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Frente Polisario: »Das Recht ist auf unserer Seite«

Fidayi Sadiki* über den Kampf der Frente Polisario um die Befreiung der Westsahara

  • Josefine Rein
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Zuversicht auf einen Sieg im Befreiungskampf ist – wie bei dieser sahrauischen Frau in Tifariti, einem von der Polisario kontrollierten Gebiet – bei vielen Sahrauis nach wie vor groß.
Die Zuversicht auf einen Sieg im Befreiungskampf ist – wie bei dieser sahrauischen Frau in Tifariti, einem von der Polisario kontrollierten Gebiet – bei vielen Sahrauis nach wie vor groß.

Über die Hälfte der sahrauischen Bevölkerung wurde seit 1975 aus der Westsahara in Flüchtlingslager in der algerischen Wüste vertrieben. Dort warten die Menschen seit 40 Jahren auf ihre Rückkehr. Wie entstand die Frente Polisario?

Die Widerstandsbewegung gegen die spanische Kolonialherrschaft in der Westsahara verfolgte in den 60er Jahren zunächst eine pazifistische Strategie. Am 17. Juni 1970 rief die Untergrundorganisation um Mohammad Bassiri zu Demonstrationen auf, bei denen die spanische Armee das Feuer auf die sahrauische Bevölkerung eröffnete. Die Organisatoren wurden festgenommen, Bassiri verschwand im Gefängnis. Nach diesem Massaker verlor die antikoloniale Bewegung die Hoffnung auf eine friedliche Verhandlung mit dem faschistischen spanischen Staat. Gemeinsam mit sahrauischen Studierenden und Soldaten gründeten die Überlebenden des Massakers 1973 die Frente Polisario, die den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialherrschaft aufnahm.

Mit dem Abzug der Spanier 1975 besetzte Marokko die Westsahara. Welches Interesse hat Marokko dort?

Marokko hat ein großes Interesse an den Bodenschätzen in unserem Land. 75 Prozent des bekannten Phosphats befindet sich in der Westsahara, das sind die größten Vorkommen der Welt. Dieses Phosphat wird verwendet, um Düngemittel herzustellen, die für die weltweit zunehmend zerstörten Böden immer wichtiger werden. Phosphat kann auch für die Herstellung von Uran genutzt werden. Deshalb versuchten westliche Mächte in den 70er Jahren zu verhindern, dass diese Phosphatminen unter die Kontrolle der sich am sozialistischen Block orientierenden Frente Polisario fielen. Die Westsahara hat außerdem eine sehr fischreiche Küste. Marokko nutzt die Fanggründe für die eigene Fischerei und vergibt auch Fischereilizenzen an andere Staaten wie zum Beispiel Spanien.

Ist die deutsche Wirtschaft dort involviert?

Ja. Auch deutsche Unternehmen bereichern sich in der Westsahara. Im Sinne der Energiewende baut Siemens Windparks in den besetzten Gebieten der Westsahara. Die grüne Energie, die dort gewonnen wird, kommt aber nicht etwa der Bevölkerung vor Ort zugute, sondern fließt in die deutsche Zementproduktion, die einen sehr hohen CO2 Ausstoß verursacht. All diese Firmen verstoßen gegen internationales Völkerrecht, weil sie die natürlichen Ressourcen der Westsahara ohne die Erlaubnis des sahrauischen Volkes und seiner Regierung ausbeuten. Die deutsche Firma Hensoldt liefert außerdem Schlüsselkomponenten für die türkischen Bayraktar TB2 Drohnen, mit denen das marokkanische Militär Guerrillas und Zivilisten in den von der Frente Polisario kontrollierten Gebieten beschießt.

Interview

Fidayi Sadiki lebt in den sahrauischen Flüchtlingslagern in Algerien. Wie schon sein Vater kämpft er in der Frente Polisario für die Befreiung der Westsahara. Seit 1973 setzt sich die Frente Polisario für die Befreiung der Westsahara ein, zunächst vom spanischen Kolonialismus und seit 1975 gegen die Besetzung des Landes durch Marokko. Marokko kontrolliert zwei Drittel der Westsahara und unterdrückt die dortige sahrauische Bevölkerung kulturell und politisch. Als Exilregierung verwaltet die nationalistische, linke Befreiungsbewegung auch die Flüchtlingslager.

Was war das Ziel der Befreiungsbewegung der Polisario?

Neben der nationalen Befreiung bekannte sich die Bewegung zum Arabischen Sozialismus. Diese Ausprägung des Sozialismus sollte die Religion bewahren, schützte Privateigentum zu einem gewissen Maße und setzte sich die Vereinigung der arabischen Völker zum Ziel. Das Gründungsmanifest der Organisation betonte die Zusammenarbeit mit anderen afrikanischen Befreiungsbewegungen, die Gleichstellung der Frau und die Nationalisierung der Ressourcen. Zu den Begründern gehörte Al-Wali Mustafa Sayyid. Er hatte in Marokko studiert und dort den Panarabismus und Arabischen Sozialismus kennen gelernt. Er war Aktivist in der marokkanischen Linke-Bewegung. Deswegen strebte er zunächst eine Zusammenarbeit der sahrauischen Befreiungsbewegung mit der marokkanischen Linken an, was aber scheiterte.

Die Polisario verwaltet auch die Flüchtlingslager in der algerischen Wüste, in denen über die Hälfte der sahrauischen Bevölkerung lebt. Wie äußert sich dort der Arabische Sozialismus?

Die sahrauischen Frauen bauten in den Flüchtlingslagern eine Rätedemokratie auf. Jede Nachbarschaft kommt in einem Rat zusammen, in dem sie lokale Belange organisiert und entscheidet. Diese Räte delegieren dann Personen in die nächsthöhere Ebene, also die Daira (Gemeinde), dann das jeweilige Lager (Wilaya) bis zum nationalen Volkskongress, wo dann Gesetze erlassen und wichtige Kader gewählt werden. Darunter sind auch Delegierte der verschiedenen Massenorganisationen wie der Frauenunion und Arbeiter*innenunion. Viele Aspekte des Lebens werden in unseren Lagern kollektiv gestaltet. Das ist vielleicht weniger Aspekt eines sozialistischen Programms, sondern unserer nomadischen Kultur. In dieser Wüste überlebt man nicht allein. Wenn eine Familie zum Beispiel kein Geld hat, um Öl zum Kochen zu kaufen, dann bekommt sie was von den Nachbar*innen. Auch die Kindererziehung wird sehr gemeinschaftlich organisiert. Wenn eine Frau Entlastung braucht oder nicht in der Lage ist, ihr Kind großzuziehen, kümmern sich die Nachbarinnen. Die Menschen hier in den Lagern schaffen ein ganz besonderes soziales Klima.

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Was ist heute das Verhältnis der Frente Polisario zum Sozialismus?

Mit dem Niedergang des Ostblocks distanzierte sich die Frente Polisario offiziell vom Sozialismus. Sie hatte Angst vor der politischen Isolierung und der Allianz zwischen Marokko und dem Westen. In dieser neuen Situation sah sich die Frente Polisario 1991 gezwungen, ein Waffenstillstandsabkommen mit Marokko zu unterzeichnen. Die sozialistische Schulung und Politisierung im Militär und in den Schulen ging zurück. Zuvor gab es in den Flüchtlingslagern in jeder Daira einen Laden, der von der Polisario geführt wurde. Mit der Abkehr vom Sozialismus war es nun erlaubt, im kleinen Stil private Geschäfte zu eröffnen. Es entstanden Kioske und Werkstätten in den Lagern. Die kostenlose Gesundheitsversorgung, Bildung und Kinderbetreuung aber ist geblieben. In allen Vierteln gibt es Kitas, die die Frauen entlasten sollen. Wir müssen uns aber erstmal den Zugang zu unserem Land und seinen Ressourcen wiedererkämpfen, um dieses Sozialsystem zu finanzieren. Wir leben in Flüchtlingslagern in der Wüste, hier ist es heiß und unfruchtbar, wir sind abhängig von internationalen Hilfsgütern. Das Ziel der Polisario bleibt also die nationale Befreiung und dann die Kollektivierung und gerechte Verteilung unserer Reichtümer.

Und dafür greift die Frente Polisario jetzt wieder zu den Waffen?

Wir haben den Waffenstillstand 1991 unter der Bedingung akzeptiert, im folgenden Jahr ein Referendum abzuhalten, in dem die sahrauische Bevölkerung über den Anschluss an Marokko oder die Unabhängigkeit abstimmen sollte. Doch seit über 30 Jahren wird die sahrauische Bevölkerung hingehalten, in dem Frankreich das Referendum im UN-Sicherheitsrat blockiert. 1975 urteilte der Internationale Gerichtshof, dass Marokko keinen Anspruch auf die Westsahara hat. Auch wenn das internationale Recht auf unsere Seite ist, gibt es keine Konsequenzen für Marokko, es kann weiter ungestraft unsere Bodenschätze ausbeuten. Wie die Geschichte so häufig gezeigt hat, werden wir unsere Befreiung nicht mithilfe der UN erreichen. Als Marokko im November 2020 das Waffenstillstandsabkommen brach, entschied die Frente Polisario also – wie schon im Widerstand gegen die spanische Kolonialmacht in den 70er Jahren – den bewaffneten Kampf für die Befreiung der Westsahara wieder aufzunehmen.

*Fidayi Sadiki ist ein Pseudonym

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