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Gewalt und Geld
Kommissar Kostas Charitos ermittelt wieder. Auch der neue Krimi von Petros Markaris ist gesellschaftskritisch: »Aufstand der Frauen«
Petros Markaris, ein Thema in Ihrem neuen Roman ist die Polarisierung in der griechischen Gesellschaft. Geldmacher, Investoren, Halsabschneider auf der einen Seite gegen diejenigen, die Tradition und Geschichte bewahren wollen, sowie jene, die in prekären Verhältnissen leben. Aber es regt sich wenig. Wie bedeutsam sind öffentliche Proteste in der Gegenwart?
In den 60er Jahren gab es, in Athen und in anderen Städten, Proteste fast jeden Tag. Heute protestiert keiner, abgesehen von jungen Leuten, die dem Anarchismus nahestehen und die Ordnungskräfte provozieren. Die Bürger bringen ihren Unmut in den sozialen Medien zum Ausdruck und sind glücklich, wenn sie die »Likes« zählen, die sie bekommen haben.
Mehr nicht? Was ist mit der organisierten Linken?
Der große Unterschied ist die Linke von damals und heute. Die Linke der 60er Jahre wusste, wie man die Bürger mobilisiert und auf die Straße bringt. Die Linke von heute ist eine Systempartei, wie alle anderen Parteien, und macht Politik über die sozialen Medien.
Der alljährliche Kriminalroman von Petros Markaris ist auf dem deutschen Buchmarkt erschienen. In einer Gruppe US-amerikanischer Investoren, die viel Geld nach Griechenland bringen wollen, wird ermittelt, um den Mord an einer Archäologin aufzuklären. Wie immer, ist auch der neue Fall von Kommissar Kostas Charitos von der gesellschaftlichen Realität in der Heimat des Schriftstellers inspiriert: »Aufstand der Frauen« (a. d. Griech. v. Michaela Prinzinger, Diogenes, 320 S., br., 21,99 €).
Der Sohn eines armenischen Kaufmanns und einer griechischen Mutter hatte Volkswirtschaft studiert, bevor er sich der Schreiberei widmete. Er verfasste mehrere Theaterstücke, rief eine beliebte Fernsehkrimiserie (»Anatomie eines Verbrechens«) ins Leben, war Ko-Autor des erfolgreichen Filmemachers Theo Angelopoulos und übersetzte mehrere deutsche Dramen ins Griechische, darunter Goethes »Faust«. Stefan Berkholz hat mit Petros Markaris in Athen gesprochen.
»Aufstand der Frauen« heißt der Roman. Es geht darin auch um den Machismus, Gewalt gegen Frauen, Frauenverachtung. Wie verwurzelt ist das in der griechischen Gesellschaft der Gegenwart?
Das Problem hat auch früher existiert. Es ist aber während der Corona-Pandemie und des Lockdowns viel schlimmer geworden. Die Gewalt gegen Frauen ist ein fast alltägliches Problem.
Wie verbreitet ist die häusliche Gewalt an Frauen in Griechenland?
Es gibt keine genauen Zahlen. Der Unterschied liegt darin, dass die Frauen früher geschwiegen haben. Jetzt reden die Frauen, sie protestieren oder erheben Anklage. Die Gewalt gegen Frauen ist auch in den Medien zum täglichen Thema geworden.
In Ihrem neuen Roman klingt ebenso Kritik an den Auswüchsen des Massentourismus an. Ist Griechenland noch ein eigenständiger Staat oder längst ein Protektorat der Tourismusindustrie?
Der Tourismus ist unsere »Schwerindustrie«, behauptet jeder griechische Politiker. Im laufenden Jahr hat der Tourismus bereits Rekordhöhe erreicht. Dadurch steigen nicht nur die Hotel- und Restaurantpreise enorm, sondern auch die Mieten infolge von Airbnb. Ich habe nichts gegen den Tourismus. Ich bin aber dagegen, dass Investoren im Tourismusgeschäft reichlich verdienen, die Arbeitnehmer in der Tourismusbranche aber mit billigen Löhnen 12 bis 14 Stunden pro Tag arbeiten.
Kommissar Charitos sagt gleich zu Beginn der Handlung, er habe keine Ahnung von Ökonomie, aber es will ihm nicht in den Kopf, dass es in Griechenland nach den EU-»Rettungspaketen«, nach Pandemie und Lockdown aufwärtsgehen soll. Sie selbst verstehen sehr viel von Ökonomie, Sie haben Volkswirtschaft in Wien studiert. Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation Griechenlands? Wird da gerade ein Luftballon aufgepumpt?
Die Wirtschaft hat sich seit 2020 erholt. Es geht aufwärts. Das betrifft aber einen beschränkten Kreis von Investoren und Unternehmern. Die große Mehrheit wird nach wie vor mit niedrigen Löhnen abgespeist.
Rund 85 Prozent der Beschäftigten verdienen maximal 1000 Euro im Monat, heißt es in neuesten Erhebungen. Können Sie diese Zahl bestätigen?
Mir sind viele bekannt, die nur 850 Euro netto im Monat verdienen. Andere üben zwei oder drei Jobs aus, um einigermaßen über die Runden zu kommen.
Griechen arbeiten durchschnittlich viel länger als Deutsche, heißt es, und sie arbeiten im europäischen Vergleich ohnehin am längsten. Das Statistische Bundesamt gab für das Jahr 2022 für Griechenland im Durchschnitt 41 Wochenstunden an, für Deutschland 35 Wochenstunden.
Ja. Und viele junge Leute verlassen Griechenland, um irgendwo in Europa einen besseren Job zu finden. Hinzu kommt, dass die Preise infolge des Krieges in der Ukraine stark gestiegen sind. Viele Familien haben ein Überlebensproblem.
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In Ihrem neuen Roman lässt sich eine Gruppe US-amerikanischer Investoren durch die Altertümer Griechenlands führen, um einen irrwitzigen, größenwahnsinnigen Plan vorzustellen. Da fällt mir aktuell das irrwitzige, größenwahnsinnige Bauprojekt auf dem alten Flughafengelände in Athen ein. Was halten Sie davon?
Wir leben in einer Zeit, in der jede Investition und jedes Finanzprojekt das Etikett des »Wachstums« trägt. Meine und auch Ihre Generation, Herr Berkholz, sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, die ein Wertesystem hatte. Heute ist der einzige Wert in der Gesellschaft das Geld. Das sieht man im Bereich der Humanwissenschaften, wie sie sukzessive bergab gehen. Die jungen Generationen glauben, dass Ökonomie und Technologie ihnen besser bezahlte Arbeitsplätze und mehr Chancen im Leben sichern.
Sind beim Bauprojekt auf dem alten Flughafengelände in Athen schon erste Korruptionsfälle bekannt geworden?
Die Korruption gehört in Griechenland, aber sicher nicht nur bei uns, zum Alltag. Es vergeht kaum ein Tag ohne einen Korruptionsfall.
Sie sitzen bereits am nächsten Roman. Worum wird es im 16. Fall von Kostas Charitos gehen?
Mein nächster Roman basiert auf einem Dreieck: die Antike, die technische Intelligenz und der Tourismus. Auch die Jugendgewalt wird vorkommen, ein sehr akutes Thema, ebenfalls nicht nur in Griechenland.
Denken Sie schon über das Ende der Reihe nach?
Nein, und ich will auch nicht darüber nachdenken. Ich werde weiterschreiben, solange ich noch Ideen und Einfälle habe.
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