Samba sí, Arbeit no

In einem »Schlagerballett« nimmt Joana Tischkau die Beziehung der Deutschen zu schwarzen Künstlern aufs Korn

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Bühnenskulptur referiert auf den schwarzen Schlager-Star, dessen Name ausgerechnet mit »Weißer« übersetzt werden kann.
Die Bühnenskulptur referiert auf den schwarzen Schlager-Star, dessen Name ausgerechnet mit »Weißer« übersetzt werden kann.

Der Schlager, referiert Performer Moses Leo zu Beginn, das sei eigentlich keine Musikrichtung, sondern die Übersetzung für den englischen Begriff »Hit«. Ein Schlager sei also nur ein Schlager, weil er sehr erfolgreich sei, »ein Verkaufsschlager« sozusagen, ein Angebot, das man nicht »ausschlagen« könne. »Also komm schon, schlag zu!«, »Hit me baby one more time!«, ruft Moses plötzlich aggressiv ins Publikum und fährt noch eine Weile fort mit seinen Wortspielereien, während er – wichtiges Detail – einen Baseballschläger in der Hand wiegt.

In einer späteren Szene kommt dieser sogar zum Einsatz. Da laufen alle Performer nach und nach in Richtung Rampe und brechen dann von einem unsichtbaren Schlag getroffen unter Schmerzensschreien zusammen. Die Gewalt ist durchaus handfest, auch wenn sie nur subkutan waltet als strukturelle Faust im Magen.

Im Großen und Ganzen ist der 70-minütige Abend mit dem Titel »Ich nehm dir alles weg – Ein Schlagerballett«, der am Mittwoch im Berliner HAU seine Premiere feierte, aber eine durchaus heitere Veranstaltung. Das Ensemble singt und persifliert Hits, zitiert hin und wieder Pina-Bausch-Choreografien und rauscht in coolen Outfits über die Bühne, in deren Mitte das Wort »Blanco« im Boden versinkt.

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Weil der Humor dabei aber meist etwas zu grell und schrill daherkommt, weil das Ensemble etwas zu schwülstig singt, weil sich die Darbietenden in der Parodie allzu sehr verausgaben, transportieren sie stets mit, dass hier nicht einfach etwas veralbert werden soll, sondern auch etwas überwunden werden muss: nämlich die deutsche Populärkultur als ein Machtsystem. Regisseurin Joana Tischkau will mit ihrem »Schlagerballett« die deutsche Heimaterzählung unterwandern, sie weist aber vor allem auf die, mitunter absurde, Beziehung der Deutschen zu schwarzen Künstlern und Blackness hin.

Die Spieler treten ganz am Anfang nacheinander an ein Mikrofon und sprechen ein paar Sätze über ihre Rollen. Moses Leo stellt sich als der Sänger Roy Black vor. Eigentlich heiße er anders, den Spitznamen habe er in seiner Heimatstadt Augsburg »wegen der schwarzen Haare« bekommen, erklärte der schwarze Performer da mit leichtem alemannischen Dialekt und erntet die ersten Lacher. Deborah Macaulay dagegen stellt sich in Hotpants, Tracht und demonstrativ breitem Bayrisch als Billy Mo vor, ein auf Trinidad geborener Musiker, der in der Nachkriegszeit großen Erfolg mit Volksmusik hatte (»Ich kauf’ mir lieber einen Tirolerhut«).

Joana Tischkau – die gerade erst den Tabori-Preis, die wichtigste Auszeichnung der deutschen freien Szene, erhalten hat – interessiert sich für solche Biografien. Die 1983 in Göttingen geborene Regisseurin und Choreografin studierte zunächst Tanz, danach Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Der Studiengang ist eine der wichtigsten Kaderschmieden der deutschen freien Szene. Nirgendwo sonst nimmt man die Bühne als Medium gesellschaftlicher Machtverhältnisse ernster, als einen Ort, an dem immer politisch kommuniziert wird. Theatermachen ist aus Gießener Perspektive also gleichbedeutend mit Ideologiekritik. Es genügt nicht, besonders auf die Zeichen zu achten, die man aussendet, es gilt, ständig ein neues Theater zu erfinden, die Bühne im Ganzen abzubauen, sie wegzuschaffen und neu wieder zusammenzusetzen. René Pollesch und Gruppen wie Rimini Protokoll oder Gob Squad kommen aus dieser Schule.

Tischkaus Programm erscheint im Vergleich fast ein bisschen bürgerlich, interessiert sie sich doch sehr für die bundesdeutsche Geschichte. Gemeinsam mit drei Mitstreitern hat sie vor vier Jahren das umherreisende »Deutsche Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music« kuratiert, das an schwarze Künstler und ihren Einfluss auf die deutsche Populärkultur erinnert. Mit »Ich nehm dir alles weg« setzt sie diese Auseinandersetzung fort.

Zum Schlager kommt hier noch die Auseinandersetzung mit Pina Bausch hinzu. Die Choreografin hat in ihrer frühen Zeit ein »Schlagerballett« konzipiert, daher der Untertitel. Tischkau zitiert und persifliert einige ihrer berühmten Arbeiten. Einigermaßen lustig ist das, wenn Dayron Domínguez Piedra vom auf dem Boden liegenden Ensemble auf Händen weitergereicht wird, während er betrunken klagt, er habe zu viel Piña Colada getrunken.

Das deutsche Kulturgut Pina Bausch, ein internationaler »Exportschlager«, wird hier also ebenso respektlos behandelt, wie das deutsche Showbusiness mit schwarzer Kultur und mit Klischees umging. Schwarze Künstler wurden in der alten Bundesrepublik exotisiert, als Andere und als Träger oft sehr simpler, wenn nicht sogar rassistischer Botschaften vermarktet. Das Ensemble schleppt später Bananenkisten auf die Bühnen, singt »Samba sí, Arbeit no«. Den eher ruppigen Umgang mit Pina Bauschs Kunst darf man insofern als eine Art Retourkutsche verstehen.

Nächste Vorstellungen: 20. und 21. September www.hebbel-am-ufer.de

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