- Berlin
- Verkehrspolitik
»Vision zero« rückt in weite Ferne
Im Jahr 2024 gab es in Berlin bereits 31 Verkehrstote
»Jeder Verkehrstote ist einer zu viel«, sagt Fabio Tumburus, Leiter der Niederlassung Berlin der Prüfgesellschaft Dekra bei der Vorstellung des Verkehrssicherheitsreports 2024. Gleichzeitig präsentiert die Dekra erschreckende Zahlen für Berlin. Starben im gesamten Jahr 2023 noch 33 Menschen an den Folgen von Verkehrsunfällen, seien es je nach Quelle im ersten Halbjahr 2024 schon 25 bis 30, so die Dekra.
Die unterschiedlichen Zahlen lassen sich darauf zurückführen, dass in die Polizeistatistik nur Opfer von Verkehrsunfällen einfließen, die innerhalb von 14 Tagen nach dem Unfall versterben. Erliegt ein Mensch erst später seinen Verletzungen, wird er nicht erfasst. Der Verkehrsclub Deutschland zählt bis zum 18. August schon 31 Verkehrstote.
Die hohe Zahl lasse nichts Gutes erahnen, erklärte Mario Schwarz, Dekra-Gebietsleiter für Ostdeutschland. Bezogen auf die Polizeistatistik sagt er, dass ihn vor allem besorge, dass die Gruppe der Fußgänger mit elf Toten hervorsteche, gefolgt von Radfahrern mit fünf Toten. »Das sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die besonders geschützt werden müssen«, so Schwarz weiter, »die haben kein Blech um sich herum, da ist der Körper die Knautschzone.«
Immerhin ist Berlin im Vergleich mit anderen Bundesländern noch immer am sichersten. So gab es 2023 in der Haupstadt neun Verkehrstote pro einer Million Einwohner*innen, gefolgt von den Stadtstaaten Hamburg mit 15 und Bremen mit 18. Schlusslicht in dieser Statistik ist Sachsen-Anhalt mit 59 Verkehrstoten pro einer Million Einwohner*innen, in ganz Deutschland liegt die Zahl bei 34.
Mit den steigenden Todeszahlen in Berlin rückt die »Vision Zero«, der Versuch, Straßen und Verkehrsmittel so sicher zu gestalten, dass keine Verkehrstoten und Schwerverletzten mehr auftreten, in weite Ferne. Um dem Ziel wieder näher zu kommen, fordert die Dekra eine »zukunftsgerechte Verkehrspolitik«. Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bedeute dies vor allem, den Sanierungsstau bei der Berliner Verkehrsinfrastruktur abzubauen, der bei über zwei Milliarden Euro liege. Ansonsten drohe Berlin der Verkehrsinfarkt, der sich nicht zuletzt negativ auf die Verkehrsunfallstatistik auswirken werde.
Gleichzeitig müsse die Verkehrsinfrastruktur an die neuen Mobilitätsgegebenheiten angepasst werden, so Schwarz. Dass etwa mehr Menschen Fahrrad fahren, sei zu begrüßen, genauso wie dass dem Fahrrad mehr Platz gewährt werde.
Manche Entwicklungen im Verkehrsgeschehen sieht der Gebietsleiter für Ostdeutschland kritisch. E-Scooter etwa, die eigentlich für die »letzte Meile«, etwa von der U-Bahn-Station nach Hause gedacht gewesen seien, würden in Wirklichkeit als »Fun-Mobil« genutzt. »Da stellt sich die Frage, ob das Sinn macht«, so der Verkehrssicherheitsexperte. Nicht zuletzt da in der Polizeistatistik vier Todesfälle in der Kategorie »Sonstiges« eingeordnet wurden – hier vermutet die Dekra, dass es es sich um E-Scooter-Fahrer*innen handelt.
Auch SUVs kann Schwarz wenig abgewinnen. Diese seien für ihn Lifestyle. Wegen ihres hohen Gewichts belasteten sie nicht nur die Infrastruktur stärker, sondern stellten auch eine größere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. »In der Stadt macht das keinen Sinn.«
Die Verkehrssicherheitsexperten können aber auch ein Positivbeispiel neu gestalteter Infrastrukur in Berlin nennen: der neue Radweg in der Bernauer Straße in Spandau etwa, der separiert vom Autoverkehr verläuft. »Das ist genial«, sagt Fabio Tumburus. Genau solche Projekte fallen aber dem Spardiktat im Berliner Senat zum Opfer: Zuletzt war bekannt geworden, dass der Senat weitere Planungen für Radschnellwege einstellen will.
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