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Iran: »Das Regime hat Angst«
Der Aktivist Hamid Nowzari über zwei Jahre der jüngsten Bewegung und wie rechtsextreme Kräfte in der iranischen Exilopposition ihr geschadet haben
Zwei Jahre sind seit dem Tod von Jina Mahsa Amini und dem Beginn der darauffolgenden Protestbewegung im Iran vergangen. Was hat sich seitdem im Iran geändert?
Politisch wurde offiziell gar nichts geändert. Die Repressionen haben sich sogar verschärft. Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren Racheakte an Protestierenden zu verzeichnen: Kritische Universitätsprofessoren und Lehrkräfte wurden entlassen, kritische Studierende zwangsexmatrikuliert. Es gab einen organisierten Serienangriff auf Schülerinnen, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Und dann die massenhaften Hinrichtungen und viele Verletzte: körperlich, seelisch, psychisch. Einige haben sich umgebracht, viele das Land verlassen. Auf der anderen Seite hat die »Frau, Leben, Freiheit«-Bewegung Freiräume im Iran geschaffen, in denen sich viele Aktivist*innen wagen, gegen systematische und strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierungen im Iran zu agieren, nachzudenken und sich zu formieren.
Manche iranischen Politikwissenschaftler sprechen sogar von einer sozialen Revolution. Ist das zutreffend?
Es ist wohl eher eine kulturelle Revolution. Denn es wurde eine Art Widerstandsgeist in vielen Schichten und Berufsgruppen verbreitet. So sehen wir zum ersten Mal, dass bei einem Streik von Lehrer*innen auch die Abschaffung des Zwangshijab für Frauen und Mädchen thematisiert wird. Oder dass sich zahlreiche Menschen in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsteilen wie etwa im künstlerischen Bereich wagen, öffentlich ohne Kopftuch aufzutreten und die Gefahr von Verhaftungen dabei in Kauf zu nehmen. Es hat also den Leuten ermöglicht, ein Gesicht zu zeigen. Und das dauert bis heute an.
Der politische Aktivist Hamid Nowzari ist Geschäftsführer des Vereins iranischer Flüchtlinge in Berlin. Im Februar 1980, ein Jahr nach der Islamischen Revolution im Iran, kam Nowzari in Westberlin an, wo er seit Jahrzehnten die Demonstrationen gegen die Islamische Republik mitorganisiert.
Viele internationale Beobachter*innen fragen sich, woher kommt plötzlich dieser Mut? Es scheint, als habe ein breiter Teil der Gesellschaft trotz extremer Repressionen diesmal die Angst gegen das Regime verloren.
Insbesondere in Großstädten sind Menschen dafür bereit, einen Preis zu zahlen. Wir sehen Frauen, die ohne den vorgeschriebenen Hijab auf die Straße gehen. Sie wehren sich sogar dagegen, wenn die Sittenpolizei versucht, sie festzunehmen oder auch körperlich angreift. Viele filmen solche Geschehnisse und verbreiten die Videos in sozialen Netzwerken, obwohl die Islamische Republik die Veröffentlichung von solchen Ereignissen im Netz hart bestraft. Ebenfalls treten ständig viele Frauen in Konzerten und Stadien, auf Veranstaltungen oder bei Versammlungen ohne Kopftuch auf. Ja, die Angst in der Gesellschaft ist weg. Aber das Regime hat Angst. Das allein zeigt schon, dass die Auswirkungen der »Frau, Leben, Freiheit«-Bewegung immer noch spürbar sind.
Ein deutlicher Unterschied zu den früheren Protesten ist auch, dass die iranische Diaspora diesmal eine ziemlich große Rolle spielte. Wie ist das zu erklären?
In dieser langen Zeit, in der ich die politische Lage im Iran aus dem Exil beobachte, sah ich bis jetzt zwei solcher großen Bewegungen, an denen viele Schichten und unterschiedliche Gruppen beteiligt waren: die Grüne Bewegung 2009 und »Frau Leben Freiheit« 13 Jahre später. Da waren auch viele einfache Leute dabei, die sich bis dahin trotz großer Unzufriedenheit politisch kaum öffentlich positioniert und geäußert hatten oder auf die Straße gegangen waren. Bei der jüngsten Bewegung haben sich viele Menschen angesprochen gefühlt, auch in der Diaspora. Alle konnten sich irgendwie mit Jina Mahsa Amini identifizieren. Das hat zu den unerwartet großen Protesten der Iraner*innen auch im Ausland geführt, was wirklich einmalig war: 50 000 Menschen haben in Toronto »Frau, Leben, Freiheit« skandiert, 80 000 Protestierende in Berlin. Überall auf der Welt wurden große Demos organisiert. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft, aber auch von Medien, Parlamenten und Regierungen der westlichen Länder, hat die Leute ermutigt, weiterzumachen und auf die Straße zu gehen. Für eine kurze Zeit hatten wir das Gefühl, wir sind ein Volk, obwohl wir politisch sehr unterschiedliche Ansichten haben. Wir wollten einfach auf die Straße kommen und die Bewegung im Iran unterstützen.
»Teile der iranischen Exilopposition wollten diese Bewegung vereinnahmen. Sie haben gar nicht erst versucht, die Pluralität der Bewegung anzuerkennen.«
Hamid Nowzari
Sie sehen die Rolle der Diaspora eher positiv. Hat sie nicht doch nach einer gewissen Zeit die Bewegung ausgebremst?
Da haben Sie recht. In der ersten Phase, als die Diaspora auf die Straße ging, um die Bewegung zu unterstützen, hat das die Proteste im Iran tatsächlich auch gestärkt. Dort war man stolz auf die beispiellosen Demos in Berlin, Toronto, London, Los Angeles und sonst wo. Doch nur so lange, bis sich einige iranische Akteure im Ausland entschieden haben, sich als politische Alternative zur Regierung darzustellen. Das hat zu starker Polarisierung nicht nur in der Diaspora, sondern auch im Iran selbst geführt.
Das traf insbesondere auf den Sohn des ehemailgen Schahs zu, Reza Pahlavi?
Ja, aber nicht nur auf ihn. Einige Regimekritiker*innen haben im Februar 2023 zusammen ein Oppositionsbündnis gegründet. Dieses agierte unüberlegt und überheblich. Es wirkt so, als würden sie diese Bewegung vereinnahmen wollen, nur damit davon die eigene politische Agenda profitiert. Sie haben gar nicht erst versucht, die Pluralität der Bewegung anzuerkennen, und wollten sie stattdessen sehr schnell in eine bestimmte Richtung lenken. Ein Beispiel dafür: Nach kurzer Zeit haben rechte Kräfte versucht, die Parole »Frau, Leben, Freiheit« durch »Mann, Heimat, Entwicklung« zu ersetzen. Das hat der Bewegung stark geschadet. Sie ist ja wirklich eine feministische Bewegung, die in erster Linie gegen die systematische und strukturelle Benachteiligung von Frauen kämpft. Das hat sich dann immer weiterentwickelt. Die Gleichstellung zwischen Zentrum und Peripherie (wirtschaftlich starke Regionen und die umliegenden schwächeren Regionen, Anm. d. Red.) wurde zu einem Kernthema der Bewegung. Die rechtsextremen Kräfte haben mit ihrer extrem nationalistischen Deutung zu einer tiefen Spaltung geführt. Das war gleichzeitig ein offenkundiger Beweis, dass viele Teile in der iranischen Opposition gar nicht demokratisch eingestellt sind. Infolgedessen kam es zu Hoffnungslosigkeit und Zurückhaltung.
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In der Exilopposition offenbarte sich also eine starke rechtsextreme Strömung, die bis dahin nicht besonders wahrgenommen worden war. Spielt die denn auch irgendeine Rolle bei den Widerständen im Iran selbst?
Die Islamische Republik unterdrückt alle ihre Kritiker*innen. Sie ermordet nicht nur linke Kräfte, sondern auch rechte. Das gehört zur Wahrheit dazu. Daher haben auch die rechten Kräfte bei »Frau, Leben, Freiheit« mitgemacht. Die meisten der iranischen Rechten, die im Exil leben, sind in den USA sehr stark vertreten, in Europa weniger. Sie haben zwei, drei wichtige Ansätze für ihre Politik: die nostalgisch überhöhte Idealisierung der Vergangenheit und eine sehr starke Anlehnung an westliche Staaten, aber auch an konservative Nachbarn des Iran. Genau darin steckt aber ihr Dilemma.
Inwiefern?
Keines der iranischen Nachbarländer, selbst wenn sie auch mal mit Iran verfeindet waren, hat die »Freiheit, Leben, Freiheit«-Bewegung unterstützt. Weder Saudi-Arabien noch die Türkei, die Vereinigten Emirate oder Aserbaidschan. Das heißt, diese Bewegung steht für etwas, das auch bei den Regierungen aller Nachbarländer des Iran eher Angst verbreitet. Die Rechten wollen trotzdem gute Beziehungen mit ihnen aufbauen. Gleichzeitig agieren sie oft in starker Anlehnung an Persönlichkeiten wie Donald Trump und anderen Rechtsextremen im Westen, die eine Bewegung im Iran nicht aus Überzeugung, sondern aus eigenem Interesse unterstützen. Sie werden deshalb irgendwann ihre rechtsextremen Kameraden innerhalb der iranischen Opposition fallenlassen. Gleichzeitig ist die iranische Rechte politisch und organisatorisch ziemlich schwach. Einen Führungsanspruch können sie also auf keinen Fall erheben. Mit diesem Problem sind allerdings nicht nur die Rechten konfrontiert. Wir haben momentan innerhalb der iranischen Regimekritiker*innen keine demokratische, organisierte Opposition, die zugleich einen großen Teil der Gesellschaft im Iran hinter sich vereinen kann. Das fehlt uns.
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