Gefürchtete Glibbertiere

Quallen profitieren vom Klimawandel. In verschmutztem Wasser überleben sie eher als Fische

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Feuerqualle erreicht in der Nordsee 50 Zentimeter Durchmesser. Die Tentakel können bis zu fünf Meter lang werden.
Die Feuerqualle erreicht in der Nordsee 50 Zentimeter Durchmesser. Die Tentakel können bis zu fünf Meter lang werden.

»Ich dachte nicht, dass ich es noch rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen würde. Ich hatte schreckliche Angst.« Was Will Willitts nach dem Baden an der Nordküste Australiens erlebte, klingt dramatisch. Nach einem Quallenstich wurde ihm ganz heiß, dann übergab er sich, fing an zu zittern und bekam Atemnot. Doch zuletzt ging alles gut: Willitts wurde erfolgreich im Cairns and Hinterland Hospital behandelt, das seine Geschichte später auf seiner Homepage veröffentlichte. Schon am nächsten Tag wurde er wieder entlassen. Zuvor erfuhr er, welches Tier ihn verletzt hatte: eine Irukandji-Qualle.

Wer mit einer dieser winzigen Würfelquallen-Arten in Berührung kommt, spürt zuerst einen mäßig schmerzhaften Stich. Nach einigen Minuten können Schweißausbrüche, Muskelkrämpfe, Übelkeit, schwere Brust-, Rücken-, Bauch- und Kopfschmerzen sowie Bluthochdruck folgen. Aber die Vergiftung ist selten tödlich. Tückisch allerdings: Irukandji-Quallen sind so klein, dass sie durch Netze gelangen, die vor großen Würfelquallen schützen. Willits badete nämlich an einem Strand, der durch solche Quallen-Netze gesichert war.

»Die Berührung einer Feuerqualle ist in etwa so, als hätte man in Brennnesseln gefasst,nur stärker.«

Ina Stoltenberg Meeresforscherin

Beruhigend, dass Australien weit weg ist. Doch auch an Nord- und Ostseestränden stoßen Urlauber oft auf Glibbertiere – meist harmlose Ohrenquallen, die es mitunter zu Hunderten an Strände spült. Wer in die Schleimpfützen tritt, könnte meinen, dass Quallen auf dem Vormarsch sind. Sind die Tiere wirklich die schleimigen Gewinner des Klimawandels? »Das kommt ganz auf die Region und die Quallenart an«, betont Meeresforscherin Ina Stoltenberg vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Zumeist fehlen Langzeit-Daten für zuverlässige Aussagen. »Man kann aber davon ausgehen, dass der Trend in den polaren Ozeanen nach oben geht.«

Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven berechneten im Computermodell, dass verbreitete arktische Quallenarten ihren Lebensraum polwärts ausdehnen könnten. Besonders stark Richtung Norden unterwegs ist demnach die sogenannte Feuerqualle (Gelbe Haarqualle). Ebendieses Tier ist auch unter Nord- und Ostseetouristen gefürchtet, da die Berührung recht schmerzhaft sein kann. »Das ist in etwa so, als hätte man in Brennnesseln gefasst, nur stärker«, berichtet Stoltenberg aus eigener Erfahrung. Möglicherweise wird das Risiko solcher Verletzungen in Zukunft kleiner: »Die Feuerqualle ist eine Kaltwasser-Art. Es kann also sein, dass sie an Nord- und Ostsee seltener wird, sollten sich die Temperaturen dort weiter erhöhen.«

Genau weiß es aber niemand. Klar ist, dass Quallen in mehrerlei Hinsicht vom Klimawandel profitieren könnten: Die Zahl ihrer natürlichen Feinde wie Thunfische und Schildkröten nimmt ab, gleichzeitig überleben sie, anders als Fische, oft noch in stark verschmutztem Gewässer. Doch sind die Tiere keineswegs nur negativ zu sehen, wie Stoltenberg betont: »Quallen spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem.« Unter anderem können sie Futter für Fische, Pinguine und Schildkröten sein, zudem leben manche Fischarten in Symbiose mit ihnen.

Insgesamt müssen sich Urlauber an deutschen Stränden keine allzu großen Sorgen wegen Quallen machen. Es gibt nur wenige Arten, die stark nesseln. Neben der Gelben Haarqualle ist das vor allem die kleinere Blaue Nesselqualle; zudem kann an der Nordsee noch die Kompassqualle vorkommen, an deren teilweise sehr langen Tentakeln man sich verbrennen kann.

Die meisten Quallen gehen nicht aktiv auf Beutefang, sondern warten auf Opfer, die ihre Fangarme berühren. An diesen sitzen Nesselkapseln, die bei Kontakt ein Gift ausschleudern. Damit werden Beutetiere – etwa Fische – betäubt, zur Mundöffnung befördert und verdaut. Viele Arten, etwa die Ohrenqualle, sind für Menschen aber harmlos, da ihre Nesselkapseln die Haut nicht durchdringen können. Hinweise darauf, dass Quallen-Verletzungen hierzulande häufiger geworden wären, gibt es nicht.

Ein größeres Problem können Medusen an wärmeren Küsten sein. Zu einer regelrechten Plage wird im Mittelmeer mitunter die Leuchtqualle. Der Kontakt mit diesem Nesseltier, das im Dunkeln leuchtet und manchmal ebenfalls »Feuerqualle« genannt wird, führt zu stechenden Schmerzen, mitunter auch zu Übelkeit und Erbrechen.

Schlimmer noch fallen Begegnungen mit der Portugiesischen Galeere aus, wegen der unter anderem in Spanien schon öfter Strände gesperrt werden mussten. Sie ist eigentlich keine Qualle, sondern eine Seeblasenart, die aus verschiedenen Polypen besteht. An der bläulichen Gasblase, die an eine aufgeblähte Plastiktüte erinnert, hängen bis zu 50 Meter lange Tentakel mit Nesselkapseln, die bei Berührung ein starkes Gift absondern.

»Es ist neu, dass wir diese Art in Europa finden«, sagt Tomas Jelinek vom CRM Centrum für Reisemedizin in Düsseldorf. Sogar in Irland wurden bereits Exemplare angespült. Die Berührung führt zu heftigen Schmerzen und Hautverletzungen, die aussehen wie Striemen. Manchmal kommt es zu Herz-Kreislauf-Problemen, die laut Jelinek im Extremfall tödlich sein können. »Es ist gut möglich, dass manche rätselhaften Badeunfälle auf solche Verletzungen zurückzuführen sind«, sagt der Reisemediziner. Daher lautet der wichtigste Tipp in solchen Fällen: Raus aus dem Wasser!

»Als Nächstes geht es darum, Tentakel, die noch auf der Haut kleben, loszuwerden«, erklärt Jelinek. Dazu kann man die betroffenen Hautpartien mit Salzwasser abspülen oder mit Sand bestreuen und mithilfe eines stumpfen Gegenstands abkratzen. Auf keinen Fall sollte man Süßwasser auf die Stellen geben. Haushaltsessig, Rasierschaum oder Backpulver können laut Jelinek dagegen helfen, noch nicht geplatzte Zellen zu deaktivieren – allerdings ist fraglich, ob man diese Dinge gerade in der Strandtasche hat.

An der Nordküste Australiens, wo gefährliche Quallenarten leben, stehen an einigen Stränden Essigflaschen bereit. Dabei wird schon länger darüber diskutiert, ob Essig immer empfehlenswert ist – bei Verletzungen durch bestimmte Quallenarten soll die Säure nämlich kontraproduktiv wirken. Wie für andere Hausmittel gilt: Bewiesen ist nichts, da verlässliche Studien fehlen. Im Notfall vermeidet man Experimente, sondern vertraut auf professionelle Helfer.

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