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Ozzy Osbourne auf dem Thron
Black-Sabbath-Frontmann Ozzy Osbourne legt postum seine Generalbeichte ab
Ozzy Osbourne hat sich gelegentlich gewundert, wie er so alt werden und bei Verstand bleiben konnte – »wenn man das denn Verstand nennen kann«. Erstaunlicherweise sind es nicht mal Alkohol- und Drogenexzesse, die ihn beinahe umbringen, sondern vergleichsweise harmlose, jedenfalls nüchterne Freizeitaktivitäten – wie seine Ausflüge mit dem Quad Bike im südenglischen Buckinghamshire, die im Dezember 2003 im Krankenhaus enden. Ozzy liegt acht Tage im Koma. Das ist die erste Seite einer langen Krankenakte, die er in seiner noch kurz vor seinem Tod im Juli fertiggestellten Autobiografie »Last Rites« genüsslich ausbuchstabiert.
Sein zweiter Sturz Anfang 2019 ist noch fataler. Nach einem nächtlichen Klogang will er ins Bett hüpfen, fällt im Dunkeln daneben und bricht sich einen Halswirbel. Dieser Unfall beendet nicht nur seine letzte Konzertreise »No More Tours II«, er kommt danach nie wieder richtig auf die Beine. Osbourne lässt sich an der Wirbelsäule operieren, aber die Schmerzen werden eher schlimmer, also unterzieht er sich weiteren Korrekturoperationen. Seine bereits 2003 diagnostizierte Parkinson-Erkrankung macht ihm immer stärker zu schaffen, hinzu kommen massive Herzprobleme, Lungenentzündungen, ein Emphysem. Dass er überhaupt so lange überlebt hat und mit »Ordinary Man« und »Patient Number 9« auch noch zwei durchaus achtbare Alben einsingen konnte in den letzten Jahren seines Lebens, gleicht einem Wunder – und wäre ohne seine musikalischen Helfershelfer wie den jungen Produzenten Andrew Watt und Ozzys Bandfamilie kaum möglich gewesen.
Trotzdem ist »Last Rites« alles andere als eine larmoyante Klage über seinen körperlichen Niedergang, sondern eine Generalbeichte und oft anrührende Bitte um Entschuldigung. Ozzy versucht mit all den Leuten ins Reine zu kommen, denen er Unrecht getan hat. Seiner Frau Sharon zuallererst. Er hat sie nach Strich und Faden belogen und betrogen und hätte sie im Alkoholdelir sogar beinahe umgebracht. An jenem unseligen Septemberabend 1989 fliegen mal wieder die Fetzen zwischen ihnen und Ozzy versucht seine Wut mit Wodka und Schmerztabletten herunterzuspülen. »Nach dem, was Sharon der Polizei erzählte – denn ich selbst kann mich kaum daran erinnern –, kam ich völlig ruhig ins Wohnzimmer, während sie auf dem Sofa saß und ein Buch las. Dann sagte ich zu ihr so etwas wie: ›Wir haben uns unterhalten, und es steht nun fest, dass du sterben musst.‹ … Ich war völlig psychotisch. Dann stürzte ich mich auf sie und legte ihr die Hände um den Hals. Sharon zufolge landeten wir auf dem Boden. Ich lag auf ihr und versuchte, sie zu erwürgen. Sie geriet in Panik und kratzte mir im Gesicht herum, bis sie sich schließlich losriss und den Panikknopf unserer Alarmanlage betätigte.« Sharon verlangt danach eine Entziehungskur, kehrt aber zu ihm zurück als Managerin und Ehefrau.
Auch gegenüber seinem alten Bandkollegen Bill Ward muss er Abbitte leisten. Denn dass Black Sabbath es 2013 nicht schaffen, für ihr letztes Album »13« das Original-Line-up ins Studio zu bringen, ist vor allem Ozzys Schuld. Er sieht nicht ein, dass Ward den gleichen Anteil an den Gewinnen bekommen soll wie die anderen Bandmitglieder. »Schließlich war er schon lange nicht mehr als Musiker aktiv gewesen.« Daraufhin zieht sich der Schlagzeuger enttäuscht zurück, und die beiden sprechen fast zehn Jahre nicht miteinander. Im Nachhinein bedauert Ozzy sein Verhalten. »Ohne ihn war es nicht Black Sabbath. Es war nur eine gute Annäherung.«
Die Passagen, in denen Ozzy noch einmal die Entstehung von »13« rekapituliert, gehören zu den instruktivsten von »Last Rites«, vor allem seine Einlassungen zu ihrem Produzenten Rick Rubin. Sobald sie mit den Aufnahmen begonnen hatten, »benahm sich Rick wie der Chef-Guru. In weißem T-Shirt und schwarzen Shorts tapste er barfuß durch die Gegend, lag in der Ecke rum und kommentierte unsere Ideen mit: ›Mag ich, mag ich nicht …‹ Das Ganze war verdammt merkwürdig, Mann.« Anders als bei vielen Produktionen, bei denen die Bands sich nachträglich über seine ständige Abwesenheit beklagen, reißt Rubin hier die ästhetische Kontrolle an sich. Er will mit aller Macht »zum Feeling des ersten Black-Sabbath-Albums« zurückkehren und erteilt entsprechende Ratschläge (»Schreibt bloß nichts Fröhliches«), die der Band gehörig auf die Nerven gehen. »Es erinnerte mich an die Zeiten, als die Leute Black Sabbath ständig falsch verstanden hatten und dachten, wir seien so eine Art Halloween-Band«, lästert Osbourne.
Doch Rubins Arbeit trägt Früchte. »13« führt in Großbritannien, den USA, Kanada, Deutschland, Dänemark und der Schweiz die Charts an und wird, zumindest, was seine internationalen Chart-Platzierungen angeht, das erfolgreichste Album ihrer Karriere.
Ozzy hat trotzdem noch nicht genug. Nach der letzten Black-Sabbath-Tour »The End« steht er wieder als Solokünstler auf der Bühne – bis zu jenem Sturz im eigenen Schlafzimmer. Auch ohne die Corona-Pandemie hätte er die verschobenen Konzerte seiner letzten Welttournee »No More Tours II« jetzt nicht mehr nachholen können. Immerhin macht ihn sein Reha-Team noch einmal so fit, dass er bei den 2022er Commonwealth Games in Birmingham zusammen mit Tony Iommi »Paranoid« schmettern kann. Er ist zwar kaum mehr in der Lage zu stehen, aber immer noch zu singen. Dieser Bonsai-Triumph bringt Sharon auf die Idee zu »Back To The Beginning«, der Sabbath-Reunion-Show im Villa Park in Birmingham, die gleichzeitig Ozzys Bühnenabschied werden soll.
Zur Feier des Tages darf nun auch Bill Ward endlich wieder mitmachen. Die Musik-Welt drückte ihnen beide Daumen, dass die vier sich mit Anstand aus der Affäre ziehen – und das gelingt ihnen. Ozzy sitzt auf einem Thron und singt immer mal wieder großzügig an der Melodie vorbei, aber was macht das schon in so einem Moment. Offenbar hat ihn die Aussicht auf dieses besondere Ereignis am Leben gehalten. Zweieinhalb Wochen nach seinem letzten großen Auftritt stirbt er an einem Herzinfarkt.
Ozzy Osbourne (m. Chris Ayres): Last Rites. A. d. Engl. v. Henning Dedekind, Heike Maillard u. Violeta Topalova. Wilhelm-Heyne-Verlag, 347 S., geb., 24 €.
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