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Kampf den »Göttern in Weiß«
Der Feminismus der »Zweiten Welle« hatte viele Kampfschauplätze. Über die Frauengesundheitsbewegung ist nun ein Buch erschienen
Mein Körper gehört mir» und «Das Private ist politisch» sind bekannte Slogans der Zweiten Frauenbewegung. Als eine Strömung innerhalb dieser Organisierungen im Zuge von «68» hat die Frauengesundheitsbewegung in der BRD das Verhältnis zwischen Ärzt*innen und Patient*innen grundlegend in Frage gestellt und verändert. Statt der «Götter in Weiß», deren Anweisungen man zum Wohle der eigenen Gesundheit buchstabengetreu befolgen musste, forderten die Aktivist*innen Interaktion auf Augenhöhe ein oder eigneten sich das medizinische Wissen gleich selber an.
Trotz dieser Erfolge und obwohl in den 1970er und 1980er Jahren tausende Menschen in Initiativen, Kongressen, Zentren und Zeitungsprojekten aktiv waren, ist dieser Aktivismus allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Soziologin Susanne Boehm hat nun in ihrer Dissertation «Die Frauengesundheitsbewegung. Kritik als Politikum» ehemalige Aktivistinnen des Berliner feministischen Frauengesundheitszentrums (FFGZ) interviewt, um die Kritik der Bewegung an der Medizin und dem Gesundheitsweisen sowie die internen Arbeitsprozesse nachzuvollziehen. Das Zentrum entstand aus Beratungs- und Selbstuntersuchungsstrukturen des West-Berliner Frauenzentrums und existiert bis heute.
Befreiung und Provokation
Als die Zweite Frauenbewegung entstand, war Abtreibung illegal, die Pille gab es nur für verheiratete Frauen, Kinderbetreuung war weitgehend Privatsache und Aufklärung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität gab es kaum. In dieser Situation war die kollektive Aneignung dieses Wissens und das Organisieren unabhängiger Initiativen bahnbrechend und revolutionär. Entstanden aus der Studierendenbewegung der 1960er Jahre und den Kampagnen gegen den Abtreibungsparagraphen 218 seit den frühen 1970ern wollte die Frauengesundheitsbewegung die patriarchalen Zugriffe auf Frauen und Mädchen parieren und sie zu eigenen Entscheidungen ermächtigen.
Selbstbestimmung und das Wissen über den eigenen Körper galten als Weg der Befreiung von patriarchalen Zwängen.
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Selbstbestimmung und das Wissen über den eigenen Körper galten als Weg der Befreiung von patriarchalen Zwängen. Anders als die Wörter «selbst» und «eigen» nahelegen, war dies allerdings nicht als individueller, sondern als kollektiver Befreiungsprozess gedacht. Heute (wieder) unvorstellbar trafen sich massenhaft Frauen in Kleingruppen, um durch einen Austausch über ihren Alltag und ihre gesundheitlichen Probleme zu einem besseren Verständnis ihrer selbst und der Ursachen ihrer körperlichen Symptome zu kommen. Dabei sollte nach Analyse der Aktivist*innen auch die Scham der Beteiligten abgebaut und Körpernormierung und Machtverhältnisse verstehbar und angreifbar werden.
Auch Abtreibungsberatungen und vaginale Selbstuntersuchungen fanden in Gruppen statt, schreibt Boehm: «Die Techniken der vaginalen Selbstuntersuchung sorgten als Politikum für Kontroversen. Denn eine Selbstuntersuchung, bei der sich Frauen den eigenen Unterleib ansehen und ertasten, brach sämtliche Schamgrenzen und Tabus von Körperlichkeit jener Zeit auf, sowohl für reguläre gesellschaftliche Narrative, als auch für interessierte Frauenbewegte, die zum ersten Mal von gynäkologischer Selbsthilfe hörten. Für die Aktivistinnen des FFGZ ist umso relevanter, welches Potenzial diese Brisanz in sich trug.» In den Interviews wird die ungeheure Befreiung und Provokation spürbar, die darin lag – und bis heute liegt, wenn sich Frauen und FLINTA gemeinsam ausziehen, austauschen über ihre Erfahrungen mit dem eigenen Körper und mit Ärzten und nicht nur in sich selber, sondern auch in andere hineinschauen.
Verpasste Chance
Gerade heute, in einer Zeit der sich zuspitzenden Gesundheitskrisen, in welcher der Druck für eine Abschaffung des Abtreibungsverbotes wieder steigt und eine in den 1970er und 80er Jahren unvorstellbare Beteiligung von Patient*innen an individuellen Gesundheitsentscheidungen normal geworden ist, kann ein Rückblick auf die Bewegungsdiskussionen von damals hochinteressant und gewinnbringend sein. Bei einem derart großen Forschungsdesiderat müsste sich eine solche Untersuchung wie eine spannende Geschichte lesen, in der auf jeder Seite unerwartete Neuigkeiten auftauchen. Aber «Die Frauengesundheitsbewegung. Kritik als Politikum» ist bedauerlicherweise weder inhaltlich spannend noch theoretisch lohnend. Boehm schafft es vielmehr, bereits bekannte Faktoren über die Bewegung länglich und repetitiv nachzuerzählen. Zwischenzeitlich fragt sich selbst die sehr geneigte Leser*in, wie oft man ein und dieselbe Information ausführlich in einer (für die Veröffentlichung bereits gekürzten) Dissertation unterbringen kann. Die Antwort lautet: Sehr oft.
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Wenn die Aktivist*innen in den Interviews interessante und relevante Begebenheiten erzählen, nimmt Boehm diese in ihre interpretierenden Analyse nicht oder kaum auf, sondern nutzt die Gelegenheit fast jedes Mal dafür, noch einmal darzulegen, was sie bereits mehrfach, deutlich und ausführlichst referiert hat; etwa die Verbindung zwischen Konzepten der US-amerikanischen Frauengesundheitsbewegung und denen ihrer deutschen Schwestern. Selbst für ein Sachbuch wäre das bedauerlich – für eine Dissertation, deren Kern ja die Erforschung von neuem Wissen sein sollte, ist es gänzlich verunglückt.
Zwar kann man von einer wissenschaftlichen Arbeit, die als Quellen vornehmlich Interviews und die Grounded Theory Methodology als Methode verwendet, keine sensationellen theoretischen Erkenntnisse erwarten. Aber warum die Autorin in ihren theoretischen Referenzen nahezu ausschließlich auf Michel Foucault rekurriert und die feministische Theoriebildung der Zeit fast komplett außen vor lässt, bleibt ihr Geheimnis. Zentrale Konzepte der feministischen Politik, ohne die bestimmte Entwicklungen nicht zu verstehen sind und die bis heute zu schweren Auseinandersetzungen führen, werden nur en passant erwähnt und weder ausgeführt noch analytisch eingebettet. So wird beispielsweise der für die Bewegung grundlegende und bis heute einflussreiche – in transfeindlichen feministischen Strömungen problematisch ausgeprägte – Radikalfeminismus, der gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse auf die Ungleichheit zwischen zwei Geschlechtern zurückführt, nicht einmal im Ansatz erläutert. Das Verständnis weiblicher Körper als besetzte, kolonialisierte Territorien im Ökofeminismus hat zu abenteuerlichen Annahmen auch in der Frauengesundheitsbewegung geführt, so etwa der als «männlich» verstandenen Ablehnung von etablierten medizinischen Verfahren.
Relevanz in der Gegenwart
Die Frauengesundheitsbewegung ist in der Tat unterforscht, aber ausgerechnet die vergleichsweise gut dokumentierten Bereiche des frühen Aktivismus als Forschungsderivat darzustellen, macht die eigene wissenschaftliche Arbeit nicht zwangsläufig relevanter. So schreibt Boehm, es sei bedauerlich, dass «in historisierenden Überblickswerken zur Neuen Frauenbewegung in der BRD und zur Frauengesundheitsbewegung bislang wenig Augenmerk auf Brot u. Rosen als zentrale Vorläuferinnengruppe gelegt wurde». Dies bleibt jedoch eine haltlose Behauptung, da die genannte Gruppe und ihr Buch «Frauenhandbuch Nr. 1» quasi das erste ist, auf das man stößt, wenn man beginnt, sich in die Frauengesundheitsbewegung und den frühen Zweite-Welle-Abtreibungsaktivismus einzulesen.
In der Corona-Pandemie und angesichts der Mobilisierungen der Coronaverharmloser*innen kam verstärkt die Frage auf, ob und wie auch alternative Gesundheitsinitiativen zu Wissenschaftsfeindlichkeit, Esoterik und Verschwörungsglauben beigetragen haben. Auch die heute erbittert geführten Auseinandersetzungen zwischen queerem Feminismus und Differenzfeminismus lassen sich in ihren essenzialistischen Vorstellungen von «Männern», die aus Frauenräumen herausgehalten werden müssten, bis in die Anfänge der Bewegung zurückverfolgen. Zu beiden gegenwartsrelevanten Themenbereichen finden sich in den von Boehm geführten Interviews Hinweise, welche die Autorin jedoch leider ungenutzt lässt.
Susanne Boehm: «Die Frauengesundheitsbewegung. Kritik als Politikum», transcript 2024, 402 S., br., 45€, online als Open Access verfügbar.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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