Endlagersuche: »Auch meine Perspektive ist wertvoll«

Arnjo Sittig ist weder Geologe noch Kernkraft-Experte. Trotzdem hilft er dabei, einen sicheren Standort für den deutschen Atommüll zu finden

  • Interview: Martin Reischke
  • Lesedauer: 6 Min.
Atommüll – Endlagersuche: »Auch meine Perspektive ist wertvoll«

Sie sind Mitglied im Nationalen Begleitgremium (NBG), das die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Deutschland unterstützen soll. Dabei haben Sie mit Kernkraft eigentlich gar nichts am Hut.

Das stimmt, Atommüll interessiert mich eigentlich nicht. Mich interessiert aber, wie man diesen Prozess der Suche gestaltet. Also: Welche Schritte sind notwendig? Wer hat die Aufsicht und schaut, dass auch alles richtig läuft? Und wie bindet man die Öffentlichkeit ein?

Und da kommt das NBG ins Spiel: Auch fachliche Laien sollen hier die Endlagersuche begleiten – das klingt nach einem ziemlich ambitionierten Projekt!

Ja, das ist in seiner Komplexität wirklich einzigartig. Als Gremium haben wir etwa Akteneinsichtsrecht und sind im Gespräch mit hochrangigen Mitarbeiter*innen der beteiligten Ämter und Ministerien. Wir sind also immer auf dem aktuellen Stand. Sonst bekommt man ja oft nur mit, wie Gesetze ausgearbeitet und verabschiedet werden, aber nicht, was danach passiert. Hier ist es anders: Bei der Umsetzung des Standortauswahlgesetzes, das die Endlagersuche regelt, sind eben auch ganz normale Bürger*innen wie ich beteiligt.

Wie sind Sie überhaupt NBG-Mitglied geworden?

Es gibt zwei Arten, wie man reinkommen kann. Zwölf Mitglieder werden vom Bundestag und Bundesrat gewählt und sechs Mitglieder über ein mehrstufiges Zufallsverfahren ermittelt. Ich habe einen Brief bekommen und wurde zu einem Workshop nach Berlin eingeladen, in dem die Grundlagen zur Endlagersuche und zum Nationalen Begleitgremium erklärt wurden. Aus den Teilnehmer*innen des Workshops werden dann Menschen in zwei Stufen in das NBG gewählt – das war bei mir 2021 der Fall.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Gremium aus?

Einmal im Monat treffen wir uns für einen Tag zur NBG-Sitzung, entweder online oder in Berlin. Daneben gibt es verschiedene Fachgruppen, außerdem bereiten wir öffentliche Veranstaltungen vor und nehmen an Sitzungen und Terminen der anderen Akteure teil, also etwa des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Am Ende komme ich auf 20 bis 30 Stunden pro Monat, manchmal sind es auch deutlich mehr.

Interview

Arnjo Sittig, 22 Jahre alt, ist seit drei Jahren Mitglied im Nationalen Begleitgremium, in dem neben Fachleuten auch interessierte Bürger*innen die Suche nach einem Endlagerstandort für hochradioaktiven Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken unterstützen. Er ist Mitglied der Grünen und studiert Soziologie an der TU Chemnitz.

Ziemlich viel für ein Ehrenamt!

Auf jeden Fall. Das ist auch der Punkt, an dem die meisten Menschen, die eigentlich interessiert sind, wieder abspringen. Wir müssen schließlich auch viel reisen. Aber wir bekommen für unsere Mitarbeit auch eine Aufwandsentschädigung.

Sie sind zwar Grünen-Mitglied, aber mit 22 Jahren viel zu jung, um von der Anti-Atom-Bewegung geprägt worden zu sein. Hat sich Ihr Verhältnis zur Atomkraft durch die Mitarbeit im NBG geändert?

Überhaupt nicht. Als ich 2019 zum Workshop nach Berlin gefahren bin, habe ich zum ersten Mal das Wort Gorleben gehört. Wir arbeiten ja auch viel mit Leuten zusammen, die das alles miterlebt haben und deshalb sehr emotional auf dieses Thema reagieren. Die sehen vieles vielleicht etwas kritischer als ich. Aber ich denke, auch meine Perspektive ist wertvoll, weil ich ohne diesen historischen Ballast an das Thema herangehen kann. Zudem geht es in unserer Arbeit im Gremium ja um die Endlagersuche und nicht um eine Diskussion über die Atomkraft.

Zusammen mit dem Gremium begleiten Sie den Prozess – aber die Entscheidung über den Standort des Endlagers trifft letztlich der Bundestag. Ist das für Sie nicht enttäuschend?

Nein. Unsere Aufgabe ist es ja, Transparenz herzustellen und Vertrauen. Wir können Dinge überprüfen, wir dürfen auch Gutachten ausschreiben. Das machen wir vor allem bei geologischen Entscheidungen sehr regelmäßig. Da nehmen dann Gutachter von uns Akteneinsicht und prüfen, ob die Entscheidungen, die getroffen wurden, sinnvoll waren. Bisher war das immer der Fall. Wir zeigen also der Bevölkerung, dass da noch jemand von außen darauf schaut. Das schafft Vertrauen.

Bisher war die Suche nach Atommülllagern, etwa in Gorleben, alles andere als transparent. Gerade Kernkraftgegner könnten das NBG deshalb auch für ein demokratisches Feigenblatt halten – nach dem Motto: Entscheiden kann das Gremium am Ende ohnehin nicht. Sind das Stimmen, die Sie wahrnehmen?

Ja, die gibt es, das sind dann vor allem ältere Menschen, die auch diesen historischen Ballast tragen. Das ist eben die Schwierigkeit bei Beteiligung. Es gibt bestimmte Punkte, bei denen die Öffentlichkeit mitentscheiden und Anregungen geben kann. Aber natürlich muss man auch immer wieder sagen: Die Öffentlichkeit kann nicht bestimmen, wo ein Endlager hinkommt. Das würde ja auch der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens widersprechen. Ich finde, die Beteiligung ist trotzdem kein Feigenblatt, weil wir viele Einflussmöglichkeiten haben. Aber wenn man den Anspruch hat, am Ende mitzuentscheiden, wo das Endlager hinkommt, dann wird man natürlich enttäuscht sein.

Was halten Ihre Freunde und Bekannten von Ihrer Arbeit?

Wenn ich davon erzähle, sind viele erst einmal überrascht. Sie wissen gar nicht, dass wir in Deutschland ein Endlager suchen. Ich erlebe auch bei jungen Leuten, dass es ihnen völlig egal ist, wo es hinkommt. Und dann regen sich eigentlich alle darüber auf, wie lange der Prozess dauert und warum man das nicht viel schneller macht.

Wo stehen Sie denn gerade bei der Suche?

Wir sind leider noch sehr weit am Anfang. 2020 hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung die Teilgebiete veröffentlicht, die grundsätzlich in Frage kommen. Das ist allerdings noch mehr als die Hälfte der Fläche der Bundesrepublik, also ein riesiges Gebiet. Und im Moment arbeitet die Bundesgesellschaft daran, aus dieser Fläche Standortregionen zu definieren.

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In einer neuen Studie des Öko-Instituts heißt es, die Standortsuche werde noch mindestens bis 2074 dauern – allerdings nur unter idealen Bedingungen. Das klingt wirklich ziemlich ernüchternd.

Natürlich ist es erschreckend, jetzt daran zu denken, dass der Prozess immer noch nicht abgeschlossen ist, wenn ich mal in Rente bin. Deshalb will ich persönlich auch, dass es schneller geht.

Ist das denn realistisch?

Wenn man den Prozess möglichst schnell abschließen will, dann könnte man wahrscheinlich innerhalb von einem Jahr einen Standort finden. Aber ob das dann der sicherste ist, ist natürlich eine ganz andere Frage. Deswegen muss man da eben einen guten Kompromiss zwischen Zeit und Qualität finden.

Daran arbeiten Sie seit mittlerweile drei Jahren mit. Sind Sie immer noch mit Begeisterung dabei – oder überwiegt die Ernüchterung über die Mühen der Ebene?

Ich finde den Prozess immer noch großartig. Ich kann viel mitarbeiten und mir viel Wissen aneignen. Aber natürlich bewegen wir uns immer nur in kleinen Schritten. Da ist es etwas ermüdend, wenn man immer das große Ziel vor Augen hat, es aber nur sehr langsam vorangeht.

Taugt das NBG als Blaupause für mehr politische Beteiligung bei strittigen Themen?

Wir befinden uns mitten in der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und einem klimaneutralen Leben. Ich lebe in Sachsen, wir müssen hier etwa den Braunkohleausstieg bewältigen. Und da wäre eine solche Begleitgruppe wie das NBG wichtig, um auch ganz normale Menschen tief in den Prozess reinschauen zu lassen, damit sie verstehen, warum manches eben lange dauert oder schwierig ist. Ich finde, es bräuchte viel mehr dieser Instrumente bei großen gesellschaftlichen Projekten.

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