, die seinem Altvorderen im Geist »der NS-Propaganda« bekannt vorgekommen sein sollen. Liest man richtig? Wenn ja, zeigt das, dass das Gefühlskino zwischen Wehrmachtsvater und Autonomen-Sohn auf eine Weise glitschig ist, die nicht frei von geschichtsrelativierenden Elementen ist. Die staatlich organisierte Zwangs- und Terrorinstitution Wehrmacht mit einer exorbitanten Tötungsrate von Deserteuren mit den linksradikalen Autonomen der 80er Jahre vergleichen?

Die biografische Beglaubigung macht nichts besser. Zeit ihrer Existenz haben sich Autonome nicht am Vernichtungskrieg der Wehrmacht beteiligt, die imperialistische US-Politik haben sie trotzdem auch nach den 80er Jahren mit guten Argumenten abgelehnt und für politisches Engagement waren bei ihnen auch niemals Orden abzugreifen, die dann in Büroschubladen hätten weggelegt werden müssen.

Der Darstellung von Groebner kommt immerhin ein Verdienst zu. Leicht wäre es für ihn gewesen, die Autonomen der nagenden Kritik der Mäuse im Kellerverließ und damit dem Vergessen zu überlassen. Stattdessen hat er es sich um vieles schwerer gemacht: Mit der Idee, nun endlich den von ihm als undeutlich erahnten Autonomen-Geistern seiner Jugendzeit zu entfliehen, hat er sich dazu entschlossen, die Chose auf Wiedervorlage zu bringen. Das misslingt in weiten Passsagen, doch eben auch daran kann man sich ganz vortrefflich reiben.

Valentin Groebner: Gefühlskino.
Die gute alte Zeit aus sicherer Entfernung.
S. Fischer, 192 S., geb., 24 €.

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