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Amazon: Schweißtreibende Ausbeutung
Gewerkschaften fordern von Amazon besseren Schutz vor extremer Hitze
Die Bilder aus einem Amazon-Lager in der Nähe von Indiens Metropole Neu-Delhi vom Mai sorgten für eine Welle der Empörung: Arbeiterinnen liegen sichtlich erschöpft auf dem Boden, sie versuchen sich auszuruhen und abzukühlen. Draußen überzog eine Hitzewelle das Land mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius. Bis Mitte Juni wurden dort aufgrund der extremen Hitze mehr als 40 000 Verdachtsfälle auf einen Hitzschlag und 110 Todesfälle gemeldet, wobei Expert*innen von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgehen.
»Die Beschäftigten waren gezwungen, sich in Umkleideräumen auszuruhen, weil es an geeigneten Einrichtungen fehlt«, kritisierte die Gewerkschaftsinitiative Amazon India Workers Association (AIWA) den Vorfall. Durch sie waren die unzumutbaren Zustände im indischen Amazon-Lager an die Öffentlichkeit gelangt. Berichten der Initiative zufolge habe das Unternehmen den Arbeiterinnen untersagt, Trink- oder Toilettenpausen zu nehmen, bis sie die von der Leitung vorgegebenen Zielvorgaben erreicht hätten – Vorgaben, die beim Konzern schon seit Jahren immer wieder zu Kritik und Arbeitskämpfen führen. Außerdem stünden keine klimatisierten Pausenräume oder Wasserspender zur Verfügung. Nicht nur die Arbeiterinnen im Lager, auch die Zusteller beklagten unerträgliche Arbeitsbedingungen auf den Straßen.
Nach Medienberichten, Protesten und einer Intervention seitens des indischen Arbeitsministeriums teilte Amazon mit, es habe sich um einen Einzelfall gehandelt. Dennoch kündigte der Konzern Maßnahmen an und investierte laut eigenen Angaben in neue Kühlsysteme, die Beschäftigte warnen, wenn sich die klimatischen Bedingungen wie Wärme und Feuchtigkeit an ihren Arbeitsplätzen ändern. Zudem habe man Hitzeschulungen eingeführt und Wasserspender aufgestellt. Die Arbeiter*innen könnten nun auch bei extremer Hitze vorübergehend die Arbeit unterbrechen, um etwas zu trinken und sich abzukühlen, heißt es in der Stellungnahme des Konzerns.
Auch wenn das Unternehmen den Forderungen von Gewerkschaften damit entgegenkam, denen gehen die Maßnahmen nicht weit genug. In den vergangenen Wochen hat die Amazon Alliance darum einen umfassenden Forderungskatalog zum Hitzeschutz am Arbeitsplatz erarbeitet. Die Allianz ist Teil des weltweiten Dachverbands der Dienstleistungsgewerkschaften Uni Global Union und vertritt laut eigenen Angaben Beschäftigte in über 20 Ländern.
Zu den Forderungen, die über die angekündigten Maßnahmen von Amazon hinausgehen, gehören klimatisierte Ruhebereiche, Isolierbehälter für Eis oder Getränke. Zudem sollten Lieferfahrzeuge mit Klimaanlagen sowie einem Abluftsystem im Packraum ausgestattet werden. Auch fordern die Gewerkschafter*innen zusätzliche Abkühlungspausen, wenn die Temperaturen am Arbeitsplatz 26,6 Grad Celsius überschreiten sowie bezahlte Ruhezeiten von mindestens 15 Minuten in klimatisierten Bereichen, wenn die Temperaturen über 32,2 Grad Celsius liegen.
»Es geht um Menschenrechte und grundlegende Würde.«
Christy Hoffman
Gewerkschaft Uni Global Union
»Amazon und andere Arbeitgeber müssen die dringende Notwendigkeit umfassender Maßnahmen zum Schutz ihrer Beschäftigten erkennen«, unterstrich Christy Hoffman, Generalsekretärin des Dachverbands Uni Global Union zur Veröffentlichung des Katalogs. »Hier geht es nicht nur um das Recht der Arbeitnehmer auf einen sicheren Arbeitsplatz, sondern um Menschenrechte und grundlegende Würde.«
Nicht nur bei Amazon, weltweit wurde extreme Hitze am Arbeitsplatz in den vergangenen Jahren zu einem immer größeren Problem. Das geht auch aus einem jüngst veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation ILO hervor. Demnach waren im Jahr 2020 aufgrund von Hitzewellen über 230 Millionen Arbeiter*innen extremen Temperaturen ausgesetzt und über 4000 Arbeiter*innen erlagen den Folgen. Doch auch ohne Hitzewellen waren jährlich rund 2,41 Milliarden Beschäftigte, mehr als 70 Prozent der Arbeiter*innen weltweit, von übermäßiger Hitze am Arbeitsplatz betroffen.
Dies hat laut ILO-Bericht einerseits mit mangelnden Sicherheitsstandards in Berufen zu tun, in denen Beschäftigte ohnehin mit hohen Temperaturen arbeiten, wie in der Stahlindustrie oder in Bäckereien. Andererseits haben sich den Expert*innen der ILO zufolge aber auch die klimatischen Bedingungen verändert, sodass sich die Lage weltweit weiter zuspitzen dürfte. »Der Klimawandel hat bereits jetzt schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten«, heißt es im ILO-Bericht. Zu rechnen sei auch künftig mit höheren Tagestemperaturen und häufigeren und schwereren Hitzewellen.
Um auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren, fordert die ILO von den Regierungen die Umsetzung weltweiter Standards. Darunter fallen gezielte Strategien für gefährdete Jobs, etwa in der Land- oder Bauwirtschaft, wo vielfach Wanderarbeiter*innen unter ohnehin prekären Bedingungen beschäftigt sind und die ihre Rechte kaum geltend machen können. Zudem benötige es einheitliche Hitzestress-Indikatoren, Regeln für angemessene sanitäre Einrichtungen, insbesondere für Frauen, und die Unternehmen müssten Schutzausrüstungen zur Verfügung stellen und regelmäßige Schulungen durchführen. Ebenso seien Ruhepausen oder geänderte Arbeitszeiten geboten, einschließlich der Möglichkeit, das Arbeitstempo selbst zu bestimmen.
Insbesondere Letzteres dürfte bei Unternehmen wie Amazon allerdings auf Missfallen stoßen. Denn eine enge algorithmische Taktung der Arbeitsabläufe gehört für den Konzern zum Geschäftsmodell. Dagegen sowie gegen niedrige Löhne protestieren die Gewerkschaften weltweit schon seit Jahren, auch unabhängig von der Hitzebelastung. Für die ist klar, dass ein guter Schutz der Beschäftigten nur durch mehr Mitbestimmung zu haben ist, weshalb die Konzerne ihren Widerstand gegen gewerkschaftliche Organisierung einstellen müssten. »Amazons Gewerkschaftsfeindlichkeit bringt uns in Gefahr«, spitzt die Amazon Alliance ihre Kritik mit Blick auf die Vorfälle in Indien zu. Auf eine nd-Anfrage zu den Vorwürfen und den Forderungen des Dachverbands reagierte der Konzern nicht.
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