- Berlin
- »From the river to the sea«
Berliner Gericht verhängt Geldstrafe für umstrittenen Losung
Erstes Gerichtsurteil in Berlin wegen Parole »From the river to the sea«
»Ein schwarzer Tag für die Meinungsfreiheit.« So bewertet Rechtsanwalt Alexander Gorski im Gespräch mit »nd« das Urteil gegen seine Mandantin am Dienstag vor dem Amtsgericht Tiergarten. Der Prozess war der erste in Berlin zur umstrittenen Parole »From the river to the sea, palestine will be free« (Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein). Am Ende wurde die Angeklagte Ava M. zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Die Vorsitzende Richterin kam zu dem Schluss, dass sie sich mit dem Rufen der Parole der Billigung von Straftaten schuldig gemacht habe.
Ava M. wird vorgeworfen die inkriminierte Parole im Kontext einer verbotenen Demonstration auf der Neuköllner Sonnenallee am 11. Oktober 2023 gerufen zu haben. Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft und auch das Gericht kamen zu dem Schluss, dass die Angeklagte aufgrund der zeitlichen Nähe den Hamas-Angriff vom 7. Oktober befürwortet habe.
Zu der besagten Demonstration unter dem Motto »Gegen Gewalt an Schulen« war aufgerufen worden, nachdem ein Lehrer am Ernst-Abbe-Gymnasium einen Schüler wegen des Tragens einer Palästina-Flagge geschlagen haben soll. »Vordergründig ging es mir und sicherlich auch den anderen an diesem Tag darum, die Rechte der Schüler*innen zu verteidigen und die Einschränkungen der Meinungsfreiheit an Berliner Schulen zu verurteilen«, sagt M. Sie stehe noch immer hinter dieser Aktion und auch hinter der Parole. »Diese Losung repräsentiert für mich den Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit«, so die junge Aktivistin. Sie öffne eine Perspektive für einen »säkularen und demokratischen Staat, frei von jeglicher sozialen und religiösen Unterdrückung«. Alles andere sei für sie »pure Entfremdung« von der eigentlichen Bedeutung.
»Ist das ein Billigen von Straftaten oder etwas, das man sagen kann?«, fragt hingegen der Anklage erhebende Staatsanwalt. Die propalästinensischen Demonstrationen, die in Berlin seit dem 7. Oktober stattfinden, hätten das soziale Klima angeheizt und zu einer kollektiven Verunsicherung geführt. Er sieht bildliche Parallelen zwischen der Parole und dem Angriff der Hamas. Mit diesem sei vom Mittelmeer in Richtung Jordan in das israelische Kernland eingedrungen worden, und es sei ein genozidartiger Angriff auf die jüdische Bevölkerung verübt worden. Auch weil antisemitische Straftaten in Berlin zugenommen haben, müsse die Angeklagte verurteilt werden.
»Es entsteht der Eindruck dass sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht einen unbedingten Verurteilungswillen hatten.«
Alexander Gorski Rechtsanwalt
Die Verteidigung von Ava M. verweist hingegen auf die Mehrdeutigkeit der Parole. Alexander Gorski bezieht sich auf ein Urteil des Landgerichts Mannheim aus diesem Jahr. Darin hatte sich das Gericht ausführlich mit der Parole beschäftigt und war zu dem Schluss gekommen, dass diese nicht pauschal strafwürdig ist. Die Losung werde historisch seit Mitte des 20. Jahrhunderts verwendet, und je nachdem wer und welche Organisation sie verwendet habe, würden unterschiedliche Forderungen damit verbunden. »Es kommt darauf an, was die Person eigentlich meint«, so Gorski. Das Mannheimer Urteil sei ein Erfolg für die Justiz, weil es das hohe Gut der Meinungsfreiheit schütze.
Diese Mehrdeutigkeit sieht die Richterin nicht. Die Parole könne nur bedeuten, das Existenzrecht Israels zu leugnen, da gefordert werde, einen palästinensischen Staat zu gründen, »für den Israel wegmuss«. Es sei »ganz klar«, dass damit das Massaker der Hamas gebilligt werde und damit Mord, Vergewaltigungen und dass Kinder massakriert wurden. Relevant sei nicht, was die Angeklagte für sich damit meine, sondern was bei unbeteiligten Dritten ankomme. Das Motto der Demo hält die Richterin für vorgeschoben, es sei offensichtlich nur um Palästina gegangen. Deswegen verurteilt sie die Angeklagte.
»Es entsteht der Eindruck, dass sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht einen unbedingten Verurteilungswillen hatten«, sagt Alexander Gorski nach der Verhandlung zu »nd«. Weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht seien bereit gewesen, sich mit dem konkreten Kontext der Parole auseinanderzusetzen sowie »Artikel 5 Grundgesetz, in dem die Meinungsfreiheit verankert ist, ausreichend zu würdigen«, so der Rechtsanwalt weiter. Man werde mit Sicherheit in Berufung gehen.
Unabhängig davon, ob in der nächsten Instanz die Entscheidung aufgehoben wird oder nicht, wird es in Zukunft zahlreiche weitere Verfahren wegen der Verwendung der Parole geben. Auch auf der Kundgebung, die in Solidarität mit der Angeklagten während der Verhandlung vor dem Gericht stattfand, kam es zu zahlreichen Identitätsfeststellungen wegen des Verwendens der Parole. Wie viele es waren, konnte der Einsatzleiter »nd« nicht sagen.
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