Film »Blitz«: Antifaschistisches Ausrufezeichen

In »Blitz« erzählt Regisseur Steve McQueen vom deutschen Luftangriff auf London und der Diversität der britischen Arbeiterklasse

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Mutter Rita (Saoirse Ronan) und ihr Sohn George (Elliott Heffernan) trotzen dem deutschen Bombenterror.
Mutter Rita (Saoirse Ronan) und ihr Sohn George (Elliott Heffernan) trotzen dem deutschen Bombenterror.

Als der neunjährige George (Elliott Heffernan) mit anderen Kindern 1940 während der deutschen Bombardierungen Londons aus der Stadt evakuiert und aufs Land verschickt werden soll, haut er kurzerhand ab und macht sich auf den Heimweg zu seiner Mutter Rita (Saoirse Ronan).

Steve McQueens neuer Film »Blitz«, betitelt nach dem Bombenterror der Nazis zu Beginn der 40er Jahre, erzählt ebenso einfühlsam wie knallhart eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, in der es um die Diversität der Londoner Arbeiterklasse und ihren Alltag im Kampf gegen den deutschen Faschismus und den Rassismus im eigenen Land geht. Der nichtweiße George haut ab, weil er zum einen seine Mutter vermisst und zum anderen keine Lust hat, im Zug die üblichen rassistischen Pöbeleien anderer Kinder zu ertragen. Er springt aus der fahrenden Eisenbahn, klettert in einen Güterzug, wo er anderen Jungs begegnet, die ebenfalls abgehauen sind, und irrt mehrere Tage lang durch das vom deutschen Bombenhagel heimgesuchte London, während seine alleinerziehende Mutter verzweifelt nach ihm sucht.

»Blitz« ist ein kämpferischer und politischer Film über die Londoner Arbeiterklasse, die vor allem auch mit Selbstorganisation und solidarischer Hilfe durch diese schweren Tage kommt.

Steve McQueen fächert in seinem bildgewaltigen Epos den Alltag der Menschen im London jener Zeit auf. Es geht in Luftschutzbunker, wo die Londoner singend aneinanderkauern, während oben die Bomben einschlagen und ganze Straßen in Flammen stehen. Die Feuerwehr ist im Dauereinsatz. In der Eröffnungsszene des Films will ein Feuerwehrmann einen riesigen Schlauch auf ein flammendes Inferno richten – es kommt kein Wasser, bis der Schlauch dann plötzlich doch Druck bekommt und die Spritzdüse den Feuerwehrmann wie mit einem Hammer umhaut und drei Männer nötig sind, um den wild um sich spritzenden Löschschlauch wieder einzufangen.

Die aus den Fugen geratene Infrastruktur der Stadt ist durchgängiges Motiv dieses rasant erzählten Films. »Blitz« zeigt eine europäische Großstadt, die tagsüber einen fast schon normal wirkenden Alltag hat – mit belebten Straßen, den roten Bussen, die durch die Stadt flitzen, aber auch Arbeitern, die mit dem Aufräumen der Zerstörungen beschäftigt sind, während sich London dann nachts in einen Albtraum aus mörderischem Bombenhagel und alles zerstörenden Feuersbrünsten verwandelt.

In Rückblenden wird aber auch die Geschichte Ritas und ihres aus Grenada stammenden Mannes erzählt, der von den Behörden abgeschoben wird, sodass George ohne Vater aufwächst. Es geht um die romantische Beziehung seiner Eltern, um die karibische Dancehall-Kultur der 30er Jahre in London, aber auch um rassistische Anfeindungen, die das schwarz-weiße Paar erlebt.

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In der Gegenwart des Krieges arbeitet Rita in einer Rüstungsfabrik. Die erhält von der BBC Besuch in den Werkshallen, wo Bomben zusammengebaut werden. Bei einer Live-Sendung mit Musikdarbietungen singt Rita als talentierte Arbeiterin live vor einem Millionenpublikum. Bis ihre Kolleg*innen am Ende des herzergreifenden Songs die Bühne stürmen und politische Parolen für die Öffnung der U-Bahnhöfe für die Bombenopfer fordern und dann von Polizisten abgedrängt werden.

»Blitz« ist ein kämpferischer und politischer Film über die Londoner Arbeiterklasse, die vor allem auch mit Selbstorganisation und solidarischer Hilfe durch diese schweren Tage kommt. So wie in einem Bunker, in dem Rita nachts als Helferin tätig ist, um am nächsten Morgen wieder in der Fabrik zu stehen und mit anderen Frauen zusammen an der Drehbank und mit dem Schweißgerät Waffen gegen die Nazis zu produzieren.

George sucht sich währenddessen seinen Weg durch London, trifft auf Gangster, die ihn zwingen, Einbrüche für sie zu begehen und in halb verfallene Geschäfte einzusteigen und dort zu plündern. Er trifft aber auch auf den aus Nigeria stammenden Luftschutz-Wachmann Ife (Benjamin Clementine), der ihn aufliest, sich um ihn kümmert und in einen Luftschutzbunker bringt, als wieder, wie jede Nacht, die Sirenen heulen und die deutschen Bomben fallen. In einem Keller voller Menschen, wo es eine Auseinandersetzung zwischen weißen Rassisten, einer pakistanischen Familie und einigen Juden gibt, vermittelt Ife und hält eine flammende Rede für die Diversität Londons und seiner Menschen, die genau deswegen gegen die Nazis kämpfen, weil sie sich nicht vom Hass spalten lassen wollen. Das wirkt zwar ein wenig pathetisch, ist aber ein unheimlich starker Moment in diesem Film und zeigt, dass diese Geschichte trotz des historischen Rahmens brisante Aktualität besitzt.

Dieser Moment lebt vor allem von der großartigen schauspielerischen Leistung Benjamin Clementines, der in Großbritannien als Musiker bekannt ist, aber auch unlängst in »Dune« als imperialer Herold einen Auftritt hatte. Am Ende schafft es George, zu seiner Mutter zurückzukommen, aber nichts ist mehr so, wie es vorher war.

Der deutsche Bombenkrieg gegen England, der sich vor allem gegen die Zivilgesellschaft richtete, ist ein hierzulande immer noch nicht genügend ins Bewusstsein gerücktes Stück Geschichte. In Zeiten der rechten globalen Mobilmachung ist Steve McQueens bewegender Film ein kämpferisches, antifaschistisches Ausrufezeichen.

»Blitz«, Großbritannien/USA 2023. Regie: Steve McQueen. Mit: Saoirse Ronan, Harris Dickinson, Benjamin Clementine. 120 Min. Läuft im Kino.

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