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Raketenangriff auf Israel: Hisbollahs erste Antwort
Israel verhängt Ausnahmezustand nach Angriffen aus dem Süden Libanons
Es war der größte Schlagaustausch seit Jahrzehnten zwischen der libanesischen Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee. Man habe am Sonntag um 5 Uhr morgens 320 Raketen zielgenau auf Stützpunkte der israelischen Armee abgefeuert, so ein Sprecher der schiitischen Miliz in Beirut. In einem Video wurden am Sonntag Kasernen des israelischen Geheimdienstes und Armee gezeigt, die angeblich getroffen wurden.
Doch dann herrschte am Sonntagmittag zumindest in Nordisrael wieder dieselbe gespenstische Ruhe wie vor dem Beschuss. An dem zwischenzeitlich geschlossenen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurden nach vorübergehender Schließung wieder Flüge heimischer Fluggesellschaften abgefertigt.
Die erste Phase der Vergeltung für den Mord an Fuad Schukr hat die Hisbollah nach eigenen Angaben erfolgreich abgeschlossen. Tatsächlich haben einige Geschosse Israel erreicht. Schukr galt als einer der wichtigsten Militärstrategen der mit dem Iran verbündeten Miliz. Er starb vor vier Wochen bei dem Einschlag einer israelischen Rakete in ein Wohnhaus in Beirut.
48 Stunden Ausnahmezustand
Die israelische Version der dramatischen Stunden unterscheidet sich diametral von der Gegenseite. Demnach landeten viele der 210 aus dem Libanon kommenden Katjuscha-Raketen und 20 Drohnen auf Feldern. Es habe nur einige Verletzte gegeben. Die meisten Raketen habe man abgeschossen, so Verteidigungsminister Joaw Galant, der einen 48-stündigen Ausnahmezustand ausrief und die Bürger zu besonderer Vorsicht mahnte. Der normale Alltag auf den Straßen von Tel Aviv und Jerusalem täuscht darüber hinweg, dass Israel und die Region wohl nur knapp einer großen Eskalation entgangen sind – vorerst.
Offenbar hatte der israelische Militärgeheimdienst noch in der Nacht Hinweise auf den potenziellen Einsatz 6000 moderner Kurzstreckenraketen erhalten. Die aus dem Iran gelieferten Raketen könnten in Tel Aviv und Haifa große Zerstörungen anrichten. Die Hisbollah hatte kürzlich ein Video veröffentlicht, in dem ein Einsatz der in Bunkern versteckten Raketen gegen Zentralisrael simuliert wird. Kurz vor 5 Uhr schreckten die Bewohner Jerusalems und des Westjordanlands durch den Lärm von 100 Kampfjets am Himmel auf, die laut Armeesprecher Daniel Hagari im Rahmen eines Präventivschlags an 40 verschiedenen Orten im Libanon auf schweren Lastwagen in Abschussposition gebrachte Lenkwaffen zerstörten.
Präsident Herzog rechtfertigte den offenbar nur wenige Minuten vor Abschuss der Raketen durchgeführten Luftangriff mit dem »Recht Israels, seine Bürger vor Terrorismus zu schützen.« Die eilige Rechtfertigung Herzogs und die frühe Verkündung des Endes der Angriffe durch die Hisbollah zeigt, wie sehr beide Seiten eine Eskalation fürchten.
Politische Beobachter in Israel sind sich einig, dass ein Treffer in einem der vielen Hochhäuser von Tel Aviv mit vielen zivilen Opfern der Beginn eines regionalen Krieges wäre. Die ultrarechten Koalitionspartner von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu fordern schon lange eine aggressivere Politik gegenüber dem iranischen Regime. Ein erfolgreicher Angriff der mit Teheran verbündeten Hisbollah würde Israel mit der Zerstörung des iranischen Atomprogramms zu beantworten versuchen.
Während israelische Kampfflugzeuge auch am Sonntagmittag über dem libanesischen Marjayoun und südlich des Litani-Flusses im Einsatz waren, kehrte in Haifa und Jerusalem ein halbwegs normaler Alltag zurück. Die Strände in Tel Aviv wurden gesperrt, Sportveranstaltungen wurden abgesagt. Ansagen in Radio und Fernsehen raten, bei Sirenenalarm umgehend in einem der 240 Bunker oder in Kellern der Wohngebäude Schutz suchen.
In den bereits evakuierten Städten an der libanesischen Grenze bleiben nun auch in den Großstädten Narhajia und Haifa viele Israelis in unmittelbarer Nähe von Luftschutzbunkern. In Haifa erweitert das Rambam-Krankenhaus die unter dem Gebäude liegende größte Untergrundklinik der Welt stufenweise auf Kriegsbetrieb.
Bei Israelis und Libanesen hatte schon das wochenlange Warten auf eine Eskalation Spuren hinterlassen. Während die aus dem Grenzgebiet evakuierten Israelis staatliche Unterstützung erhalten, harren Bewohner im Südlibanon meist in ihren Dörfern aus. Ihnen fehlen die finanziellen Mittel, um aus dem Kampfgebiet zu fliehen. Die Hisbollah hat die Angehörigen ihrer Kämpfer hingegen nach Syrien evakuiert. Bewohner von Haifa oder Tel Aviv versuchen, den Sommer auf dem Lande bei Verwandten zu verbringen.
Israelische Militärexperten rätseln, ob die erste Phase des Hisbollah-Angriffs ein Belastungstest des israelischen Luftabwehrschirms »Iron Dome« war. Hätte die Hisbollah wie von der israelischen Armee behauptet, tatsächlich 6000 Raketen abschießen können, wäre der »Iron Dome«-Schutzschirm wohl vollends überfordert gewesen.
Kairo-Verhandlungen gelten als letzte Chance
In Kairo gingen am Sonntag die Verhandlungen über einen Waffenstillstand für den Gazastreifen weiter. Neben David Barnea, dem Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, trafen am Samstag auch eine Delegation der Hamas und der katarische Außenminister Mohamed Al-Thani in der ägyptischen Hauptstadt ein. Vor allem die israelische Militärpräsenz im Nachkriegs-Gaza ist noch umstritten. Die Hamas fordert den israelischen Abzug, Premier Netanjahu will mit Kontrolltürmen Waffenschmuggel an die verbliebenen Hamas-Kämpfer unterbinden.
Sollte es in Kairo tatsächlich zu einem Waffenstillstand kommen, werden die Hisbollah und der Iran dies als Ergebnis des militärischen Drucks auf Israel auf die Fahnen schreiben. Die Verhandlungen gelten als letzte Chance auf eine Freilassung der Geiseln und ein baldiges Ende des Krieges. Sollten sie scheitern, droht wohl eine zweite Phase des Hisbollah-Angriffs – zusammen mit dem Iran. Israel will dies präventiv mit weiteren Bombardierungen im Libanon unbedingt verhindern. Eine riskante Strategie.
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