Was ist unvermeidbar?

Lasse Thiele über die deutsche Kehrtwende bei der CO2-Verpressung

Will die in Deutschland totgeglaubte CCS-Technologie doch noch möglich machen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen)
Will die in Deutschland totgeglaubte CCS-Technologie doch noch möglich machen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen)

Die Idee der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) ist von jeher der favorisierte Klimaansatz der fossilen Industrien, ohne jemals recht vom Fleck zu kommen: zu teuer, zu unausgereift, zu wenige geeignete Lagerstätten, zu viele gescheiterte Pilotprojekte. Der zusätzliche Energiebedarf ist enorm und konterkariert den Klimaschutzeffekt. Nie wird auch nur annähernd das gesamte CO2 erwischt. Seinen Hauptzweck scheint CCS trotzdem stets zu erfüllen – es lenkt von ernsthaftem Klimaschutz ab.

Die politische Wende für diese in Deutschland nach Bürger*innenprotesten faktisch illegalisierte Technologie kommt nun ausgerechnet unter dem grünen Minister Habeck, der den Hochlauf im Zuge einer »Carbon Management-Strategie« auch finanziell fördern will. Ende Mai billigte das Bundeskabinett eine Gesetzesänderung, die neben CCS auch CCU (carbon capture and utilization) legalisieren soll, also die Nutzung von abgeschiedenem CO2 als Rohstoff. Damit würde das Treibhausgas letztlich aber nur verzögert freigesetzt, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mahnt. Anvisiert werden ansonsten CO2-Export ins Ausland sowie Verpressung unter der Nordsee. Unter (deutschem) Land wird CCS Ländersache. So umschifft die Ampel lokalen Widerstand ebenso routiniert, wie sie die Risiken unterseeischer Lecks für Meeresökosysteme ignoriert.

Lasse Thiele

Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.

Sogenannte »unvermeidbare Restemissionen« in Industrieprozessen, Zement- und Abfallwirtschaft bilden die gesamte politische Begründung für das Unterfangen. Unter dieser Prämisse hatten die Grünen auf ihrem Parteitag CCS zugestimmt – und nicht für fossile Energien. Dennoch wird im Namen der »Technologieoffenheit« nun auch eine Nutzung in Gaskraftwerken zwar nicht gefördert, aber doch erlaubt. Ein typischer Kompromiss zwischen Industrie und grünen Klimapragmatiker*innen. Letztere werden nun betonen, dass sich CCS in Gaskraftwerken kaum rechnen würde. Das staatlich geförderte Forschungsprojekt CDRmare schätzt die Gesamtkosten einer CO2-Verpressung unter der Nordsee auf 150 bis 250 Euro pro Tonne. Der so einsparbare EU-Emissionspreis, der der Industrie teils noch erlassen wird, schwankte seit 2022 zwischen 50 und 100 Euro je Tonne.

Zum Thema: CCS: »Habecks Pläne schaffen falsche Anreize« – Serpil Midyatli und Marc Timmer (SPD) über die Ablehnung von CCS in Schleswig-Holstein

Für wen oder was sich CCS und CCU wirklich rechnen kann, hängt vom Ausmaß der Subventionen ab. Auch die Gasindustrie würde indirekt vom subventionierten Hochlauf profitieren – und als Betreiberin künftiger CO2-Abgasnetze, die nur bei großskaligem Einsatz wirtschaftlich würden. In Verbindung mit zusätzlichen Förderungen für erdgasbasierten, klimaschädlichen »blauen« Wasserstoff könnte hier durchaus eine fossile Lebensverlängerung winken. Die öffentlichen Mittel dafür könnten sonst in Erneuerbare, Gebäudesanierung oder natürliche CO2-Senken fließen.

Folgt man dagegen der offiziellen Lesart, nach der die Regierung lediglich vorbaut, damit zur versprochenen Klimaneutralität 2045 ein einsatzfähiges Infrastrukturnetz für »unvermeidbare« Emissionen bereitsteht, bleibt die Frage: Was ist wirklich unvermeidbar? Plastikmüll? Auch Zement könnte anders und insgesamt weniger produziert werden – zugunsten anderer Baustoffe und neuer städtebaulicher Konzepte. Sich vorschnell Alternativlosigkeiten einreden zu lassen, ist definitiv vermeidbar.

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