Lebensgrundlagen in Gefahr

Der Treibhauseffekt beschleunigt sich und bringt das Klimasystem immer näher an verschiedene Kipppunkte

  • Wolfgang Pomrehn
  • Lesedauer: 8 Min.
Klimakrise – Lebensgrundlagen in Gefahr

Kurz vor der diesjährigen UN-Klimakonferenz in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku sendet das Klimasystem nach verheerenden Hurrikanen in der Karibik und den USA und nicht minder zerstörerischen Taifunen in Südchina und Südostasien noch einmal eine überlaute Warnung: Spaniens Mittelmeerküste wurde vergangene Woche und zu Beginn dieser wiederholt von sintflutartigen Niederschlägen und katastrophalen Überschwemmungen heimgesucht. Über 200 Tote und massive Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur sind dort zu beklagen – eine von unzähligen ähnlichen Katastrophen, die dieses Jahr auf fast allen Kontinenten zu verzeichnen waren.

Die Klimakrise ist dabei, sich voll zu entfalten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist schon zwei Monate vor Jahresende klar, dass 2024 erneut einen Hitzerekord aufstellen wird. Nach Angaben des EU-Klimaprogramms Copernicus waren die letzten zwölf Monate von November 2023 bis Oktober 2024 um 1,62 Grad Celsius zu warm, wenn man die Jahrzehnte zum Ende des 19. Jahrhunderts als Maßstab nimmt. 2024 wird laut Copernicus auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das ganze Jahr über das 1,5-Grad-Limit vollständig überschritten sein.

Treibhauseffekt nimmt seit 1990
Fahrt auf

In der Vergleichsperiode zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden so gut wie keine Erdölprodukte verbrannt und auch der Verbrauch von Kohle war im Vergleich zu heute minimal. Mithin hatte der Mensch den CO2-Gehalt der Atmosphäre noch nicht im großen Maßstab verändert. Heute sieht das ganz anders aus. Seit der vorindustriellen Zeit ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 280 auf 420 Millionstel Volumenanteile gestiegen, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) Ende Oktober in Genf mitteilte. Allein in den letzten 20 Jahren betrug der Anstieg rund zehn Prozent und war damit so schnell, wie nie zuvor in der über 200 000-jährigen Geschichte der Menschheit. Gleichzeitig hat der Einfluss der Treibhausgase auf den Strahlungshaushalt der Erde, also der zu Erwärmung führende Effekt, so die WMO, seit 1990 um 50 Prozent zugenommen.

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Gemeint sind natürlich nur die zusätzlichen, durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Gase. Es gibt auch Treibhausgase aus natürlichen Prozessen in der Atmosphäre, die das globale Klima um durchschnittlich 33 Grad Celsius wärmer machen. Ohne diese wäre kaum Leben in jener Form und Reichhaltigkeit, wie wir es kennen, möglich. Tatsächlich hat es vor über 600 Millionen Jahren einmal eine Phase gegeben, in der unser Planet vollkommen vereist war, weil es kaum CO2 in der Atmosphäre gab. Britischen Forscherinnen und Forschern ist kürzlich die genaue Datierung dieser Eis-Epoche gelungen, aber das ist eine andere Geschichte.

Jahrhundertereignisse werden zum neuen Normal

Inzwischen haben wir ein gegenteiliges Problem. Doch woher wissen wir eigentlich, dass die schweren Unwetter der letzten Monate und Jahre mit dem Klimawandel zusammenhängen? Ein erstes Indiz ist, dass viele von ihnen Jahrhundertereignisse darstellen. Das heißt, in dem Klima, das wir aus den letzten 150 Jahren kennen, sind sie so selten, dass sie nur alle 100 Jahre oder noch seltener vorkommen würden. Dass sie aber gehäuft auftreten, ist ein Zeichen dafür, dass sich die Dinge verändern. Was vor 30 oder 40 Jahren noch extrem war, wird zum neuen Normal.

Außerdem ist der physikalische Zusammenhang zwischen Erwärmung einerseits sowie stärkeren Niederschlägen und Stürmen andererseits relativ einfach: Meere und Luft werden wärmer. Dadurch kann zum einen mehr Wasser verdunsten, und in den Subtropen treten häufiger Bedingungen auf, unter denen tropische Wirbelstürme wie Hurrikane und Taifune entstehen können. Zum anderen kann die wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen. Deutlich mehr, denn das Verhältnis ist exponentiell. Für jedes Grad Celsius steigt die Aufnahmefähigkeit der Luft um sieben Prozent. Die Folgen sind größere Niederschlagsmengen sowie stärkere Stürme. Denn der Wasserdampf kondensiert zu Wolken, wenn er in Wirbeln oder an Bergen aufsteigt, und setzt dabei Energie frei. Diese wiederum erwärmt die umliegende Luft, deren Auftrieb dadurch verstärkt wird. Wärmere Luft ist nämlich leichter als kühlere und steigt daher auf – ein wesentliches Prinzip, das allen Winden und Stürmen zugrunde liegt.

Hitzewellen fordern die meisten Todesopfer

Schließlich gibt es noch einen dritten Weg, die Verbindung zwischen dem menschengemachten Klimawandel und Unwettern festzustellen. In der sogenannten Attributions- oder Zuordnungsforschung wird ermittelt, wie häufig ein bestimmtes Ereignis in einer Welt ohne zusätzliche Treibhausgase vorkommen würde. Dafür werden Klimamodelle mit den vorindustriellen Bedingungen gefüttert und sehr oft und lange durchgerechnet, was erst durch die heutigen Tags verfügbare enorme Rechenleistung möglich wurde. In der Auswertung der auf diesem Wege simulierten Wetterdaten und dem Vergleich mit den realen Ereignissen lässt sich dann sagen, um wie viel wahrscheinlicher oder intensiver ein Hurrikan oder eine Hitzewelle wurde.

Hitzewellen sind dabei meist weniger spektakulär als Überschwemmungen und extreme Niederschläge, weshalb sie weniger Medienaufmerksamkeit bekommen. Aber nach jüngsten Anfang der Woche veröffentlichten Daten der WMO sind sie die häufigste Todesursache in Folge von Klimakatastrophen. Zwischen Anfang 2020 und dem Sommer 2024 entfielen auf Hitzewellen 54 Prozent der von den nationalen Wetterdiensten übermittelten Extremwetter-Todesfälle.

Regenwald an der Schwelle zur Savanne

Und die weiteren Aussichten? Alles andere als rosig. Der Amazonasregenwald erlebt derzeit schon im zweiten Jahr in Folge die schwerste Dürre seit Menschengedenken. Vielerorts sind die Pegelstände der Flüsse auf Rekordniedrigstand. Die Folgen sind für weite Teile des Kontinents verheerend, denn der Wald im Amazonasbecken wirkt als Pumpe, die Feuchtigkeit und Regen in den Süden, in den Pantanal bringt. Dieses Feuchtgebiet an Brasiliens Grenze zu Bolivien und Paraguay ist einer der größten Süßwasserspeicher des Planeten, wurde aber in diesem Sommer von einem der schlimmsten je dort beobachteten Buschbrände heimgesucht, von Feuern, die durch den Klimawandel erheblich wahrscheinlicher wurden. Eine Fläche von etwa 4400 Quadratkilometern verbrannte.

Eine Zuordnungsstudie des Imperial College in London hat ergeben, dass entsprechende Brände in einem ungestörten Klima nur alle 161 Jahre zu erwarten sind, unter derzeitigen Bedingungen aber bereits dreimal pro Jahrhundert.
Doch es wird noch schlimmer. Ein Team brasilianischer und europäischer Forscherinnen und Forscher kam Anfang des Jahres zu dem Schluss, dass schon Mitte des Jahrhunderts bis zu 47 Prozent des Regenwaldes vom Umkippen bedroht sein könnte, also absterben und zur Savanne werden würde. Dabei hatten sie noch nicht berücksichtigt, dass auch die Atlantische Umwälzzirkulation – hierzulande vor allem durch den Golfstrom bekannt – wichtig für den Wald ist.

Anfang November hat ein ähnlich international zusammengesetztes Team in der Fachzeitschrift »Nature Geoscience«, anhand von 25 000 bis 12 500 Jahren alten Belegen darauf hingewiesen, dass vor allem der Norden des Amazonasbeckens deutlich trockener wird, wenn sich die Zirkulation abschwächt.

Warnung vor einem Zusammenbruch des Golfstroms

Genau damit ist aber in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen, wie erst im Oktober 43 auf dem Gebiet teils seit vielen Jahren forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt in einem Brief an die Regierungen des Nordischen Rates der skandinavischen Länder warnten. Demnach ist Nordeuropas Hitzepumpe, die Wärme aus den Subtropen bis über den arktischen Wendekreis hinaus in den nördlichen Nordatlantik bringt, anfälliger als bisher gedacht. Diverse Studien der letzten Jahre zeigten, dass bei weiterer globaler Erwärmung ein sukzessives Zusammenbrechen der Zirkulation immer wahrscheinlicher wird.

Neben den erwähnten Auswirkungen auf den südamerikanischen Regenwald und einer Südwärtsverschiebung der tropischen Regenzonen wären die unmittelbaren Folgen für Skandinavien eine dramatische Abkühlung um mehrere Grad Celsius, und zwar trotz globaler Erwärmung. Hierzulande würden die drastisch vergrößerten Temperaturgegensätze für mehr Extremwetter, stärkere Stürme und vermutlich starke Klimaschwankungen von Jahr zu Jahr führen.

Der Punkt, an dem es zu diesem für menschliches Ermessen unumkehrbaren Zusammenbruch kommen wird, liegt irgendwo zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius globaler Erwärmung über dem vorindustriellen Niveau, so der Brandbrief an die nordischen Regierungen. Das heißt, wir sind von diesem Punkt nur noch maximal einige wenige Zehntel Celsius-Grade entfernt. Da wundert es nicht, dass eine Gruppe führender Klimaforscher wie Johan Rockström und Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung oder Michael E. Mann von der University of Pennsylvania Anfang Oktober warnt: »Wir stehen am Rande einer irreversiblen Klimakatastrophe. Ohne jeden Zweifel haben wir inzwischen einen globalen Notstand. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist in Gefahr. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein. (…) Tragischerweise gelingt es uns nicht, schwerwiegende Auswirkungen zu vermeiden, und wir können nur noch hoffen, das Ausmaß der Schäden zu begrenzen. (…) Wir haben den Planeten in klimatische Verhältnisse gebracht, wie sie weder wir noch unsere prähistorischen Verwandten innerhalb unserer Gattung Homo je gesehen haben.«

»Wir können nur noch hoffen, das Ausmaß der Schäden zu begrenzen.«

The 2024 state of the climate report
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