»The Chloe Ayling Story«: Frauenfeindlicher Medienrummel

Die Serie »Kidnapped: The Chloe Ayling Story« erzählt von struktureller Gewalt gegen Frauen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Der ewig währende Pakt mit dem Teufel: Mit dem Boulevard im Fahrstuhl rauf und mit ihm wieder runter
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Im Sommer 2017 wird das 20-jährige britische Model Chloe Ayling (Nadia Parkes) in Mailand entführt. Nach einer Woche wird sie wieder freigelassen und ist nach ihrer Entführung einem riesigen Medienrummel ausgesetzt. Schon nach kurzer Zeit wird Chloe Aylings Glaubwürdigkeit angezweifelt. Es steht die Behauptung im Raum, sie habe die Entführung nur vorgetäuscht, um ihrer Karriere einen Schub zu geben. Die Gründe dafür waren zum einen widersprüchliche Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden und zum anderen behaupteten Vertreter der Boulevard-Journaille, Chloe Ayling hätte bei ihrer Rückkehr nach London gegenüber den Medien zu fröhlich gewirkt.

Die Boulevard-Presse suchte regelrecht nach Widersprüchen und einem möglichen Skandal. Was damals wirklich passiert ist, während der einwöchigen Entführung und wie Chloe Ayling ins mediale Kreuzfeuer geriet, versucht die sechsteilige BBC-Serie »Kidnapped: The Chloe Ayling Story« zu erzählen, die nun im ZDF zu sehen ist. Die Drama-Serie basiert auf Gerichtsprotokollen, Interviews und einem Buch, das Chloe Ayling veröffentlichte. Bis heute wird ihre Geschichte vor allem in Internet-Posts immer wieder angezweifelt. Dabei sind die beiden Täter nach einem aufsehenerregenden Prozess in Italien zu langen Haftstrafen verurteilt worden.

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Chloe Ayling wurde im Juli 2017 zu einem fingierten Fotoshooting nach Mailand eingeladen. Als sie die vermeintliche Agentur betrat, wurde sie von zwei vermummten Männern überwältigt, ihr wurde Ketamin gespritzt und halb betäubt wurde sie in ein abgelegenes Haus ins Piemont gebracht. Dort erzählt ihr einer der Entführer namens Andi (Julian Świeżewski), der sie schon einige Monate zuvor für ein Shooting in Paris gebucht hatte, dass sie von einer Mafia-Organisation namens »Black Death« entführt worden sei, um sie online zu versteigern. Aber für ein Lösegeld von 300 000 Euro könne sie sich selbst freikaufen.

Im Laufe der Zeit versucht Andi, der in Wirklichkeit Lukasz Herba heißt, ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufzubauen. Angeblich will er sie retten. Aber all das ist nur die Manipulation eines Stalkers, der Chloe zusammen mit seinem Bruder entführt und diese Mafia-Geschichte inszeniert, in der Hoffnung, mit Chloe Ayling so eine Beziehung aufbauen zu können. Das 20-jährige, völlig verängstigte Entführungsopfer spielt dem Entführer Sympathien vor. Angeblich könne seine Organisation auch Mitglieder von Chloes Familie töten, falls sie mit den Polizeibehörden zusammenarbeite, wird ihr noch erklärt, bevor sie nach einer Woche vor der englischen Botschaft in Mailand freikommt.

Wegen der laufenden Ermittlungen darf Chloe Ayling Italien mehrere Wochen lang nicht verlassen. Zwischen Angstzuständen und Panikattacken versucht sie, die Erlebnisse zu verarbeiten, während die Polizei sie immer wieder verhört. Es dauert, bis sie ihre Angst überwindet und mit den Behörden zusammenarbeitet. Dieses anfängliche Zögern wird ihr später im Umgang mit den britischen Medien auf der Suche nach einer Skandalgeschichte zum Verhängnis.

Die Serie zeigt eindringlich, wie die durch ihr Trauma massiv verunsicherte Chloe Ayling immer mehr unter Druck gerät, während der Täter im Laufe des Gerichtsverfahrens die Behauptung der Medien übernimmt, die Entführung hätte gar nicht stattgefunden. Gleichzeitig ist für das junge Model, das aus einfachen, kleinbürgerlichen Verhältnissen in Süd-London stammt, die mediale Aufmerksamkeit Kapital, das sie nutzen will.

Darüber hinaus wird sie von ihrem Agenten dazu gedrängt, mit der Presse zu reden. Der boulevardeske Medienapparat ködert sie ebenso, wie er sie danach auch genau dafür aburteilt. Dabei kommt es zu einer absurden Täter-Opfer-Umkehr. Die junge Frau wird schließlich im Internet zur Projektionsfläche frustrierter Männer und zur Zielscheibe für angestauten Hass. Insofern erzählt die Serie eindrücklich von struktureller Gewalt gegen Frauen, der immensen Schwierigkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen und wie rücksichtslos Boulevard-Medien auf der Suche nach Quoten solche Erzählungen mitgestalten und dabei selbst Gewalt ausüben.

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