- Wirtschaft und Umwelt
- Gesundes-Herz-Gesetz
Gesundheitschancen ungerecht verteilt
Gesetz kommt nicht: Präventionskurse können bleiben – aber sie erreichen nicht alle
Das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) schaffte es in der vergangenen Woche gerade noch so zur ersten Lesung in den Bundestag und wurde, kurz vor dem Zerbrechen der Ampel-Koalition, in den Gesundheitsausschuss verwiesen. Kritik an dem Entwurf gab es von vielen Seiten, nur die Verbände der Herzmediziner konnten dem Ansatz etwas Positives abgewinnen. Hintergrund des Gesetzes ist die Tatsache, dass in Deutschland nicht nur die Zahl der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen stetig wächst, sondern dass diese Leiden auch an der Spitze der Todesursachen stehen.
Vorgesehen war unter anderem, schon Kinder und Jugendliche regelhaft auf mögliche Fettstoffwechselerkrankungen zu untersuchen. Sie sollten im Bedarfsfall schon sehr früh mit bestimmten Medikamenten (Cholesterinsenker) versorgt werden. Für Erwachsene sollte es jeweils im Alter von 25, 40 und 50 Jahren neue Check-ups im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geben. Der schon seit 1989 mögliche allgemeine Check-up ab dem 35. Lebensjahr wird im Schnitt nur von einem Viertel der gesetzlich Versicherten wahrgenommen. Möglich ist das alle drei Jahre.
Krankenkassen sollten per GHG verpflichtet werden, strukturierte Behandlungsprogramme anzubieten. Der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen sollte ein neues Programm für Versicherte mit hohem Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung beschließen.
Besonders großen Widerspruch gab es für den Gesetzentwurf in Bezug auf die angestrebte Kostenneutralität: Im schlechtesten Fall hätte die Finanzierung von Untersuchungen und Medikamentenverordnungen nämlich die Präventionskurse der Krankenkassen und weitere vorbeugende Maßnahmen unmöglich gemacht. Während Abgeordnete von SPD und Grünen den Gesetzentwurf noch verbessern wollten, wurde er unter anderem von der CDU abgelehnt.
Ihre Sicht zum Thema Prävention stellten die Innungskrankenkassen (IKK) am Mittwoch bei einer Veranstaltung in Berlin vor. Dabei kritisierte IKK-Vorstand Hans-Jürgen Müller, dass Menschen mit dem Gesetz noch weiter aus der Eigenverantwortung für ihre Gesundheit entlassen würden. Müller verwies auf Erkenntnisse, wonach 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Prävention und die Verminderung von Risikofaktoren wie ungesunde Ernährung, Bewegungsarmut und hohen Alkoholkonsum verhindert werden könnten.
Völlig ausgeblendet wurde bei der Erarbeitung des Gesetzes der soziale Kontext von Krankheiten. Hier verwies Thomas Gerlinger von der Uni Bielefeld auf bekannte Zusammenhänge von Einkommen, Bildung und Beschäftigung mit der Häufigkeit von Krankheiten. Auch unterscheide sich die mittlere Lebenserwartung zwischen Gruppen mit den niedrigsten und den höchsten Einkommen – bei Männern um mehr als acht Jahre, bei Frauen um mehr als vier Jahre.
Soziologe Gerlinger zeigte zugleich Grenzen der Verhaltensprävention auf: Gesundheitskurse erreichten diejenigen Gruppen am wenigsten, die sie am nötigsten haben. Menschen mit geringen ökonomischen Ressourcen hätten zudem größere Schwierigkeiten, Erlerntes auf Dauer anzuwenden. Wird also nur auf Präventionskurse gesetzt, können bestehende Ungleichheiten in Sachen Gesundheit sogar noch verstärkt werden. Vernünftige Präventionspolitik müsste laut Gerlinger zugleich die Belastung der vulnerablen Gruppen senken: von weniger Lärm und besserer Luft durch Verkehrsberuhigung hin zu genügend Bewegungsangeboten, etwa in kommunalen Schwimmbädern.
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